Medizinische Strümpfe dürfen auch bunt sein
Die Julius Zorn GmbH in Aichach – kurz Juzo – stellt seit über 100 Jahren Produkte für die Kompressionstherapie her. Das Unternehmen liefert in alle Welt. Für die Patienten bedeutet das mehr Lebensqualität
Aichach Kompressionsstrümpfe waren früher als „Gummistrümpfe“bekannt und meistens farblich unauffällig. Doch die Firma Julius Zorn GmbH – kurz Juzo – hat Farbe in die Welt der medizinischen Hilfsmittel gebracht. Das Unternehmen ist seit mehr als 100 Jahren tätig – die meiste Zeit davon in Aichach. Mit Uwe Schettler und seiner Cousine Annerose Zorn-West führen zwei Urenkel des Gründers das Familienunternehmen. Von den weltweit 1100 Mitarbeitern arbeiten 750 in Aichach. Juzo ist damit der größte private Arbeitgeber der Stadt.
Aus Gummi sind die Kompressionsstrümpfe und anderen Hilfsmittel schon lange nicht mehr. Moderne Fasern machen sie haltbarer und vermeiden Latex-Allergien. Elastische Fäden werden mit Textilfäden umsponnen. Über den Werkstoff sagt Schettler: „Es ist irre, was man in Textil machen kann.“Die Leidenschaft für die eigenen Produkte zieht sich durch die Firmengeschichte. Julius Zorn, der das Unternehmen 1912 im thüringischen Zeulenroda gründete, hat sieben Jahre später die Produktion medizinischer Kompressionsstrümpfe revolutioniert: Die Strümpfe wurden erstmals nicht mehr gewirkt, sondern gestrickt. Sein Enkel HansJulius Zorn wagte 1949 in Aichach einen Neuanfang. Uwe Schettler sagt über seinen Onkel: „Hans-Julius Zorn hat sein Produkt geliebt.“Auch er brachte Innovationen auf den Weg und war, wie Schettler sagt, maßgeblich an der Definition der Qualitätsstandards beteiligt, die ein Kompressionshilfsmittel haben muss, um von der Krankenkasse bezahlt zu werden. Die Produkte sollen die Beschwerden der Patienten, die sie benötigen, lindern und ihnen mehr Lebensqualität verschaffen. Sie sollen wieder Freude an Bewegung haben. Zum Einsatz kommen die Kompressionsprodukte in der Phlebologie, also bei Gefäßerkrankungen wie den weit verbreiteten Krampfadern, in der Lymphologie bei Erkrankungen wie dem Lymphödem, und beim Lipödem, einer krankhaften Ansammlung von Fettzellen im Gewebe. Dazu kommen Bandagen und Orthesen, die nach Verletzungen des Bewegungsapparats zum Einsatz kommen und zum Beispiel Gelenke stabilisieren.
Unter dem Namen EquiCrown
Juzo medizinische Kompressionsbandagen für Pferde her.
Nach großflächigen Verbrennungen und Verbrühungen, Operationen oder Hauttransplantationen verhindern Kompressionsmittel aus der Flachstrickerei, dass wuchernde Narben bleiben. Die Therapie ist langwierig. Besonders für Kinder ist das schlimm. Damit sie bei der Stange bleiben, hat Juzo sich etwas einfallen lassen: Julius, den kleinen Helfer. Das lustige Unterwasserwesen soll den Kindern Mut machen
und sie unterstützen. Auf einer Internetseite finden sie Informationen über die Haut und die Therapie, aber auch Hörbücher, Spiele und Malvorlagen. Produkte für Spezialanwendungen wie die Narbentherapie liefert Juzo auch an Kliniken in Hongkong und Shanghai.
