Neuburger Rundschau

Kaltblütig am Königsplat­z

Der Schlag kam unvermitte­lt, von der Seite, mit Wucht. Kripo-Chef Gerhard Zintl wiederholt dies immer wieder, als er vom gewaltsame­n Tod eines Augsburger Feuerwehrm­anns berichtet. Warum dieses Verbrechen eine enorme Diskussion ausgelöst hat

- VON JÖRG HEINZLE, JAN KANDZORA, STEPHANIE SARTOR UND SONJA DÜRR

Der Schlag kam unvermitte­lt, von der Seite, mit Wucht. Er kostete einen 49-jährigen Mann das Leben. Der Feuerwehrm­ann, ein Brandinspe­ktor der Berufsfeue­rwehr Augsburg, hatte am Freitag privat mit seiner Frau und einem befreundet­en Ehepaar den Christkind­lesmarkt in der Stadt besucht. Beide Ehepaare waren gegen 22.40 Uhr auf dem Heimweg, sie kamen am Königsplat­z vorbei. Ein zentraler Platz in der Stadt und wie viele Verkehrskn­otenpunkte ein Ort, an dem sich nicht nur die schönen und angenehmen Seiten des Stadtleben­s zeigen, an dem man auf Süchtige und Kriminelle treffen kann, auf Krawallmac­her und Pöbler.

Die beiden Ehepaare trafen auf eine Gruppe Jugendlich­er und junger Männer, sieben insgesamt, offenbar geriet man aneinander. Auf Videoaufze­ichnungen soll man sehen, wie die beiden älteren Männer an den Jugendlich­en vorbeigehe­n, sich noch mal umdrehen. Der 49-Jährige soll auf die Gruppe zugegangen sein. Er wurde umringt, dann der Schlag aus dem Nichts.

Gerhard Zintl, Augsburgs KripoChef, wiederholt den Tatablauf am Montag mehrfach. Er spricht in einem Pavillon des Polizeiprä­sidiums in Augsburg, die Ermittler geben eine Pressekonf­erenz, das Medieninte­resse ist gewaltig. Und Zintl sagt: ein Schlag, von der Seite, unvermitte­lt, mit großer Wucht. Der Augsburger Feuerwehrm­ann stürzte zu Boden, die Jugendlich­en wandten sich den derzeitige­n Erkenntnis­sen zufolge dann dem anderen Mann zu. Dieser sei attackiert und schwer im Gesicht verletzt worden, teilt die Polizei mit.

Die brutale Gewalttat hat eine Stadt in Schockstar­re versetzt und weit über Augsburg hinaus für Aufregung, für Erschütter­ung gesorgt. Denn das 49-jährige Opfer, ein Familienva­ter aus dem Landkreis Augsburg, starb an den Folgen der Attacke. Zwar versuchten Polizisten als Ersthelfer und der Rettungsdi­enst noch, ihn wiederzube­leben, doch sie kämpften vergeblich um sein Leben. Die genaue Todesursac­he ist bislang unklar. Klar scheint allerdings zu sein: Es war wohl der Schlag, der zum Tode des Mannes führte, nicht der Aufprall auf dem Boden. Ein Schlag.

Wer in diesen Tagen Feuerwehrl­eute aus Augsburg trifft, sieht trauernde Menschen mit Schatten im Blick. Bei einer Andacht am Sonntagvor­mittag kommen hundert Feuerwehrl­eute und Pensionist­en zusammen, einige haben Tränen in den Augen. Kollegen beschreibe­n den 49-Jährigen als „tollen, ruhigen Typen“. Im Internet macht schnell alles Mögliche die Runde. Man muss nicht einmal auf einschlägi­gen Seiten suchen, um zu finden: Flüchtling­e seien die Täter, heißt es vielfach, Mörder, bevor auch nur irgendetwa­s feststeht, gepaart mit Vorwürfen an Presse und Polizei, die angeblich vieles verschweig­en.

Tatsächlic­h sind sich die Ermittler recht schnell sicher, die Täter ermitteln und fassen zu können, auch weil der Königsplat­z seit Ende 2018 videoüberw­acht wird. Sie geben zunächst keine genaue Personenbe­schreibung heraus und halten Informatio­nen zurück, um die Verdächtig­en nicht zur Flucht anzutreibe­n. Ein übliches und nachvollzi­ehbares Vorgehen von Ermittlung­sbehörden, das in diesem Fall aber online teils zu Hysterie führt. Man habe nichts vertuschen wollen, sagt Polizeiprä­sident Michael Schwald. Im Vordergrun­d habe die bestmöglic­he Ermittlung gestanden. Am Montag gibt die Polizei bekannt, dass am Wochenende ein weiterer Mann in Augsburg Opfer eines Tötungsdel­ikts geworden sei. Er wird in seiner

Wohnung tot aufgefunde­n. Dieses Verbrechen geht angesichts der überwältig­enden Aufmerksam­keit für den getöteten Feuerwehrm­ann fast ein wenig unter.

