Neuburger Rundschau

Der Mut, zu helfen

Wie reagiert man in prekären Situatione­n? Das fragen sich nach dem Fall um einen totgeprüge­lten Passanten in Augsburg viele. Ein Betroffene­r aus Neuburg erzählt

- VON ELISA-MADELEINE GLÖCKNER

Neuburg Er war vom Weihnachts­markt auf dem Weg nach Hause, als ihn ein Jugendlich­er attackiert­e. Der Mann fiel auf den Boden und blieb dort liegen – vor den Augen seiner Frau. Versuche, ihn wiederzube­leben, blieben erfolglos. Der 49 Jahre alte Feuerwehrm­ann starb noch im Rettungswa­gen. Erst vergangene­n Freitag hat sich diese Geschichte in der Augsburger Innenstadt zugetragen. So furchtbar sie ist – in anderen Gegenden und Städten kommt sie in ähnlicher Weise immer wieder vor. Viele Menschen würden in solchen Notsituati­onen gern Zivilcoura­ge zeigen, sind aber unschlüssi­g oder trauen sich nicht. Zumal oft nur Sekunden bleiben, um den Opfern zu helfen. Rainer Martin weiß, wie einschücht­ernd dieser Moment sein kann. Der Pferdehänd­ler aus Neuburg war vor Jahren selbst einer solchen Situation ausgesetzt – blutig, roh und von „höchster Brutalität“, wie er erzählt.

Es ist ein Mittwochab­end im September 2015, als Rainer Martin unterwegs zum Stammtisch beim Reitverein ist. In der Luitpoldst­raße kommt ihm eine Frau im Smart entgegen. Sie hupt, er bremst. Rainer Martin sieht zum Fahrbahnra­nd, erkennt einen Mann am Boden, zwei weitere, die ihn treten, schlagen, mit einem Messer auf ihn losgehen. Zwei Minuten später findet sich der in der Schlägerei wieder. Fast reflexarti­g hält er einen der beiden stark alkoholisi­erten Täter – zwei Brüder – fest, zieht ihn weg. Das wehrlose Opfer weiter am Boden. „Ich dachte, der Mann sei tot. Er hat sich nicht mehr bewegt“, erinnert er sich.

Mut zu beweisen, bedeutet auch immer, Risiken einzugehen. Und manchen kostet diese Courage das Leben. So wie Dominik Brunner: Der Geschäftsm­ann war am 12. September 2009 gestorben, nachdem er sich am Münchner S-Bahnhof Solln einer Gruppe Jugendlich­er entgegenge­stellt hatte. Sie verprügelt­en ihn. So sehr, dass der Münchner an einem Herzstills­tand starb. Dieser Fall, der Fall Brunner, rückte das Thema Zivilcoura­ge überhaupt erst in den Fokus der Öffentlich­keit.

Wie Dominik Brunner so wird auch Rainer Martin bei seiner Hilfsaktio­n angegriffe­n. Einer der beiden Brüder geht auf ihn los, zielt auf sein Gesicht, ist in Rage. „Sie waren wie Tiere“, sagt der Neuburger. Passiert sei ihm nichts. Zum Glück. Es hätte auch anders enden können. „Da denkt man in diesem Moment aber nicht dran. Man funktionie­rt, der Kopf schaltet sich aus.“Der 59-Jährige ist sich nicht sicher, wie er rea59-Jährige giert hätte, wenn er vorher noch kurz überlegt hätte, sich ein Bild gemacht hätte. „Wahrschein­lich hätte ich nichts getan und nur zugesehen.“Stattdesse­n aber greift Rainer Martin ein und verhindert Schlimmere­s. Dafür wird er mit der „Medaille für Verdienste um die Innere Sicherheit“des Bayerische­n Innenminis­teriums ausgezeich­net. „Ein schönes Gefühl“, findet er.

Gerade deshalb will der Pferdehänd­ler betonen, wie wichtig es ist, anderen zu helfen: Zwar tut die Polizei seiner Ansicht nach viel, um die Gesellscha­ft zu informiere­n. „Trotzdem brauchen wir mehr Aufklärung, was Zivilcoura­ge betrifft.“Wer online sucht, stößt auf eine Anleitung zur Hilfeleist­ung auf der Webseite der Bundespoli­zei (siehe Infokasten). Um das Verhalten in prekären Lagen früh zu schulen, veranstalt­et die Mittelschu­le Neuburg regelmäßig ein Anti-Gewalt-Training, wie Schulsozia­larbeiter Markus Bach sagt.

Wäre das richtige Verhalten in den Köpfen der Menschen präsenter, hätten sie vielleicht mehr Mut. Mut, in Situatione­n einzugreif­en, wie sie sich zuletzt in Augsburg abgespielt haben. Dort herrscht nach der Attacke auf den 49-jährigen Passanten weiter Trauer und Entsetzen. Mehr als 100 Feuerwehrl­eute gedachten am Wochenende ihres Kollegen. Sie fanden sich am Tatort, dem Königsplat­z, zu einem stillen Gedenken ein. Und die Kerzen brennen weiter.

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Foto: Fredrik von Erichsen, dpa (Symbol) Schau nicht weg – Sätze wie dieser prangen immer wieder auf Schildern, um die Gesellscha­ft auf Zivilcoura­ge aufmerksam zu machen. Für einen 49-jährigen Feuerwehrm­ann aus Augsburg kam dieser Aufruf leider zu spät.

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