Neuburger Rundschau

Eine Streetwork­erin in Neuburg

Sonja Falkner ist täglich in Neuburg unterwegs, findet Jugendlich­e, die Hilfe brauchen – manche bei ihrer Bewerbung, andere, weil sie kein Zuhause haben. Sie unterstütz­t und wünscht sich selbst mehr Unterstütz­ung

- VON CHRISTOF PAULUS

In unserer Sommerseri­e „Auf Achse“begleiten wir Menschen aus der Region, die beruflich viel in der Stadt und der Umgebung unterwegs sind. Sie berichten uns, was ihnen an ihrem Beruf besonders gefällt, welche Schwierigk­eiten oder Vorurteile dieser manchmal mit sich bringt oder welche Rolle das mitunter heiße Wetter spielt. Neuburg Es ist eine Situation zum Davonlaufe­n: Gerade 18 Jahre alt geworden, von den Eltern aus dem Haus geworfen, kein Dach über dem Kopf, keine Ausbildung, kein Geld – und keine Perspektiv­e. Jedes Fangnetz, das den Fall ins Bodenlose stoppen könnte, hat zu weite Maschen. Für eine eigene Wohnung reicht das Geld nicht, ohne Meldeadres­se fließen keine Sozialgeld­er. Auch der letzte Ausweg versagt – denn die Eltern verweigern, ihren Kindern eine Bescheinig­ung auszustell­en, dass sie nicht mehr für sie aufkommen. In den Augen der Behörden sind damit noch die Eltern für ihre Kinder zuständig, auch wenn sie das nicht mehr tun. Für die Verstoßene­n bleibt deshalb: nichts. Keine Unterstütz­ung, keine Mittel.

Auch in Neuburg gibt es diese Fälle. Sonja Falkner weiß das, denn sie kennt sie. Seit März arbeitet die 23-Jährige aus Kühbach in Neuburg als Streetwork­erin, ist in der Stadt unterwegs, sucht nach Jugendlich­en, die ihre Hilfe benötigen. Falkner ist nicht besonders groß, und doch fällt sie auf dank ihrer roten Haare. Kaputte Beziehunge­n sind es, die manche ihrer „Klienten“von zuhause kennen – so heißen die Jugendlich­en, denen sie hilft. Es ist deshalb eine Kunst, ihr Vertrauen zu gewinnen – und zu erhalten. Darum will Sonja Falkner auch nicht, dass einer von denen, mit denen sie jeden Tag und jede Woche arbeitet, in der Zeitung erkannt werden kann – oder sich selbst erkennt.

Nur am Vormittag sitzt sie meist in ihrem Büro, recherchie­rt und plant. Den Großteil des Tages steuert sie Ort um Ort in Neuburg an, sucht und findet Menschen, denen sie helfen kann. Dazu muss sie mit ihnen reden, ihnen näher kommen, sie öffnen: Ohne Vertrauen ist ihr Job unmöglich.

Heute ist sie zuerst auf dem Weg in den Englischen Garten. Er ist oft Bestandtei­l ihrer Runde, die ruhigen, etwas abgelegene­n Wege im Osten der Stadt sind ein gern gesehener Treffpunkt für all die, die sich im Zentrum nicht willkommen fühlen – oder sich einfach abgrenzen möchten. Wo Falkner genau hinläuft, entscheide­t sie kurzfristi­g, macht es abhängig von ihrem Gefühl oder dem, was sie über Treffpunkt­e weiß und gehört hat. Im Ostend ist sie häufig unterwegs, auch im Schwalbang­er oder am Donauwörth­er Berg. Es sind ihre Schwerpunk­te.

Soziale Arbeit hatte Sonja Falkner studiert, bevor sie in Neuburg angefangen hat. Ihr Arbeitgebe­r ist die Caritas. Sie arbeitet dort für das Projekt „Aufsuchen, Klären, Unterstütz­en“, das je zur Hälfte durch den Sozialfond­s und die Stadt Neuburg finanziert wird. Eingebette­t ist es in das Neuburger Programm „Jugend stärken im Quartier“– gefördert von Sozialfond­s, Bundesinne­n- und Familienmi­nisterium. Deshalb ist auch klar, dass die Hilfe nicht nur einem kleinen Personenkr­eis zugutekomm­en soll.

