Sylt statt Stuttgart
Die Grünen wollen die Schiene stärken. Doch weil ihr Verkehrsminister in Baden-Württemberg zögerte, bekommt die eingleisige Strecke nach Zürich keinen Extraschub. Stattdessen profitiert der Norden. Ein Lehrstück
Berlin/Stuttgart Die Bahnstrecke zwischen Stuttgart und Zürich ist ein Lehrstück dafür, warum es der Zug noch lange schwer haben wird gegen Auto und Flugzeug. Seit über 20 Jahren scheitert Deutschland daran, ein zweites Gleis zu verlegen, um beide Wirtschaftsmetropolen besser zu verbinden. Einst war die Gäubahn zweigleisig, bis die Franzosen nach dem Krieg einen Strang abbauen ließen. Jetzt ließ BadenWürttembergs Verkehrsminister Winfried Hermann eine Gelegenheit sausen, wenigstens etwas verlorene Zeit aufzuholen.
Der Grünen-Politiker entschied sich dagegen, die Strecke auf die Liste mit Projekten zu setzen, die schneller geplant und gebaut werden sollen. Das soll gelingen, indem sie nicht mehr per Planfeststellung genehmigt werden, sondern direkt durch Beschluss des Bundestages. Durch das sogenannte Maßnahmenvorbereitungsgesetz schuf das Parlament die rechtliche Grundlage dafür. „Der Landesverkehrsminister verpasst hier eine große Chance für die Gäubahn und damit für ganz Baden-Württemberg. Andere Bundesländer lachen über uns“, sagte der CDU-Verkehrspolitiker Felix Schreiner unserer Redaktion.
Der Abgeordnete aus Waldshut an der Schweizer Grenze ärgert sich besonders, dass andere Landesregierungen beherzter zugegriffen haben. Schleswig-Holstein sorgte zum Beispiel mit einer Kraftanstrengung dafür, dass die Marschbahn von Elmshorn nach Sylt jetzt schneller ein zweites Gleis bekommen könnte. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) setzte seine Leute in Berlin in Bewegung, damit das Projekt auf der Liste mit den deutschlandweit 13 prioritären Vorhaben landet. Sie bearbeiteten das Verkehrsministerium und die Verkehrspolitiker im Bundestag. Zuvor war die Verbindung
auf die Insel von der Liste gefallen, doch Günther gab nicht auf. Täglich pendeln 4000 bis 6000 Menschen nach Sylt, um dort zu arbeiten. Zeitweise kam jeder zweite Zug zu spät.
Winfried Hermann und sein Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) setzten niemanden in Bewegung. Zwar findet es auch Hermann unerträglich, dass es bei der Verlegung neuer Gleise in die Schweiz nicht vorwärtsgeht, er hat aber rechtliche Bedenken. Der Minister rechnet damit, dass gegen das Maßnahmengesetz geklagt wird, weil es die Beteiligung Betroffener beschränkt. „Damit besteht auch die Gefahr, dass Projekte wie die Gäubahn verzögert und nicht beschleunigt werden, falls sie in das Gesetz aufgenommen würden“, sagte Hermann unserer Redaktion.
Mit deutlichen Worten nahm sich der Grünen-Politiker hingegen Bahn und Bundesregierung vor. Denn immerhin für einen ersten Abschnitt zwischen Horb und Neckarhausen liegt eine Baugenehmigung vor. „Man kann einfach anfangen. Es ist völlig inakzeptabel, dass knapp zwei Jahre nach dem Planfeststellungsbeschluss der Ausbau noch immer nicht begonnen hat“, beschwert sich der 67-Jährige.
Deutschland steht bei der Gäubahn international im Wort. 1996 unterzeichnete die Bundesregierung einen Staatsvertrag mit der Schweiz. Zwei Gleise und Neigetechnikzüge sollten die Fahrzeit zwischen Stuttgart und Zürich auf 2 Stunden 15 Minuten verkürzen. Derzeit braucht ein Zug rund 3 Stunden. Häufig müssen die Reisenden unterwegs umsteigen. Die Schweiz hat ihren Teil des Vertrages erfüllt: Bis zur Grenze ist die Strecke fertig.