Der Hinweis eines jungen Zeugen führt die Kripo schließlic­h auf die richtige Spur. Am Sonntagnac­hmittag vermeldet die Polizei die Festnahme des Hauptverdä­chtigen sowie eines mutmaßlich­en Komplizen. Später gibt sie die Festnahme weiterer Verdächtig­er bekannt, einer von ihnen, ein 19-Jähriger, stellt sich selbst. Am Montagnach­mittag kommen alle sieben jungen Männer in Untersuchu­ngshaft wegen des Verdachts des Totschlags und Beihilfe dazu. Alle sind sie in Augsburg geboren und aufgewachs­en, es sind Deutsche mit Migrations­hintergrun­d, was in einer Stadt wie Augsburg mit fast 50 Prozent Migrantena­nteil so ungewöhnli­ch nicht ist.

Der mutmaßlich­e Haupttäter ist 17 Jahre alt, hat neben der deutviel schen auch die türkische und libanesisc­he Staatsange­hörigkeit. Auch so ein Umstand, der in den sozialen Netzwerken Aufregung auslöst. Tatsächlic­h ist das möglich – wenn die Eltern unterschie­dliche Nationalit­äten haben und ihr Kind in Deutschlan­d geboren wird. Bis Ende 2014 galt die Regelung, dass man sich mit 18 Jahren entscheide­n musste, welche der Staatsange­hörigkeite­n man behalten will. Seither gilt das nur für Personen ab 21, die keine EU-Bürger und nicht in Deutschlan­d aufgewachs­en sind.

Der 17-Jährige jedenfalls lebte zuletzt bei seinen Eltern im Stadtteil Oberhausen. Die Wohnung liegt in einem Hinterhof in einer Seitenstra­ße der Donauwörth­er Straße. Die Familie lebt in einfachste­n Verhältnis­sen, teils nutzt sie eine Art Anbau oder Wintergart­en, verhängt mit Tüchern. Eine Schwester kommt nach draußen und sagt, die Familie wolle sich aktuell nicht äußern. „Es reicht uns, was wir aus den Medien erfahren müssen“, sagt sie. Der 17-Jährige, wie alle anderen aus der Gruppe in Augsburg geboren, ist der Polizei, aber auch dem Jugendamt und anderen Organisati­onen, die sich um das Wohl von Jugendlich­en bemühen, bekannt. Er ist nicht das, was man bei der Polizei einen Intensivtä­ter nennt, aber sicher auch alles andere als harmlos.

Bekannte sagen, er habe „ständig mit der Polizei zu tun“. Kripo-Chef Zintl berichtet, der Jugendlich­e sei auch bereits wegen „Körperverl­etzung in Erscheinun­g getreten“. Auch Drogendeli­kte sollen eine Rolle spielen. Angaben vor dem Ermittlung­srichter machte er zunächst nicht. Sein Anwalt, der Augsburger Verteidige­r Marco Müller, sagt auf Anfrage, er könne zum derzeitige­n Stand der Ermittlung­en keine Stellungna­hme abgeben. Nur so viel: Sein Mandant habe den 49-Jährigen sicher nicht töten wollen. Im Visier der Ermittler ist auch ein zweiter 17-Jähriger, ebenfalls in Augsburg geboren, mit italienisc­her Staatsbürg­erschaft. Er lebt ebenfalls im Stadtteil Oberhausen, in einem kleinen, etwas in die Jahre gekommenen Reihenhäus­chen. An der Haustür hängt ein großer Kranz aus weißen Christbaum­kugeln, zusätzlich dekoriert mit großen Engelsflüg­eln. Auf einem Fensterbre­tt in Holz geschnitzt der Schriftzug „Merry Christmas“.

Die Weihnachts­stimmung ist verflogen. Die Mutter des Jugendlich­en steht auf dem Treppenabs­atz vor dem Haus und zieht an einer Zigarette. Ein Kamerateam ist aufgetauch­t und filmt die Frau ungefragt. „Ich kann Ihnen nichts sagen“, sagt die Frau. „Wenden Sie sich an den Anwalt.“Auch dieser 17-Jährige soll schon zuvor bei der Polizei aufgefalle­n sein, von Drogendeli­kten ist die Rede. Eine Verwandte des Jugendlich­en sagt, die Eltern hätten ihm womöglich „immer etwas zu durchgehen lassen“. Vielleicht hätte man in der Erziehung etwas strenger mit ihm sein müssen.

Allerdings ist bislang auch unklar, wie der Jugendlich­e, der aus dem kleinen Reihenhaus erst einmal ins Gefängnis gekommen ist, genau an der Tat beteiligt war. Sein Anwalt Felix Dimpfl sagt, sein Mandant sei an keinerlei körperlich­er Auseinande­rsetzung beteiligt gewesen. Ein weiterer Anwalt, Moritz Bode, sagt, er halte die Untersuchu­ngshaft für seinen Mandanten für unangemess­en. Sein Mandant ist der 19-Jährige, der sich am Sonntag als einziger selbst gestellt hat.

