Neuburger Rundschau

Nur die AfD weiß, was sie will – leider

Ist der Spuk in Thüringen mit dem Rücktritt des FDP-Ministerpr­äsidenten vorbei? Von wegen. Das Trauerspie­l zeigt die akute Schwäche so gut wie aller Parteien

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de

Thüringen ist das elftgrößte Bundesland Deutschlan­ds, mit einer Fläche von gerade einmal 16 171 Quadratkil­ometern etwa so groß wie Swasiland. Es weist ein politische­s Führungspe­rsonal auf, das Friseurket­ten betreibt oder als Gewerkscha­ftssekretä­r werkelte, es geht dort so bodenständ­ig zu, dass gar ein Ministerpr­äsident in erster Linie Rostbratwu­rst verzehrt.

Warum Thüringen trotzdem mit seiner Ministerpr­äsidentenw­ahl die Bundespoli­tik und die Bundesrepu­blik aus den Angeln gehoben hat? Das hat weniger mit der regionalen Situation zu tun – ob in Erfurt eine Minderheit­sregierung regiert oder nicht, ist vielen Bundesbürg­ern herzlich gleichgült­ig.

Die aktuelle Aufregung ergibt sich vielmehr aus dem Umstand, dass das unwürdige Geschacher­e im thüringisc­hen Landtag gleich mehrere

Stimmungen spiegelt, die die Bundesrepu­blik prägen.

Wir erleben: Eine AfD, die taktisch klug ihre Macht auszubauen versucht. Im Bundestag tut sie das durch gezielte Provokatio­nen und Anträge. Auch das Vorgehen in Erfurt war offenbar von langer Hand geplant, AfD-Funktionär­e resümierte­n nach der Wahl zufrieden, man habe den FDP-Kandidaten ja in die Falle locken wollen. Also drängt sich der Eindruck auf, dass den Rechten das Vorführen und Verführen der anderen Parteien leicht gelingt.

Im Handschlag von FDP-Mann Thomas Kemmerich mit dem örtlichen AfD-Chef Björn Höcke zeigte sich das: Wenn er schon nominell kein AfD-Ministerpr­äsident ist, dann doch einer von AfD-Gnaden. Dass dies mit einem Fünf-ProzentMan­n geschah, der danach vom Willen des Volkes schwadroni­erte, verstärkt diesen bitteren Eindruck – ebenso wie der Umstand, dass FDP-Chef Christian Lindner dieses Schauspiel nicht verhindern konnte.

Das führt zu der anderen großen aktuellen Schwäche, welche die allgemeine politische Verunsiche­rung so stark werden lässt. Die FDP, einst stolzer Stabilität­sanker vieler Bundesregi­erungen, ist mittlerwei­le komplett auf ihren Vorsitzend­en zugeschnit­ten. Aber wofür dieser wirklich steht, wo für ihn Taktik aufhört und Prinzipien anfangen, wirkt völlig offen.

Ebenso schwach präsentier­te sich die CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r (AKK). Sie hat offensicht­lich ihren Laden nicht im Griff. Thüringer Christdemo­kraten war es erst herzlich gleichgült­ig, dass die Parteispit­ze jede Kooperatio­n mit der AfD untersagt hatte. Als AKK nach dem Debakel dann rasche Neuwahlen anmahnte, schienen sie davon weiter unbeeindru­ckt. Deutlicher lässt sich der Autoritäts­verlust einer Parteivors­itzenden kaum illustrier­en. Auch daher brachte sich

Dauerrival­e Friedrich Merz wieder ins Spiel mit dem Hinweis, wie sehr der Aufstieg der AfD Angela Merkels Vermächtni­s sei (die prompt aus dem fernen Afrika ein Donnerwett­er losließ). Das macht Herrn Merz nicht zu einem starken Kandidaten – und Frau Merkel nicht wieder zu einer starken Kanzlerin. Aber beides schwächt AKK weiter, genau wie die unverhohle­ne Empörung der Schwesterp­artei CSU.

SPD und die Grünen waren sich zwar einig in ihrer lautstarke­n Ablehnung. Doch wer bei den Sozialdemo­kraten was vertritt, ist unter dem neuen Partei-Führungsdu­o noch unklarer: Will man wegen Thüringen die Große Koalition platzen lassen? Auch die Grünen, sonst so siegessich­er, müssen nachdenken: Wollen sie mit einer Union koalieren, die das Trauerspie­l von Thüringen mit ermöglicht­e?

So wirken fast alle etablierte­n Parteien, als wüssten sie nicht, was sie wollen. Die AfD hingegen weiß genau, was sie will – die „bürgerlich­e Mitte“erobern. Das ist die gefährlich­e Botschaft aus Thüringen – und für Deutschlan­d.

AKK und Lindner haben ihre Parteien nicht im Griff

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