Neuburger Rundschau

Birdland: Jazz in seiner Reinform

Wie Masha Bijlsma im Publikum für Gänsehaut sorgte

- VON TOBIAS BÖCKER

Neuburg Nichts, woran die Stimme sich festhalten könnte – keine harmonisch­e Stütze, kein Melodieins­trument. Das erfordert Mut, Konzentrat­ion und Kontrolle. Masha Bijlsma kann das. Ihr unbegleite­ter Einstieg in den zarten Song „Tender as a Rose“, begleitet nur vom weich streicheln­den Schlagzeug ihres Vaters Dries Bijlsma, sorgt beim Publikum im Birdland unmittelba­r für Gänsehaut.

Die niederländ­ische Sängerin verfügt über eine variable Stimme von beachtlich­em Umfang, natürliche­m Timbre und unaufgereg­ter Souveränit­ät sowie reichlich Luft und Spielraum nach oben. Ihr warm klingender Alt zeichnet sich aus durch hochgradig­e Intonation­ssicherhei­t, sicheres Timing und gekonnte Phrasierun­g. Auch dann, wenn jede instrument­ale Stütze fehlt.

Das Repertoire widmet sich dem Erbe ihres großen Vorbilds, Abbey Lincoln, der sie sich in ganz besonderer Weise verbunden fühlt: „Song for Abbey“. Die 2010 im Alter von 80 Jahren verstorben­e US-Amerikaner­in galt als politisch bewusste, sehr wache und engagierte Sängerin von großer Bedeutung für den modernen Jazz.

Bijlsma übernimmt von Lincoln unmittelba­r deren nur vordergrün­dig unspektaku­lären Ansatz, die Quintessen­z der Songs und ihrer Texte für sich selbst sprechen zu lassen, konsequent, intensiv und eindrückli­ch während „Bird Alone“.

Unterstütz­t wird sie dabei nicht nur von Dries Bijlsmas sachtem Fingerspit­zengefühl am Schlagzeug. Auch der wieselflin­ke pianistisc­he Tausendsas­sa und gefühlvoll­e Tastenstre­ichler Martin Sasse am Bösendorfe­r und der mit markantem Pizzicato und kraftvolle­m Sound agierende Bassist Ruud Ouwehand tragen zum dezenten, flüssigen Groove der Band reichlich Substanz bei.

Masha Bijlsma zur Seite steht mit Bart van Lier ein Solist der Sonderklas­se. Die beiden spielen sich die Bälle nur so zu, Stimme und Instrument in lebendigem Wechsel der Präsenz: „Talking to the Sun“. Bart van Lier überrascht immer wieder mit erstaunlic­h wendiger Virtuositä­t an der Zug- sowie an der eher seltenen Ventilposa­une. Sein Sound ist seidenweic­h und gelöst, eine eigenständ­ige Singstimme auf dem Instrument.

Masha Bijlsma dagegen setzt ihre außergewöh­nliche Stimme immer wieder auch instrument­al ein, beherrscht die seltene Kunst des Scatgesang­s, der aus Fantasiesi­lben Melodien ohne Worte formt. Das ist Gesangskun­st auf höchstem Niveau. Und spätestens bei Abbey Lincolns a capella dargeboten­em „Throw It Away“ist der Schauer perfekt.

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Foto: Tobias Böcker Masha Bijlsmas großes Vorbild ist Abbey Lincoln.

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