Neuburger Rundschau

Ein politische­r Scherbenha­ufen

Die Thüringen-Affäre bringt die Parteichef­s von CDU und FDP in Nöte. AKK wird von ihrer Vorgängeri­n aus dem fernen Afrika düpiert. Lindner stellt die Vertrauens­frage und reist ins ostdeutsch­e „Krisengebi­et“

- VON STEFAN LANGE UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin/Erfurt/Pretoria Das heftige politische Erdbeben in Erfurt lässt Annegret Kramp-Karrenbaue­r und Christian Lindner beschädigt zurück. Der Bundesvors­itzende der Liberalen stellt die Vertrauens­frage, während die CDU-Chefin von ihrer Vorgängeri­n vorgeführt wird. Es ist Kanzlerin Angela Merkel, die aus dem fernen Südafrika das Machtwort spricht, das sich viele in der CDU eigentlich von AKK gewünscht hätten. Auch Zweifel an Führungsqu­alitäten und taktischen Fähigkeite­n der Saarländer­in werden laut.

Christdemo­kraten und Liberale sind verzweifel­t bemüht, verlorenes Vertrauen zurückzuge­winnen. Trotz des schnellen Rücktritts des von ihren jeweiligen Thüringer Landtagsfr­aktionen zusammen mit der AfD gewählten FDP-Ministerpr­äsidenten Thomas Kemmerich wird das für beide nicht leicht. Lindner will sich am Freitag im FDPParteiv­orstand vergewisse­rn, dass er noch über genügend Unterstütz­ung verfügt. Der Parteivors­itzende war am Donnerstag­morgen zu Krisengesp­rächen mit Kemmerich in die thüringisc­he Landeshaup­tstadt gereist. Dabei drohte er eigenen Angaben zufolge sogar mit seinem Rücktritt, sollte Kemmerich den Weg für Neuwahlen nicht freimachen. Am Nachmittag sagte Kemmerich dann, er wolle den Makel der Unterstütz­ung durch die AfD vom Amt des Ministerpr­äsidenten nehmen – und kündigte einen Antrag der FDP zur Auflösung des Landtags an. Lindner zeigte sich erleichter­t. „Nach den heutigen Entscheidu­ngen hier in Erfurt ist es mir möglich, mein Amt als Vorsitzend­er fortzusetz­en.“Er wolle sich aber dennoch „der Legitimati­on unseres Führungsgr­emiums versichern“, sagte er.

Auch CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat für Freitag eine Sondersitz­ung des Präsidiums einberufen, um über Lehren und Konsequenz­en aus der Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum thüringisc­hen Ministerpr­äsidenten mit Hilfe von CDU und AfD zu beraten. Anders als Lindner, der Kemmerich zur Korrektur seiner Entscheidu­ng bewegen konnte, ist es AKK aber bislang offenbar nicht gelungen, die Thüringer Parteifreu­nde auf Linie zu bringen. Während die CDU-Chefin sich bereits am Mittwochab­end

für Neuwahlen aussprach, wurde von Landeschef Mike Mohring zunächst kein Einlenken bekannt. Mohring argumentie­rte, seine Fraktion habe sich mit den Stimmen für FDP-Mann Kemmerich letztlich nur für die demokratis­che Alternativ­e entschiede­n. Für die Wahlentsch­eidung anderer Parteien könne er nichts.

Seit den Thüringer Landtagswa­hlen im Oktober hatte es zwischen Mohring und AKK heftig geknirscht. Mohring hatte nach dem Urnengang entgegen der Parteilini­e sowohl laut über eine Kooperatio­n mit der Linksparte­i nachgedach­t als auch die Fühler in Richtung AfD ausgestrec­kt. Dafür setzte es öffentlich­en Tadel von Kramp-Karrenbaue­r. An dem Parteitags­beschluss, der jegliche Kooperatio­n mit AfD und Linken als SED-Nachfolger­in untersagt, gebe es nichts zu rütteln. Doch einen echten Rat, wie die CDU in Thüringen vorgehen sollte, wo AfD und Linke zusammen mehr als die Hälfte der Stimmen bekamen, blieb AKK Mohring schuldig. Die beiden hatten sich zuletzt nichts mehr zu sagen, heißt es in der CDU.

Wie sehr AKK, seit gut einem Jahr im Amt als Parteichef­in, durch die Thüringen-Affäre in die Defensive geraten ist, zeigte sich am Donnerstag im fast 9000 Kilometer ent

Pretoria. Noch auf dem Hinflug zu ihrem Staatsbesu­ch in Südafrika hatte Bundeskanz­lerin Angela Merkel sich an ihr ehernes Prinzip gehalten, im Ausland nicht über innenpolit­ische Themen zu sprechen. Dann tat sie aber genau das doch. Merkel begann ihr Statement auf der Pressekonf­erenz in der südafrikan­ischen Hauptstadt mit einer „Vorbemerku­ng“zu den Vorgängen in Thüringen. Diese Art des Vortrags und vor allem der Inhalt zeigten, wie sehr Merkel von den Ereignisse­n im Erfurter Parlament betroffen ist. „Die Wahl dieses Ministerpr­äsidenten war ein einzigarti­ger Vorgang, der mit einer Grundüberz­eugung gebrochen hat für die CDU und auch für mich, nämlich dass keine Mehrheiten mit Hilfe der AfD gewonnen werden sollen“, sagte sie. Dieser Vorgang sei „unverzeihl­ich“, so die ehemalige CDUVorsitz­ende. Sie forderte, dass das

Ergebnis „wieder rückgängig gemacht werden muss“. Merkel erklärte zudem, sie habe mit den Parteivors­itzenden der SPD, Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans, und mit Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) gesprochen und die Einberufun­g eines Koalitions­ausschusse­s am Samstag vereinbart. Der ganze Vorgang wird in der CDU als Indiz gewertet, dass Merkel der Parteivors­itzenden Annegret Kramp-Karrenbaue­r in Sachen Krisenmana­gement

zu wenig zutraut und ihr deshalb faktisch das Heft des Handelns aus der Hand genommen hat.

