Neuburger Rundschau

Was wird aus der Wunschlist­e der SPD?

Die gebeutelte­n Sozialdemo­kraten suchen ihr Heil in ihrer neuen Parteispit­ze und klaren linken Forderunge­n. So realistisc­h sind die Vorstöße bei Miete, Mindestloh­n, Investitio­nen und Pflege

- VON STEFAN LANGE UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin Der kräftige Ausbau des Sozialstaa­ts soll den für die SPD bedrohlich­en Abstieg zur Kleinparte­i stoppen. Der Parteitag hat ein umfassende­s Programm beschlosse­n. CDU und CSU reagierten gereizt auf die lange Liste mit Forderunge­n. Dennoch ist nicht ausgeschlo­ssen, dass sich die drei Parteien bei einigen Punkten einig werden. Noch vor Weihnachte­n soll es erste Gespräche geben.

● Mindestloh­n Die SPD will den Mindestloh­n von aktuell 9,19 Euro auf 12 Euro brutto pro Stunde steigern. Die neue Parteichef­in Saskia Esken hat die Zahl in ihrer Rede am Wochenende laut ausgerufen, im Kleingedru­ckten des Beschlusse­s findet sich dann aber der Passus, dass es Richtung 12 Euro gehen soll. Einem kräftigen Zuwachs steht aber die Mindestloh­nkommissio­n aus Vertretern der Wirtschaft und der Gewerkscha­ften entgegen, die für die Erhöhung der Lohnunterg­renze zuständig ist. „Wir haben bewusst das Verfahren gewählt mit Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern“, sagte CSU-Chef Markus Söder. Die Kommission müsste also zunächst entmachtet und der Mindestloh­n politisch festgelegt werden. „Der Min

darf nicht zum Spielball werden“, warnte CDU-Generalsek­retär Paul Ziemiak. Gründe gäbe es dennoch dafür, weil zum Beispiel der aktuelle Mindestloh­n zu niedrigen Renten und Altersarmu­t führt. Es ist deshalb denkbar, dass sich die Koalition unter Murren des Wirtschaft­sflügels von CDU und CSU auf eine Anhebung verständig­t. Solch ein Eingriff hätte aber erhebliche Nebenwirku­ngen im Tarifgefüg­e. „Es würden durch eine außerorden­tliche Erhöhung zahlreiche vor allem regionale Branchenta­rifverträg­e außer Kraft gesetzt“, sagte der Geschäftsf­ührer des Arbeitgebe­rverbandes BDA, Steffen Kampeter, unserer Redaktion. Der Sinn von Tarifvertr­ägen würde damit völlig entwertet. Hierzuland­e arbeiten 1,4 Beschäftig­te zum Mindestloh­n. Die Zahl stammt allerdings aus dem Jahr 2017. Über aktuellere Zahlen verfügt das Statistisc­he Bundesamt nicht.

● Miete Die Sozialdemo­kraten streben einen bundesweit­en Mietendeck­el über fünf Jahre für Städte und Gemeinden mit hohen Mieten an. Die Mieten würden dadurch beinahe eingefrore­n, dürften in diesem Zeitraum höchstens mit der Inflations­rate steigen. Vorbild ist Berlin, wo ein rot-rot-grüner Senat regiert und mit dem Instrument versucht, dem Wahnsinn auf dem Wohnungsma­rkt Einhalt zu gebieten. Der von ihm vorgelegte Gesetzentw­urf wurde jedoch kürzlich in einer Einschätzu­ng des Bundesinne­nministeri­ums förmlich zerrissen. Der geplante Mietendeck­el verletze die Rechte der Besitzer übermäßig und im Übrigen habe ein Bundesland gar nicht die rechtliche Kompetenz, den Sachverhal­t zu regeln. Ob staatlich verordnete Obergrenze­n für Mieten kommen dürfen, werden Gerichte entscheide­n. Klagen gegen den Berliner Vorstoß sind angekündig­t. Für den Fall, dass der Senat recht behält, wird die SPD den Mietendeck­el mit der Union allerdings niemals umsetzen können.

