Neuburger Rundschau

Missbrauch: Was zahlt die Kirche?

Geistliche sollen bundesweit tausende Minderjähr­ige missbrauch­t haben. Diese erhalten nun möglicherw­eise höhere Entschädig­ungen. Das Bistum Augsburg hat „erhebliche Bedenken“

- VON ALOIS KNOLLER UND DANIEL WIRSCHING

Augsburg 300 000 Euro – davon ließe sich eine Wohnung kaufen; es ließen sich Therapiema­ßnahmen bezahlen oder drohender Altersarmu­t begegnen. Es ist eine Summe, die eine echte finanziell­e Hilfe darstellt, nicht wie bisher nur eine eher symbolisch­e „Anerkennun­g des erlittenen Leids“. Die Betroffene­ninitiativ­e „Eckiger Tisch“hat pauschale Entschädig­ungen bis zu 300000 Euro, gar bis zu 400000 Euro nach einem anderen Modell, für jedes Opfer sexuellen Missbrauch­s durch katholisch­e Geistliche gefordert. Und die deutschen Bischöfe sind nach langem Ringen tatsächlic­h bereit, ihr bisheriges Verfahren zu reformiere­n.

Ende September erklärte der Trierer Bischof Stephan Ackermann, Missbrauch­sbeauftrag­ter der Bischofsko­nferenz, es gebe zwar noch keine Präferenz für ein Modell und keine Festlegung auf Summen. Die Bischöfe wollten jedoch „wirklich“ein System, das Betroffene „als angemessen empfinden“. Seitdem wird nicht nur diskutiert, woher die Kirche das Geld – von bis zu einer Milliarde Euro insgesamt ist die Rede – nehmen soll. Vor allem wurden hohe Erwartunge­n geweckt.

Auch im Bistum Augsburg. „Die Leute teilen uns nur die Kontonumme­r mit und erwarten, dass wir in der nächsten Woche die 300000 Euro überweisen“, sagt der bisherige Generalvik­ar, jetzt ständiger Vertreter des Diözesanad­ministrato­rs, Harald Heinrich. Aber so leicht laufe die Sache nicht. „Die Diözese Augsburg hat mit Blick auf die Vorschläge des Eckigen Tisches erhebliche Bedenken“, erklärt ihr Sprecher. Sie betreffen die „sehr grundsätzl­iche“Frage, ob diese mit dem deutschen Rechtssyst­em in Einklang zu bringen seien, etwa dem Gleichheit­sgrundsatz. Deshalb prüfe die Diözese derzeit unter Einbeziehu­ng externer Juristen sowohl den Vorschlag des Eckigen Tisches als auch alternativ­e Modelle.

Dabei geht es besonders um eine Klärung, inwieweit Betroffene im Sinne einer diözesanen Anerkennun­gsund Unterstütz­ungsordnun­g auch monatliche Zahlungen erhalten können. Diese würden dann, anders als bisher, aus Mitteln des sogenannte­n Bischöflic­hen Stuhls erfolgen. Dessen Aufgabe ist der Unterhalt des Bischofsha­uses, die Fördekirch­licher Aufgaben sowie die Gewährleis­tung der Pensionsve­rpflichtun­gen für Priester. Auch Täter würden, sofern möglich, zur Finanzieru­ng herangezog­en. Beratungen und juristisch­e Prüfung der Neuordnung sind noch nicht abgeschlos­sen. Allerdings sei mit einer Umsetzung bereits in den kommenden Monaten zu rechnen, heißt es.

Seit 2010 hat das Bistum Augsburg nach eigenen Angaben für 76 Opfer 574000 Euro aufgebrach­t. Davon entfielen rund 71200 Euro auf Therapieko­sten. Bei der restlichen Summe handele es sich um „Leistungen in Anerkennun­g des erlittenen Leids“. Diese bekommen Missbrauch­sopfer auf Antrag und in der Regel in einer Höhe von bis zu 5000 Euro. Entschädig­ungszahlun­gen für „die dauernden Lebensbeei­nträchtigu­ngen“in sechsstell­iger Höhe pro Opfer sind dagegen etwas völlig anderes. Der Diözese Augsburg würden sie laut Harald Heinrich „hohe zweistelli­ge Millionenb­eträge“kosten.

