Ein Ende mit Schrecken
Nach einem bundesweiten Aufschrei zieht sich Thüringens Ministerpräsident Kemmerich wieder zurück. Seine FDP strebt nun Neuwahlen an. Vorgänger Bodo Ramelow stünde bereit
Berlin/Erfurt Die Skandal-Wahl von Erfurt soll abgewickelt werden. Nach beispiellosem Druck aus ganz Deutschland hat Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich am Donnerstag seinen Rücktritt erklärt. Seine FDP strebt nun die Auflösung des Landtages und Neuwahlen an. Der Regierungschef amtierte aktiv 24 Stunden und damit so kurz wie nie. Geschäftsführend bleibt er weiter auf seinem Posten, den er mit den Stimmen der AfD errungen hatte. Die Thüringer sollen nun so wählen, dass eine vernünftige Mehrheit herauskommt. Vernünftig heißt aus Sicht der etablierten Parteien, dass die AfD in ihrem Ergebnis möglichst geschrumpft wird.
„Gestern hat die AfD mit einem perfiden Trick versucht, die Demokratie zu beschädigen“, sagte Kemmerich am Donnerstag. Was er verschwieg, war, dass ihm die in Thüringen radikal rechts stehende Partei bereits im November eine Koalition
angeboten hat. Ob die Thüringer wieder in die Wahllokale gerufen werden, ist derzeit offen. Für die Auflösung des Landtages sieht die Landesverfassung eine Zwei-Drittel-Mehrheit vor. Die Thüringer CDU widersetzt sich bislang dem energischen Dringen auf Neuwahlen von Kanzlerin Angela Merkel und Parteichefin Annegret KrampKarrenbauer. „Es darf in Thüringen weder Stillstand geben, noch sind Neuwahlen eine Antwort auf die entstandene Situation“, erklärte der Landesverband. Der Vorstand sprach am Abend mit 12:2 Stimmen Landeschef Mike Mohring sein Vertrauen aus. Mohring will, dass der gewählte Landtag einen Nachfolger für Kemmerich bestimmt.
Damit bleibt Thüringen für die Christdemokraten eine offene Wunde. Kramp-Karrenbauer – ohnehin angeschlagen – steckt tief im Schlamassel fest. Die Bundesspitze der Partei kommt deshalb am Freitag zu einer Sondersitzung zusammen.
Die AfD hat noch nicht bekannt gegeben, ob sie den Weg für Neuwahlen frei machen will. Die Abgeordneten können sich nicht sicher sein, ob sie erneut einziehen würden. Außerdem glaubt die Alternative für Deutschland, davon zu profitieren, politische Unruhe zu stiften.
Der Partei ist es gelungen, CDU und FDP in eine bedrohliche Lage zu stürzen. FDP-Chef Christian Lindner drohte mit Rücktritt, sollte Kemmerich seinen Posten nicht räumen. Am Freitag will er im Präsidium die Vertrauensfrage stellen. Das Fiasko in Thüringen ist Lindners zweite gravierende Fehlentscheidung nachdem er die Gespräche über die Bildung einer Koalition mit Union und Grünen hatte platzen lassen. Derzeit ist dennoch nicht vorstellbar, dass er abgestraft wird.
Weil es nicht sicher ist, ob der Landtag in Erfurt seine Selbstauflösung beschließen wird, bleibt noch eine zweite Option: Kemmerich kann die Vertrauensfrage stellen, die er dann geplant verlieren dürfte. Binnen drei Wochen müssen die
Abgeordneten einen Nachfolger wählen oder es käme dann automatisch zu Neuwahlen. In dem politischen Verwirrspiel könnte schlussendlich der gedemütigte Ex-Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) wie ein Phoenix aus der Asche zurückkehren. Ramelow hat erklären lassen, dass er es noch einmal wissen will. Er muss lediglich vier Stimmen aus dem Lager der gegnerischen Fraktionen holen, um gewählt zu werden. Im dritten Wahlgang reicht sogar die einfache Mehrheit.
Im Moment weiß keiner in Erfurt oder in Berlin, was genau in Thüringen passieren wird. Das Land könnte zum Labor für die gesamte Republik werden.
Gregor Peter Schmitz erklärt, warum die Vorgänge die Schwäche (fast) aller Parteien zeigen.
Auf zwei Seiten geht es um die Nöte der Parteichefs Christian Lindner und AKK, die Rolle der CSU und die Sicht der bayerischen FDP auf das Thüringer Trauerspiel.