Auch die Erwachsenen sollen die Produkte möglichst gern tragen, damit die Therapie Erfolg hat. Die Kompressionsmittel sind oft gar nicht als solche zu erkennen. Es gibt sie in vielen Farben. An Tragekomstellt
fort und neuen Lösungen wird ständig gefeilt. Die Strickerei arbeitet sowohl im Rundstrick- als auch im Flachstrick-Verfahren. In der Rundstrickerei entstehen nahtlose Produkte, in der Flachstrickerei neben Strümpfen und Bandagen auch Hilfsmittel für die Spezialversorgung mit Naht. Maßanfertigungen, auf die kranke Patienten oft dringend in einer Klinik warten, werden in der Regel 24 Stunden nach der Bestellung ausgeliefert. Bis zu 2000 am Tag.
Das ist ein Grund, warum das Unternehmen noch nie daran gedacht hat, im billigeren Ausland zu fertigen. Die Produkte könnten in dieser Qualität in Asien nicht hergestellt werden, sagt Schettler. Das eigene Know-how gibt Juzo bei Symposien, Fachveranstaltungen und Fortbildungen weiter. In den vergangenen zehn Jahren habe das Unternehmen „eine extrem gute Entwicklung“genommen, berichtet der Geschäftsführer. Umsatzzahlen nennt die Firma nicht. In ihrem
Kernbereich sieht Schettler Juzo aber mit in der Spitzengruppe, international unter den ersten fünf, sechs Plätzen. Die weltweite Ausrichtung, die Hans-Julius Zorn mit einem Werk in den USA begonnen hat, haben Schettler und Zorn-West massiv ausgebaut, „um nicht von einem politischen System abhängig zu sein“.
Juzo wächst. 2013 hat das Unternehmen eine neue Produktions- und Lagerstätte mit 15000 Quadratmetern bezogen. Jetzt ist der Erweiterungsbau mit fast noch einmal so viel Fläche fast fertig und bezogen, während im Bestandsgebäude umgebaut wird. Die Erweiterung nutzt das Unternehmen für eine Neuordnung der einzelnen Bereiche, damit die Wege für die Mitarbeiter möglichst kurz sind. Gedacht war die Erweiterung für die nächsten zehn bis zwölf Jahre. Jetzt sagt Schettler: „Schau’n wir mal ...“.
Trotz des Wachstums sei Juzo nach wie vor ein Familienunternehmen, betont Schettler. „Mit allen Vor- und Nachteilen.“Die Arbeit hier sei emotionalisierter, intensiver. Jeder habe die Möglichkeit mitzugestalten. „Das muss ich als Mitarbeiter mögen“, sagt er und fügt hinzu: „Auch als Vorgesetzter.“Die Beschäftigten sind treu. Ganze Familiendynastien arbeiten hier. Bei der jüngsten Jubilarehrung standen fast 500 Jahre „Juzo-Erfahrung“auf der Bühne. Dass sich auch die Mitarbeiter als Familie begreifen, zeigte sich beim Umzug mit den schweren Strickmaschinen in den Erweiterungsbau: Vier Tage waren dafür angesetzt. Die 100 freiwilligen Helfer stemmten ihn in anderthalb Tagen. Schettler hebt den hohen Qualitätsanspruch und die ständige Suche nach Innovationen hervor. Dazu brauche es extrem motivierte Mitarbeiter. Um die Zukunft ist dem Geschäftsführer nicht bange. Die nächste Generation der Familie arbeitet zum Teil schon im Unternehmen. Seit Januar haben er und ZornWest Unterstützung durch Jürgen Gold, der in die Geschäftsführung aufgerückt ist. Gold ist auch Vorsitzender der Eurocom, der Herstellervereinigung für Kompressionstherapie und orthopädische Hilfsmittel. Die Leistungsfähigkeit vor allem in der Kompressionstherapie sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft, glaubt Schettler. Sätze wie „Das geht nicht“sieht er als Ansporn. „Wir stellen nicht nur Textilien her, sondern Lösungen“, sagt Schettler. „Was man am Patienten bewirken kann, das macht den Reiz aus und die Motivation.“