Hollywood ist ärmer
Nicht zuletzt, weil der Filmstar Kirk Douglas jetzt mit 103 Jahren gestorben ist, stellt sich die Frage: Wo sind die Kerle, die zum Schurken, Idealisten, aber selten zum Helden taugen?
Kann man diese Bilder aus Amerika vergessen, die von einem Zeitungsjournalismus erzählen, in dem noch Extrablätter an der Tagesordnung waren? Schon gar nicht einen coolen Reporter wie Charles Tatum aus dem Billy-Wilder-Film „Reporter des Satans“, den elf Zeitungen vor die Tür gesetzt haben. Und der sich trotzdem für den Größten hält. Wie er beim Albuquerque Sun-Bulletin einfällt, sich am Schreibmaschinenwagen – ja, den gab es mal –, eine Zigarette anzündet und sich lustig macht über das Firmenmotto („Schreib die Wahrheit“), das die ältliche Sekretärin ans Fenster gestickt hat. „Großartig formuliert. Wenn mir so was mal einfällt, müssen Sie’s mir sticken.“
Kirk Douglas ist ein großartiger Reporter des Satans: Er verzögert die Rettungsarbeiten für einen in einer Grube Verschütteten und bewirkt mit seinen Berichten, dass ein der Sensationsgier verfallenes Publikum in Scharen in dem Kaff einfällt. „Ich mache aus der kleinsten Nachricht eine Sensation“, tönt der Boulevard-Journalist, „… ist keine da, erfinde ich sie.“
Kann man diese Bilder vergessen? Nein, ebenso wenig wie die aus dem Western „Einsam sind die Tapferen“. Da liegt ein Cowboy nach einem Verkehrsunfall mit schmerzverzerrtem Blick auf der Straße. Plötzlich fällt ein Schuss, der den „Western“zu einem traurigen Höhepunkt bringt. Denn Jack Burns (Kirk Douglas) weiß sofort, dass sein Gefährte, das Pferd Whiskey, soeben erschossen und so erlöst wurde. Pferd und Reiter waren irrwitzigerweise auf einen Highway geraten. Ein PS ist halt zu wenig gegen zu viele Pferdestärken. Eigentlich hätte der US-Western mit diesem Film 1961 ein würdiges Finale gefunden: ein PS kontra einen mit Kloschüsseln überladenen Laster. Ein symbolkräftiges Ende für ein uramerikanisches Genre.
Nein, man kann diese Bilder nicht vergessen. Und schon gar nicht Kirk Douglas, der im Gnadenalter von 103 Jahren gestorben ist. Wie stolz ist seine Familie auf den Patriarchen: „Er hat so viel geleistet“, hatte sein Sohn Michael Douglas, selbst ein Kinoheld, vor kurzem zugegeben. „Ich für meinen Teil weiß sehr wohl, was ich meinem Vater schuldig bin.“Dass der heute 75-Jährige Karriere in Hollywood machte, daran hatte der Papa mit dem großen Namen seinen Anteil.
Zuletzt trennten Vater und Sohn allerdings etliche Flugstunden. Kirk wohnte in Kalifornien, Michael, Ehefrau Catherine Zeta-Jones und deren Familien an der Ostküste der USA. Angesichts des hohen Alters des Schauspiel-Veteranen lag schon lange ein Plan für einen möglichen Notfall vor. Der Privatarzt der Douglas-Familie sei 24 Stunden auf Abruf gewesen, erzählte Michael, und wohne nur einen Steinwurf von der Kirk-Douglas-Familie entfernt. Als der im Rollstuhl sitzende Star an seinem 102. Geburtstag gefragt wurde, ob ihm das Alter zu schaffen mache, antwortete der augenzwinkernd: „Ich dachte nie, dass ich über 100 werde, aber ich verkrafte es schon.“
Kein Star der ersten HollywoodGarde ist so alt geworden wie Kirk Douglas. Schon Ende 1995 hatte der Filmstar einen Schlaganfall erlitten. Das Leben danach und die daraus folgenden Sprechbehinderungen wurden zum Thema des Films „Diamonds“. Darin spielt Kirk Douglas einen ehemaligen Boxer, der an den Folgen eines Schlaganfalls leidet und versucht, zusammen mit anderen einen Schatz zu finden. In zwei Büchern beschrieb der private Douglas, wie ein beinahe tödlicher Flugzeugabsturz und der Schlaganfall sein Leben so verändert hatten, dass er wieder zu seinen jüdischen Wurzeln zurückfand. Danach verkaufte er auch seine Kunstsammlung und gründete zwei Stiftungen für Kinder in Jerusalem.
