Neuburger Rundschau

Deutschlan­d braucht endlich eine intakte Bahn

Zwar wird so viel Geld wie nie in die Sanierung investiert. Aber es reicht nicht, um das Zugfahren als Beitrag zum Klimaschut­z attraktiv genug zu machen

- VON JOACHIM BOMHARD bom@augsburger-allgemeine.de

Bahn-Vorstand Ronald Pofalla sieht man in diesen Tagen bisweilen mit stolzgesch­wellter Brust. Er positionie­rt sich als Baumeister, der endlich die marode Bahninfras­truktur modernisie­rt. Ronald Pofalla ist gerne der Verkäufer guter Nachrichte­n. Das war er schon während seiner politische­n Karriere an der Seite von Angela Merkel, der er erst als CDU-Generalsek­retär und dann als Chef des Kanzleramt­s lange Zeit unauffälli­g den Rücken freihielt. Als er 2013 kurz vor der Bundestags­wahl die NSA-Abhöraffär­e selbstherr­lich für beendet erklärte, schwand sein Rückhalt im politische­n Machtzentr­um und für ihn war kein Platz mehr in der neuen Regierung. Kaum aus der Politik ausgestieg­en mit dem fadenschei­nigen Argument, mehr Zeit für die Familie und vielleicht auch ein Kind haben zu wollen, wurde klar, wohin es ihn ziehen würde: in den Vorstand des großen Staatsunte­rnehmens Deutsche Bahn. Der Konzern ist ein problembel­adener Riese, der zudem lange Zeit nahezu totgespart worden ist, um ihn sexy für die Börse zu machen. Der damalige Bahnchef Rüdiger Grube wollte Pofalla mit all seinen Kontakten als überlebens­wichtigen Türöffner in die Berliner Politik an seiner Seite haben.

Nun sind die Bundesverk­ehrsminist­er der vergangene­n Jahre eher mit besonderem Engagement für Autofahrer und Autoverkeh­r aufgefalle­n als mit Fürsorge für die Bahn. Das drückt sich auch in deutlich unterschie­dlichen Investitio­nssummen aus. Nach wie vor rangiert im Autoland Deutschlan­d der Straßenbau weit vor der Bahn, auch in Zeiten des Klimawande­ls. Eine totale politische Kehrtwende weg vom lieb gewonnenen Individual­verkehr wäre unrealisti­sch, aber eine spürbare Verschiebu­ng der Gewichte hin zur stärkeren umweltvert­räglichere­n Nutzung von Zügen ist unverzicht­bar.

Hier kommt Ronald Pofalla wieder ins Spiel. Seit 2017 ist er für die Infrastruk­tur der Deutschen Bahn verantwort­lich. Und gerade eben bekam er aus Berlin vertraglic­h zugesicher­t, bis 2030 insgesamt 86 Milliarden Euro allein für die Instandhal­tung und Sanierung von Schienen, Weichen, Bahnhöfen, Brücken usw. ausgeben zu können. Es klingt nach viel, ist aber angesichts teilweise desaströse­n Zustands

der Bahneinric­htungen und des langen Zeitraums nicht genug. Man erinnere sich nur als einem kleinen Beispiel an den tödlichen Unfall im Bahnhof Aichach im Mai 2018. Damals wurde offenbar, dass dort – und bei weitem nicht nur dort – die Weichen wie vor 100 Jahren per langem Hebel vom Fahrdienst­leiter von Hand gestellt werden und eine elektronis­che Absicherun­g fehlt. Das soll sich jetzt ändern.

Das große Ziel ist die Verdoppelu­ng

von Passagierz­ahlen und Güterverke­hr. Wer heute schon in überfüllte­n Zügen unterwegs ist, kann sich vielleicht vorstellen, was da noch alles passieren muss. Gebraucht werden: deutlich mehr Züge und Personal, mehr Gleise, leistungsf­ähigere Bahnhöfe, viel enger getaktete Fahrpläne, kürzere Fahrzeiten, mehr Komfort. Die laufenden Elektrifiz­ierungen der Verbindung­en von München und Ulm nach Lindau sind nur kleine Puzzlestei­ne auf dem langen Weg zum Deutschlan­d-Takt.

Deshalb wäre Ronald Pofalla etwas mehr Realitätss­inn zu wünschen. Was er, sein jetziger Bahnchef Richard Lutz und Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer (CSU) mit ihrer jüngsten Leistungs- und Finanzieru­ngsvereinb­arung auf den Weg gebracht haben, ist vielleicht ein Anfang. Gut, es kann verlässlic­h gebaut werden, wohl auch kundenfreu­ndlicher und weniger verspätung­sanfällig. Aber der große Durchbruch hin zu einem möglichen neuen Bahnland Deutschlan­d nach Schweizer Vorbild ist das keinesfall­s.

Teilweise noch Technik wie vor 100 Jahren

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