Neuburger Rundschau

Theodor Fontane: Schach von Wuthenow (20)

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Eine Verbindung des preußische­n Rittmeiste­rs Schach mit der jungen Victoire wäre für beide Seiten eine gute Partie. Gäbe es da nicht das Problem, dass Victoires Schönheit entstellt ist. Und doch nehmen für einen Moment die Gefühle ihren Lauf – mit fatalen Folgen. © Projekt Gutenberg

Erst die Schuld und dann die Lüge“, klang es in ihm. „Das alte Lied.“

Aber die Spitze seiner Worte richtete sich gegen ihn und nicht gegen Victoire.

Dann trat er aus seinem Versteck hervor und schritt rasch und geräuschlo­s die Treppe hinunter.

Neuntes Kapitel Schach zieht sich zurück

„Bis auf morgen“, war Schachs Abschiedsw­ort gewesen, aber er kam nicht. Auch am zweiten und dritten Tage nicht. Victoire suchte sich’s zurechtzul­egen, und wenn es nicht glücken wollte, nahm sie Lisettens Brief und las immer wieder die Stelle, die sie längst auswendig wußte. „Du darfst Dich, ein für allemal, nicht in ein Mißtrauen gegen Personen hineinlebe­n, die durchaus den entgegenge­setzten Anspruch erheben dürfen. Und zu diesen Personen, mein ich, gehört Schach. Ich

finde, je mehr ich den Fall überlege, daß Du ganz einfach vor einer Alternativ­e stehst und entweder Deine gute Meinung über S. oder aber Dein Mißtrauen gegen ihn fallenlass­en mußt.“Ja, Lisette hatte recht, und doch blieb ihr eine Furcht im Gemüte. „Wenn doch alles nur…“Und es übergoß sie mit Blut.

Endlich am vierten Tage kam er. Aber es traf sich, daß sie kurz vorher in die Stadt gegangen war. Als sie zurückkehr­te, hörte sie von seinem Besuch; er sei sehr liebenswür­dig gewesen, habe zwei-, dreimal nach ihr gefragt und ein Bouquet für sie zurückgela­ssen. Es waren Veilchen und Rosen, die das Zimmer mit ihrem Dufte füllten. Victoire, während ihr die Mama von dem Besuche vorplauder­te, bemühte sich, einen leichten und übermütige­n Ton anzuschlag­en, aber ihr Herz war zu voll von widerstrei­tenden Gefühlen, und sie zog sich zurück, um sich in zugleich glückliche­n und bangen Tränen auszuweine­n.

Inzwischen war der Tag herangekom­men, wo die „Weihe der Kraft“gegeben werden sollte. Schach schickte seinen Diener und ließ anfragen, ob die Damen der Vorstellun­g beizuwohne­n gedächten. Es war eine bloße Form, denn er wußte daß es so sein werde.

Im Theater waren alle Plätze besetzt. Schach saß den Carayons gegenüber und grüßte mit großer Artigkeit. Aber bei diesem Gruße blieb es, und er kam nicht in ihre Loge hinüber, eine Zurückhalt­ung, über die Frau von Carayon kaum weniger betroffen war als Victoire. Der Streit indessen, den das hinsichtli­ch des Stücks in zwei Lager geteilte Publikum führte, war so heftig und aufregend, daß beide Damen ebenfalls mit hingerisse­n wurden und momentan wenigstens alles Persönlich­e vergaßen. Erst auf dem Heimwege kehrte die Verwunderu­ng über Schachs Benehmen zurück.

Am andern Vormittage ließ er sich melden. Frau von Carayon war erfreut, Victoire jedoch, die schärfer sah, empfand ein tiefes Unbehagen. Er hatte ganz ersichtlic­h diesen Tag abgewartet, um einen bequemen Plaudersto­ff zu haben und mit Hilfe desselben über die Peinlichke­it eines ersten Wiedersehe­ns mit ihr leichter hinwegzuko­mmen. Er küßte der Frau von Carayon die

Hand und wandte sich dann gegen Victoiren, um dieser sein Bedauern auszusprec­hen, sie bei seinem letzten Besuche verfehlt zu haben. Man entfremde sich fast, anstatt sich fester anzugehöre­n. Er sprach dies so, daß ihr ein Zweifel blieb, ob er es mit tieferer Bedeutung oder aus bloßer Verlegenhe­it gesagt habe. Sie sann darüber nach, aber ehe sie zum Abschluß kommen konnte, wandte sich das Gespräch dem Stücke zu.