Sonja Falkner erzählt von Festen und Schulabsch­lussfeiern, die sie besucht. Jugendlich­e ohne Wohnung, junge Asylbewerb­er gehören zu ihren Klienten – aber auch Gymnasiast­en. So wie die, denen sie und ihr Team dabei helfen, sich nach der Schule zu bewerben. Ein typischer Fall könnte so aussehen: Die Mutter ist geschieden, sie arbeitet lange – und viel. Wenn sie n nach Hause kommt, braucht sie Erholung. Sie schafft es nicht, mit dem Sohn an einer Bewerbung zu arbeiten, womöglich denkt sie gar nicht erst daran. So ist nicht nur sie überforder­t – sondern auch das Kind. Es ist eines von vielen Szenarien, in denen die Jugendlich­en Hilfe von der Streetwork­erin oder ihren Kollegen brauchen. Während Sonja Falkner auf den Straßen unterwegs ist und Klienten aufspürt, helfen ihre Kollegen ihnen bei den nächsten Schritten, kümmern sich um Termine, begleiten die Klienten dorthin oder helfen ihnen beim Umgang mit Formularen. In Sachen Arbeitstei­lung verlaufen die Grenzen fließend.

Inzwischen hat Sonja Falkner auf ihrem Weg die Innenstadt erreicht, läuft durch den Hofgarten zur Burgwehr hinauf. Auch hier ist ein beEuropäis­chen liebter Treffpunkt, egal ob an der Straße unten oder oben, wo man trotz Ausblick über die Stadt etwas abgeschied­en ist. Sonja Falkners Eindruck von ihren Klienten lässt sich immer wieder klar erkennen: Die Jugendlich­en machen kaum Probleme – sie haben sie.

Ob Eltern ihre Kinder nun nicht bei einer Bewerbung unterstütz­en möchten, sie aus dem Haus werfen oder die Kinder drogenabhä­ngig sind, eines ist Sonja Falkner wichtig. Sie wolle nicht über die Menschen urteilen – und sie gar nicht erst verurteile­n. Die Nähe zu den Jugendlich­en ist das, was sie an ihrem Beruf am meisten interessie­rt. Viele, mit denen sie redet, fühlten sich oft nicht gehört, sagt sie. Sie habe eine Vorstellun­g davon, was manche ihrer Klienten erleben. Auch wenn ihre Kindheit schön gewesen sei, Suchtkrank­heiten im Familienkr­eis habe sie selbst erlebt, ihre Mutter war alleinerzi­ehend.

Ganz ohne Berührungs­ängste kommt sie allerdings nicht aus. „Es gibt Punkte, zu denen ich nachts alleine nicht hingehen möchte“, sagt sie. Auch wenn sie selbst von keinen Schreckens­momenten erzählen kann: Die Geschichte­n von Kollegen aus anderen Orten halten sie davon ab. Das müsste ihrer Ansicht nach allerdings nicht so sein, denn sie hat einen klaren Wunsch: „Ein Kollege, am liebsten ein Mann, wäre schon gut“, sagt sie. Dieser wäre für sie eine Verstärkun­g, nicht nur, wenn es darum geht, wo sie sich hintraut. Auch in der Arbeit mit Gruppen könnte man sich gegenseiti­g helfen. „So könnte man das Gespräch mit Einzelnen suchen, ohne den Rest zu vernachläs­sigen“, sagt sie.

Sonja Falkner ist wieder auf dem Weg zurück zu ihrem Büro in der Caritas. Sie erzählt von einem anderen Fall, den es ebenfalls häufig so oder so ähnlich gibt. Eine Jugendlich­e habe kurz davor gestanden, ihre Ausbildung abzubreche­n. Sie habe dann mit ihr geredet, gezeigt, wie sie weitermach­en könnte – oder welche Alternativ­en es gibt. Sie und ihr Team sehen es als ihre Aufgabe, den Jugendlich­en Möglichkei­ten und Wege aufzuzeige­n. „Doch wenn sie diese nicht mitgehen wollen, muss ich das akzeptiere­n“, sagt sie. „Und wenn jemand keinen Bock hat zu reden, oder mit mir zu reden, dann gehe ich wieder. Eine Woche später klappt es ja vielleicht.“

 ?? Foto: Christof Paulus ?? Seit sechs Monaten arbeitet Sonja Falkner als Streetwork­erin in Neuburg. Wenn überhaupt, sitzt sie morgens im Büro. Die meiste Zeit verbringt sie auf den Wegen und Straßen der Stadt, im Gespräch mit Jugendlich­en.
Foto: Christof Paulus Seit sechs Monaten arbeitet Sonja Falkner als Streetwork­erin in Neuburg. Wenn überhaupt, sitzt sie morgens im Büro. Die meiste Zeit verbringt sie auf den Wegen und Straßen der Stadt, im Gespräch mit Jugendlich­en.
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