„Einsam sind die Tapferen“ist der Lieblingsfilm von Kirk Douglas, der schon immer Schauspieler werden wollte. Geboren am 9. Dezember 1916 als Yssur Danielowitsch Demsky in Amsterdam (im USBundesstaat New York), war er Kind mittelloser jüdischer Bauern, die aus dem Kaukasus in die USA eingewandert waren, und wuchs mit sechs älteren Schwestern in großer
Armut auf. Dank eines RingkampfStipendiums graduierte er 1939 zum „Bachelor of Arts“. Auf Empfehlung seiner Kommilitonin Lauren Bacall, die später Humphrey Bogart heiratete, spielte Demsky ab 1941 kleinere Rollen am Broadway – unter dem Künstlernamen Kirk Douglas. Die Bacall hatte auch bei seinem ersten Kinofilm ihre Finger mit im Spiel: An der Seite von Barbara Stanwyck war er der alkoholsüchtige Ehemann, den in „Die seltsame Liebe der Martha Ivers“seine herrische Ehefrau dominierte.
In den 40er Jahren hatte Douglas im Melodram und im Gangsterfach überzeugt. Etwa als der seine geheimnisvolle Freundin suchende Kriminelle in „Goldenes Gift“, einem Meisterwerk des „Film noir“. Zwar waren Schauspieler in Zeiten des Hollywood-Studiosystems Bossen wie Jack Warner, Harry Cohn und Sam Goldwyn ausgeliefert, aber etliche Stars wie Kirk Douglas machten das Beste aus den Rollenzwängen, bevor sie selbstständig wurden. Mit seinem höhnischen Blick und seiner Virilität machte er sogar Kollegen wie John Wayne, James Stewart, Gary Cooper und Randolph Scott Konkurrenz.
Jahrzehnte später, als Monumentalfilme mit dem Fernsehen konkurrieren mussten, versuchte sich auch Kirk Douglas am „Sandalenfilm“. Er war in Stanley Kubricks „Spartacus“ein aufrührerischer Gladiator. Sein verlängerter Stiftenkopf und die Körpergröße (1,75 Meter) wollten nicht so recht ins Bild eines Leinwandhelden von 1,90 Meter plus passen, wie ihn etwa Charlton Heston verkörperte.
Aber wie Spartacus hat sich auch Douglas nie dem Druck von oben gebeugt. Er setzte für die Großproduktion Dalton Trumbo als Drehbuchschreiber durch, obwohl der auf der schwarzen Liste der geächteten kommunistischen Künstler stand und damit Berufsverbot hatte.
Der Meisterregisseur Kubrick und Douglas verstanden sich. Bei dem 1957 in Bayern gedrehten Antikriegsfilm „Wege zum Ruhm“agiert der Schauspieler als der französische Colonel Dax im Ersten Weltkrieg, der als gelernter Strafverteidiger vergeblich versucht, seine Soldaten zu retten – eine vielschichtige Glanzleistung von Kirk Douglas.
Im Jahr 2001 wurde der Altstar in Berlin mit dem Goldenen Bären geehrt. Seinen Dank stattete er in Deutsch ab. Schließlich war seine zweite Ehefrau Anne gebürtige Hannoveranerin.
Was hat den Schauspieler ausgezeichnet? Da waren seine liberale Haltung, dieser strahlende DouglasBlick, die unterdrückte Aggressivität und die gefletschten Zähne. In „Zwei rechnen ab“ist der Schauspieler der Ex-Dentist Doc Holliday, ein fast schon mythologisch angelegter Spieler und Trunkenbold, der schnell mit dem Colt ist, sich aber nach und nach zu Tode trinkt.
Kritiker schätzten das Künstlerporträt „Vincent van Gogh – Ein Leben in Leidenschaft“, seinen machtbesessenen Filmproduzenten in „Stadt der Illusionen“und die 1986 entstandene Gangsterkomödie „Archie und Harry – Sie können’s nicht lassen“(mit seinem „Buddy“Burt Lancaster). 2003 stand Douglas für „Es bleibt in der Familie“zum ersten Mal mit Sohn Michael und Enkel Cameron vor der Kamera. Zum strahlenden Helden taugte der Mann mit der Delle im Kinn nicht. Aber seine Charaktere zeigten nach außen kaum Schwäche, als ob sie niemals Angst hätten, über den Tisch gezogen zu werden. Wo sind heute die Bösewichte, die gleichzeitig auch sympathisch sein können?
Wer wie Douglas ein wahrer kämpferischer Hollywood-Mann ist, kann mit Donald Trump nichts anfangen. „Ich bin immer noch ein Liberaler und kämpfe für die Dinge, an die ich mein Leben lang geglaubt habe“, erklärte Douglas vor seinem 102. Geburtstag. Bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten fühlte er sich gar an Hitler erinnert.
Einen „richtigen“Oscar hat er nie bekommen, nur den geringer geschätzten 1996 für das Lebenswerk. Dass Sohn Michael mit dem Akademie-Preis als bester Schauspieler („Wall Street“) und dem Produzenten-Oscar für „Einer flog übers Kuckucksnest“gekrönt wurde, machte den Daddy aber nicht eifersüchtig, sondern stolz.