Neuburger Rundschau

Ist Sterben wirklich Privatsach­e?

Das Bundesverf­assungsger­icht steht vor der schwierige­n Aufgabe, die Voraussetz­ungen der Sterbehilf­e genauer zu definieren

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VON JOACHIM BOMHARD

Hbom@augsburger-allgemeine.de

ier kann es kein allgemeing­ültiges Ja oder Nein geben, kein Schwarz oder Weiß. Hier muss in jedem einzelnen Fall geprüft werden, ob der Tod der einzige Ausweg ist. Es gibt Menschen, die wissen, dass sie demnächst sterben müssen. Sie wollen einen selbstbest­immten, möglichst friedliche­n Tod, am liebsten in der vertrauten Umgebung, mit der Möglichkei­t, sich von ihren Nächsten zu verabschie­den. Sie wollen nicht länger als nötig künstlich am Leben gehalten werden, wollen nicht wegen unerträgli­cher Schmerzen betäubt dahindämme­rn. Aber Sterbewill­ige müssen ins Ausland ausweichen, wenn sie das deutsche Verbot umgehen und ihre Helfer nicht kriminalis­ieren wollen. „Wer in der Absicht, die Selbsttötu­ng eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsm­äßig die Gelegenhei­t gewährt, verschafft oder vermittelt, wird mit Freiheitss­trafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft“, heißt es in Paragraf 217 des Strafgeset­zbuches. Der Sterbewuns­ch ist eine höchst private Angelegenh­eit, die jeder für sich selbst klären muss, solange er bei klarem Verstand ist. Es verbietet sich aber von selbst, ihn für rein geschäftli­che Interessen unter dem Deckmantel der Nächstenli­ebe zu missbrauch­en. Das war auch die Motivation des Gesetzgebe­rs, als er 2015 nach kontrovers­en Debatten den Paragrafen 217 so formuliert­e. Die Politik wollte das Geschäftsm­odell von Sterbehilf­evereinen treffen. Aber der von ihr gewählte Begriff „geschäftsm­äßig“im Gesetz ist für die Juristen ein Graus, weil er nicht genau definiert ist. In deren Interpreta­tion heißt es, ein Arzt oder ein Verein oder eine einzelne Person leistet wiederholt Sterbehilf­e. Geld muss gar nicht im Spiel sein. Aber es reicht beispielsw­eise, einen Sterberaum einzuricht­en und eine tödliche Substanz zu besorgen, um sich strafbar zu machen. Die grundsätzl­iche Frage lautet: Wer entscheide­t darüber, wann ein Leben zu Ende gehen soll. Kann es der Patient selbst? Welche Rolle spielen die Ärzte? Machen sie sich womöglich schon strafbar, wenn sie Opiate in hohen Dosen verschreib­en, nur damit der Patient etwas zur Linderung der Schmerzen daheim hat? Haben staatliche Behörden die Verpflicht­ung, die Ausgabe tödlicher Dosen von Betäubungs­mitteln zu verhindern, mit denen sie ein ansonsten selbst bestimmtes sanftes Entschlafe­n ermögliche­n würden? Auch dies könnte ja als geschäftsm­äßige Sterbehilf­e missversta­nden werden. Das Bundesverf­assungsger­icht steht vor der ungemein schwierige­n Aufgabe, abzuwägen zwischen dem Persönlich­keitsrecht der Sterbewill­igen und dem Interesse des Staates, den Tod nicht der Geschäftem­acherei zu überlassen. Für viele Ärzte wird es darum gehen, nicht in der Grauzone zwischen an sich nicht verbotenem Suizid und am Wohl des Patienten orientiert­er Behandlung, die im Extremfall in eine indirekte Sterbehilf­e münden kann, zerrieben zu werden. Der Suizid an sich hat keine strafrecht­lichen Folgen. Aber ihn zu fördern, verbietet sich von selbst. Die generelle Freigabe eines Betäubungs­mittels wie NatriumPen­tobarbital in einer tödlichen Dosis käme deshalb nicht infrage. Es muss den Extremfäll­en vorbehalte­n bleiben. Dem Missbrauch würde Tür und Tor geöffnet, wenn der selbstbest­immte Todeszeitp­unkt zum Normalfall gemacht wird. Niemand darf sich zum Suizid gedrängt fühlen, nur weil er nicht länger seinen Angehörige­n und der Gesellscha­ft – von den Pflegenden bis zu den Kranken- und Pflegekass­en – zur Last fallen will. Und weil es die entspreche­nden Angebote gibt. Vielmehr kommt es darauf an, den Kranken bis zum Schluss ein Leben in Würde zu ermögliche­n. Das ist ein – hoffentlic­h unstrittig­es – Gebot der Menschlich­keit.

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