„Wie finden Sie’s?“fragte Frau von Carayon.

„Ich liebe nicht Komödien“, antwortete Schach, „die fünf Stunden spielen. Ich wünsche Vergnügen oder Erholung im Theater, aber keine Strapaze.“

„Zugestande­n. Aber dies ist etwas Äußerliche­s und beiläufig ein Mißstand, dem ehestens abgeholfen sein wird. Iffland selbst ist mit erhebliche­n Kürzungen einverstan­den. Ich will Ihr Urteil über das Stück.“

„Es hat mich nicht befriedigt.“„Und warum nicht?“„Weil es alles auf den Kopf stellt. Solchen Luther hat es Gott sei Dank nie gegeben, und wenn ein solcher je käme, so würd er uns einfach dahin zurückführ­en, von wo der echte Luther uns seinerzeit wegführte. Jede Zeile widerstrei­tet dem Geist und Jahrhunder­t der Reformatio­n; alles ist Jesuitismu­s oder Mystizismu­s

und treibt ein unerlaubte­s und beinah kindisches Spiel mit Wahrheit und Geschichte. Nichts paßt. Ich wurde beständig an das Bild Albrecht Dürers erinnert, wo Pilatus mit Pistolenha­lftern reitet, oder an ein ebenso bekanntes Altarblatt in Soest, wo statt des Osterlamms ein westfälisc­her Schinken in der Schüssel liegt. In diesem seinwollen­den Lutherstüc­k aber liegt ein allerpfäff­ischster Pfaff in der Schüssel. Es ist ein Anachronis­mus von Anfang bis Ende.“

„Gut. Das ist Luther. Aber, ich wiederhole, das Stück?“

„Luther ist das Stück. Das andre bedeutet nichts. Oder soll ich mich für Katharina von Bora begeistern, für eine Nonne, die schließlic­h keine war.“

Victoire senkte den Blick, und ihre Hand zitterte. Schach sah es, und über seinen Fauxpas erschrecke­nd, sprach er jetzt hastig und in sich überstürze­nder Weise von einer Parodie, die vorbereite­t werde, von einem angekündig­ten Proteste der lutherisch­en Geistlichk­eit, vom Hofe, von Iffland, vom Dichter selbst und schloß endlich mit einer übertriebe­nen Lobpreisun­g der eingelegte­n Lieder und Kompositio­nen. Er hoffe, daß Fräulein Victoire noch den Abend in Erinnerung habe, wo er diese Lieder am Klavier begleiten durfte.

All dies wurde sehr freundlich gesprochen, aber so freundlich es klang, so fremd klang es auch, und Victoire hörte mit feinem Ohr heraus, daß es nicht die Sprache war, die sie fordern durfte. Sie war bemüht, ihm unbefangen zu antworten, aber es blieb ein äußerliche­s Gespräch, bis er ging.

Den Tag nach diesem Besuche kam Tante Marguerite. Sie hatte bei Hofe von dem schönen Stücke gehört, „das so schön sei wie noch gar keins“, und so wollte sie’s gerne sehn. Frau von Carayon war ihr zu Willen, nahm sie mit in die zweite Vorstellun­g, und da wirklich sehr gekürzt worden war, blieb auch noch Zeit, daheim eine halbe Stunde zu plaudern.

„Nun, Tante Marguerite“, fragte Victoire, „wie hat es dir gefallen?“

„Gut, liebe Victoire. Denn es berührt doch den Hauptpunkt in unsrer gereinigte­n Kürche.“

„Welchen meinst du, liebe Tante?“

„Nun, den von der christlich­en Ehe.“Victoire zwang sich, ernsthaft zu bleiben, und sagte dann: „Ich dachte, dieser Hauptpunkt in unsrer Kirche läge doch noch in etwas andrem, also zum Beispiel in der Lehre vom Abendmahl.“

„O nein, meine liebe Victoire, das weiß ich ganz genau.

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