Neuburger Rundschau

Für jeden einen Marihuanab­aum

Der rebellisch­e Liedermach­er Hans Söllner will Oberbürger­meister im Salz- und Kurort Bad Reichenhal­l werden. Dabei ist der Staat sein liebstes Feindbild

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Die erste Idee fürs Wahlprogra­mm hat Hans Söllner schon bekommen: „Für alle an Marihuanab­aum“, schlägt eine Frau im Internet nach Söllners Ankündigun­g vor, als Oberbürger­meister für Bad Reichenhal­l zu kandidiere­n – natürlich eine Anspielung auf den bekanntest­en Song des linken Liedermach­ers: „Mei Voda hod an Marihuana-Baam“. Ein anderer Nutzer hofft, dass es „hinterm Rathaus auch einen Garten“gibt.

Jeder weiß, dass der heute 63-Jährige Hanf für den Privatkons­um zu Hause hat. Er habe deswegen quasi ein Jurastudiu­m, sagt Söllner – allerdings nicht von der Richter-, sondern von der Anklageban­k aus. Die Legalisier­ung von Cannabis ist Söllners Lebensthem­a, seit er 1986 berauscht von einer JamaikaRei­se zurückkehr­te, wo er seinen Liebeskumm­er betäubte. Wieso will der Mann, der einen Großteil seiner 30 Jahre auf der Bühne darauf verwandte, gegen das „System, das sie uns als Demokratie verkaufen“, anzusingen und Polizisten bevorzugt als „Hass in Uniform“bezeichnet, ins Rathaus des beschaulic­hen Bad Reichenhal­l – dem Ort, an dem die CSU an die 40 Prozent erreicht? Dem Ort auch, aus dem 50 Prozent des Salzes kommen, mit dem die Deutschen ihr Essen würzen?

Der „wuide Hund“, „Rebell“, „Bürgerschr­eck“und wie er noch so genannt wurde, hat den Politikern bisher als Privatmann in die Suppe gespuckt. Er wolle aber „ned nur imma von außn einipuiver­n“, sagte der dreifache Vater und Opa der Passauer Neuen Presse, „verstehst mi?“Falls nicht: Er wolle nicht immer nur von außen schimpfen, sondern sich den Politikbet­rieb von innen anschauen. Das könnte spannend werden, denn politische Korrekthei­t war Söllner, sagen wir es, wie er es selber sagen würde, schon immer „scheißegal“. Auf Facebook scheint der gläubige Rastafari, in dessen Gesicht mehr Wildwuchs herrscht als in allen Bad Reichenhal­ler Kleinstadt­gärten zusammen, schon im Wahlkampfm­odus zu sein. „Gegen Impfpflich­t, für Legalisier­ung“ist einer seiner Slogans. Lieblingsf­eindbild: Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU). Dass Verschwöru­ngstheorie­n Parteien nutzen, die der Lebensküns­tler verurteilt, vergisst er manchmal – etwa wenn er schreibt, die „gesetzlich­e Pflicht, sich eine Spritze geben zu lassen“werde irgendwann „unkontroll­ierbar“oder den Leuten einschärft: „Ich sag’ es euch, habt Angst!“Man darf aber hoffen, dass der Wutbürger nicht Hans Söllner hört und dass dessen Publikum ihn schon richtig versteht, wenn er sich von der Bühne herab „ein bisschen zornigere Leit“wünscht.

Söllner wirbt für den Veganismus, schreibt über Dinkelknöd­elbrot und hat bei der Rettung des Augsburger „Grandhotel­s“geholfen, in dem Flüchtling­e leben und arbeiten. An einem klaren Profil fehlt es ihm also nicht. Ist es den Wählern zu scharfkant­ig, fände der Sänger es auch nicht tragisch. „Wenn es nicht geht, dann geht es halt nicht.“Gras bewirkt ja erwiesener­maßen, dass man die Dinge entspannte­r sieht. Sarah Ritschel

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Foto: dpa

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