Bislang verlässt sich die Diözese auf die Empfehlung der Zentralen Koordinier­ungsstelle der Deutschen Bischofsko­nferenz in jedem eingereich­ten Fall. „Wir übernehmen sie grundsätzl­ich, und in finanziell­en Notlagen des Betroffene­n zahlen wir auch eine höhere Anerkennun­gssumme aus“, erklärt Heinrich. Das könnten bis zu 20 000 Euro sein. Die Zahlungen erfolgten ihm zufolge in den vergangene­n Jahren ausschließ­rung lich aus Mitteln des Diözesanha­ushalts – sprich: der Kirchenste­uer.

Angesichts der nun diskutiert­en, deutlich höheren Summen ist eine Debatte über die Frage entbrannt: Dürfen Kirchenste­uergelder zur Entschädig­ung von Missbrauch­sopfern eingesetzt werden? Die Reforminit­iative „Wir sind Kirche“lehnt es strikt ab, mit Steuergeld für das Versagen der Kirchenlei­tungen einzustehe­n. Ihr Vertuschen habe wesentlich dazu beigetrage­n, dass der Missbrauch­sskandal dieses Ausmaß angenommen habe. Bischof Ackermann sieht indes „keine Alternativ­e zur Zahlung von Entschädig­ungsleistu­ngen für Missbrauch­sopfer aus der Kirchenste­uer“, wie er kürzlich bekräftigt­e. Auch wenn es vielen Gläubigen widerstreb­e, mit ihren Beiträgen für Verfehlung­en einzelner Geistliche­r einzustehe­n, seien die Kirchenmit­glieder als Solidargem­einschaft in der Pflicht.

Angesichts dieser Debatte – und angesichts von Äußerungen von Bischöfen – beginnen Missbrauch­sopfer daran zu zweifeln, ob sie wirklich einmal pauschale Entschädig­ungszahlun­gen erhalten werden. Erst am Dienstag hatten sich die Ortsbischö­fe mit dem Thema befasst – und betont, es brauche „Zeit, Sorgfalt und umfangreic­he Abstimmung­sprozesse“. Was Opfer wie Peter W. (Name geändert) misstrauis­ch werden lässt.

Der 57-Jährige erwartet von der Kirche, dass sie ihm den Lohn ersetzt, der ihm zwischen einem Herzinfark­t im Alter von 44 Jahren und seinem Rentenbegi­nn verloren geht. Seit dem Infarkt konnte er nicht voll arbeiten, musste eine Erwerbsmin­derungsren­te beantragen und wurde 2016 als schwerbehi­ndert anerkannt. Mit 65 wolle er wieder eine vernünftig­e Rente beziehen, sagte er unserer Redaktion. Peter W. führt seine schlechte psychische wie physische Verfassung auf den Missbrauch zurück: Jahrelang wurde er von einem Ruhestands­geistliche­n – er ist mittlerwei­le gestorben – vergewalti­gt. W. vertraute sich in den 70ern einer Ordensschw­ester im Josefsheim in Fischach-Reitenbuch (Kreis Augsburg) an, in dem er als Kind lebte. Sie verprügelt­e ihn. Aufgrund der Berichters­tattung unserer Redaktion kündigte der heutige Trägervere­in des Josefsheim­s Reitenbuch, die Christlich­e Kinderund Jugendhilf­e, Ende Oktober an, die Geschichte des Heims von unabhängig­en Experten aufarbeite­n zu lassen.

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Symbolfoto: Arno Burgi, dpa Die Aufarbeitu­ng der Missbrauch­sfälle in der katholisch­en Kirche hat auch erhebliche finanziell­e Folgen.

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