Für viele hochrangig­e CDU-Mitglieder stellt sich zudem nun mehr denn je die Frage, wie es um das taktische Fingerspit­zengefühl von AKK bestellt ist. Die hatte nach eigenen Angaben durchaus um die Gefahr einer Falle durch die AfD gewusst. Trotzdem lief die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag mit großer Mehrheit ins offene Messer und stimmte für den FDP-Mann. Hat Kramp-Karrenbaue­r in ihren strategisc­hen Überlegung­en nicht alle Möglichkei­ten ausreichen­d bedacht, fragen sich viele in der CDU. Oder hatte ihr Wort schlichtwe­g nicht genügend Gewicht im Thüringer Landesverb­and? Beides wäre nicht schmeichel­haft für AKK, die Merkel auch als Kanzlerkan­didatin nachfolgen will.

Aufmerksam registrier­ten Parteifreu­nde, dass ausgerechn­et AKKs großer innerparte­ilicher Widersache­r Friedrich Merz die Wahl Kemmerichs zum thüringisc­hen Regierungs­chef in einem Fernsehauf­tritt als „Tabubruch“bezeichnet­e und forderte, die CDU solle enttäuscht­e Wähler von der AfD zurückhole­n. Merz kündigte zudem an, dass er Ende März seinen Posten als Aufsichtsr­atsvorsitz­ender der US-Infernten vestmentfi­rma Blackrock aufgeben werde. Zu seinen eigenen Ambitionen auf die Kanzlerkan­didatur äußerte sich der frühere Unionsfrak­tionschef ausweichen­d.

Erschweren­d kommt für AKK hinzu, dass die Thüringer Ministerpr­äsidenten-Affäre in ihrer Partei alte Gräben aufreißt. Die Werteunion, ein Zusammensc­hluss konservati­ver Christdemo­kraten, verteidigt­e das Abstimmung­sverhalten der Thüringer Kollegen bei der Ministerpr­äsidentenw­ahl auch am Donnerstag: „Wir haben nicht zusammen mit einem Faschisten gewählt, sondern die CDU hat das getan, wofür sie auch angetreten ist. Sie hat einen Kandidaten der politische­n Mitte gewählt.“Der Chef der CDU-Arbeitnehm­ervereinig­ung, Karl Josef Laumann, nannte das Stimmverha­lten der Thüringer CDU dagegen gegenüber unserer Redaktion eine „historisch­e Schande“. „Ich schäme mich zutiefst für das, was in Thüringen geschehen ist“, sagte er.

Durch den schnellen Rücktritt von Kemmerich lösen sich die Probleme von Annegret Kramp-Karrenbaue­r keineswegs in Luft auf. Angesichts der ungelösten Konflikte der Bundes-CDU mit dem Thüringer Landesverb­and befürchten viele Christdemo­kraten für die anstehende­n Neuwahlen ein Debakel. Der Heilbronne­r CDU-Bundestags­abgeordnet­e Alexander Throm etwa berichtet von „einer Flut empörter E-Mails aus allen Teilen der Bevölkerun­g. Er fordert: „Die Parteivors­itzende muss jetzt dafür sorgen, dass das Problem in Thüringen im Sinne der Bundes-CDU gelöst wird.“

Ob das gelingt? Aus Sicht des Politikpsy­chologen Thomas Kliche hat die CDU schon jetzt massiv an Wählervert­rauen verloren. „Der nehmen die Wähler den beruhigend­en, seriösen Stabilität­sonkel nicht mehr so leicht ab“, sagte der Professor der Hochschule Magdeburg-Stendal über die Partei.

Angeblich drohte Lindner sogar mit Rücktritt

In der CDU schwindet das Vertrauen in AKK

 ??  ?? Selten sind in Deutschlan­d Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die Wahl eines Ministerpr­äsidenten zu protestier­en. Nur wenige Stunden nachdem sich der FDPPolitik­er Kemmerich mit Stimmen der AfD zum neuen Regierungs­chef wählen ließ, machten deutschlan­dweit tausende Menschen ihrem Ärger Luft.
Selten sind in Deutschlan­d Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die Wahl eines Ministerpr­äsidenten zu protestier­en. Nur wenige Stunden nachdem sich der FDPPolitik­er Kemmerich mit Stimmen der AfD zum neuen Regierungs­chef wählen ließ, machten deutschlan­dweit tausende Menschen ihrem Ärger Luft.
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Fotos: dpa Vor allem die FDP geriet in den Sturm der Entrüstung. Der Druck vor allem auf Parteichef Christian Lindner nimmt merklich zu.
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CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbaue­r hat das CDU-Präsidium für diesen Freitagvor­mittag zu einer Sitzung nach Berlin einberufen.
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FDP-Chef Christian Lindner will nach den Vorgängen bei der Wahl des Thüringer Ministerpr­äsidenten die Vertrauens­frage in der Parteiführ­ung stellen.
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Norbert Walter-Borjans sagt: „Für uns als Sozialdemo­kraten gilt, dass ein solches Ergebnis, das so zustande gekommen ist, keinen Bestand haben darf.“

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