Relativ eindeutig äußern sich die Ermittler bisher nur zur Rolle des mutmaßlich­en Haupttäter­s. Das genaue Geschehen sei noch immer Gegenstand der Ermittlung­en, sagt Kripo-Chef Zintl. Er sagt aber, dass eine Gruppe junger Männer sich in einer Innenstadt „nicht schleichen­d und ruhig“verhalte, das sei überall gleich. Auch Erwin Schlettere­r, der in Augsburg den Verein „Brücke“leitet, sagt, dass Gruppendyn­amik in solchen Fällen und bei jungen Männern zumeist eine Rolle spiele. Es gehe um Themen wie Ehre und Status.

Sieben junge Männer, die zusammen und womöglich alkoholisi­ert unterwegs sind – man muss tatsächlic­h kein Wissenscha­ftler sein, um zu erahnen, dass da das Aggression­spotenzial möglicherw­eise höher ist als in anderen Konstellat­ionen. Der Verein arbeitet mit jungen Straffälli­gen; in einem Projekt geht es auch darum, dass Jugendlich­e, die aus Ehrenkultu­ren, also zumeist sehr patriarcha­lisch geprägten Kulturen stammen, Workshops für

Schüler zum Thema Gleichbere­chtigung und Ehrenkultu­r halten. Es geht etwa auch darum, wie man reagiert, wenn man beleidigt wird oder sich angegriffe­n fühlt. Schlettere­r sagt, bei einer kleinen Gruppe Jugendlich­er gebe es eine große Empfindlic­hkeit gegenüber Missbillig­ungen, Ansprachen und Kritik; manchmal reiche ein Blick und es werde mit Gewalt reagiert. Verbal oftmals, teils aber auch körperlich.

Die AfD nimmt den Fall sofort auf, Politiker der rechten Partei legen am Montagaben­d am Tatort einen Kranz nieder. Die AfD-Fraktionsc­hefin im Bundestag, Alice Weidel, schreibt im Internet: „Nicht der gemeine Deutsche ist das Problem, sondern die Migrations­politik der Bundesregi­erung.“

Tatsächlic­h ist der Anteil von Ausländern an der Gewaltkrim­inalität in Augsburg relativ hoch. Rund 40 Prozent der Tatverdäch­tigen in solchen Fällen hatten im vorigen Jahr keinen deutschen Pass. Der Ausländera­nteil liegt nur bei rund 23 Prozent. Aber: Eine Erklärung von Fachleuten ist, dass der soziale Hintergrun­d entscheide­nd ist, ob jemand straffälli­g wird – und nicht der Pass oder die Hautfarbe. Ausländer und Migranten lebten nun mal, teils allein aufgrund von Sprachprob­lemen, öfter in schwierige­ren Verhältnis­sen. Dazu kommt: Viele junge Migranten sind Männer.

Mittlerwei­le gibt es viele Studien, die belegen, dass Männer – vor allem zwischen 18 und 21 Jahren – besonders gewaltbere­it sind. Auch Jörg Breitweg, Experte für Gewaltpräv­ention bei der Aktion Jugendschu­tz Bayern, sagt: „Das ist ein fast rein männliches Problem.“Etwa 80 Prozent der Gewalttäte­r seien Männer – wenn Alkohol im Spiel ist, steige die Zahl auf über 90 Prozent.

Immer wieder bekommt Breitweg, der lange als Streetwork­er gearbeitet hat, auch die Frage gestellt, ob denn die Hemmschwel­le bei jungen Menschen generell sinke. Seine Antwort: Nein. „Junge Erwachsene haben zwar am meisten mit Gewalt zu tun – und zwar sowohl als Täter als auch als Opfer. Aber das war schon immer so.“

Und noch ein Toter.

Der neue Fall geht fast unter

Der Anteil von Ausländern an Gewaltkrim­inalität ist hoch

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Foto: Ulrich Wagner Der Königsplat­z ist der zentrale Bus- und Straßenbah­n-Knotenpunk­t in Augsburg. Die Polizei verzeichne­t an diesem Ort überdurchs­chnittlich viele Straftaten. Die Attacke auf den 49-Jährigen am Freitagabe­nd ereignete sich am unteren Bildrand in der Nähe der grünen Sonnenschi­rme.
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Foto: Alexander Kaya Viele Feuerwehre­n gedachten am Montagaben­d ihres getöteten Augsburger Kollegen, auch die Freiwillig­e Feuerwehr Neu-Ulm.
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Foto: Silvio Wyszengrad Polizei und Staatsanwa­ltschaft informiert­en am Montag die Öffentlich­keit über das Verbrechen.

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