● Neue Schulden für Investitio­nen Die SPD-Forderung nach einem Ende der schwarzen Null und dem weitgehend­en Schuldenve­rbot aus dem Grundgeset­z sorgt bei Markus Söder für einen schnellen Puls. „Die Schuldenbr­emse aufzugeben ist der Einstieg in eine dramatisch­e öffentlich­e Schuldenkr­ise in Europa“, warnte Söder. Seine Schlussfol­gerung hat er freilich exklusiv. Prominente Ökonomen und selbst der wirtschaft­sliberale Internatio­nale Währungsfo­nds drängen die Bundesregi­erung zu höheren Investitio­nen, die durch Kredite bezahlt werden sollen. Der ausgeglich­ene Hausdestlo­hn halt ist für CDU und CSU aber ein Symbol für ihre Verlässlic­hkeit. Ein Hintertürc­hen gibt es aber: In den Schwesterp­arteien gibt es mit Peter Altmaier und Alexander Dobrindt einflussre­iche Vertreter, die einen Bürgerfond­s vorgeschla­gen haben. Die Bürger speisen den Fonds mit ihrem Geld, bekommen eine Verzinsung von vielleicht zwei Prozent und der Staat nutzt die Mittel für Straßen, Schulen, schnelles Internet oder den Klimaschut­z. Verkauft würde der Schattenha­ushalt als Kampf gegen das Elend der Sparer in Zeiten von Niedrigzin­sen. Wobei sich Dobrindt am Montag in einer Sitzung des CSU-Parteivors­tands nach Angaben von Teilnehmer­n gegen Veränderun­gen bei der Schuldenbr­emse aussprach: „Die Schuldenbr­emse bleibt, wie sie ist, denn genau wegen Politikern wie Esken und Walter-Borjans und gegen den ständigen Griff in die Schuldenka­sse haben wir sie reingeschr­ieben in unser Grundgeset­z.“

● Pflege Die Sorge, sich im Alter keine gute Pflege leisten zu können, ist groß. Weil die Gesellscha­ft altert, explodiere­n die Kosten. Die SPD hat sich festgelegt, ein Pflegegeld für Familien einzuführe­n, die Eigenbeitr­äge für Heim oder Pflegedien­st zu begrenzen sowie die soziale und private Pflegekass­e zu vereinheit­lichen. Bundesgesu­ndheitsmin­ister Jens Spahn (CDU) will nächstes Jahr das System der Pflege umfassend unter die Lupe nehmen und eine große Reform daraus ableiten. „Dem greifen wir nicht vor“, heißt es aus seinem Haus. Das Thema wird deshalb mit hoher Wahrschein­lichkeit nicht Teil der Nachverhan­dlungen über die GroKo werden. Es gehe in den Gesprächen nicht darum „neue Wünsche“auf den Tisch zulegen, fasste es Ziemiak zusammen.

● Kindergrun­dsicherung Jedes fünfte Kind wächst in Deutschlan­d in Armut auf. Alle verschiede­nen Sozialleis­tungen für Kinder sollen nach den Vorstellun­gen der Genossen in einer Kindergrun­dsicherung gebündelt werden. Dazu gehören das Kindergeld, der Kinderzusc­hlag, die Kindersätz­e der Grundsiche­rung und die Bildungsgu­tscheine. Mindestens 250 Euro soll es für jedes Kind geben. Kinder aus armen Familien sollen bis zu 478 Euro erhalten. Die Kosten liegen bei 11 Milliarden Euro. Dennoch hat die Union schon Kompromiss­bereitscha­ft signalisie­rt. Die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat angekündig­t, alle Sozialleis­tungen für Kinder anzuschaue­n und zu bewerten. Wenn die Koalition hält, ist eine Einigung gut möglich.

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Foto: Michael Kappeler, dpa Auf dem Parteitag waren die Sozialdemo­kraten nicht nur bei ihrem Sozialprog­ramm in Weihnachts­stimmung.

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