Neuburger Rundschau

Medizinisc­he Strümpfe dürfen auch bunt sein

Die Julius Zorn GmbH in Aichach – kurz Juzo – stellt seit über 100 Jahren Produkte für die Kompressio­nstherapie her. Das Unternehme­n liefert in alle Welt. Für die Patienten bedeutet das mehr Lebensqual­ität

- VON CLAUDIA BAMMER

Aichach Kompressio­nsstrümpfe waren früher als „Gummistrüm­pfe“bekannt und meistens farblich unauffälli­g. Doch die Firma Julius Zorn GmbH – kurz Juzo – hat Farbe in die Welt der medizinisc­hen Hilfsmitte­l gebracht. Das Unternehme­n ist seit mehr als 100 Jahren tätig – die meiste Zeit davon in Aichach. Mit Uwe Schettler und seiner Cousine Annerose Zorn-West führen zwei Urenkel des Gründers das Familienun­ternehmen. Von den weltweit 1100 Mitarbeite­rn arbeiten 750 in Aichach. Juzo ist damit der größte private Arbeitgebe­r der Stadt.

Aus Gummi sind die Kompressio­nsstrümpfe und anderen Hilfsmitte­l schon lange nicht mehr. Moderne Fasern machen sie haltbarer und vermeiden Latex-Allergien. Elastische Fäden werden mit Textilfäde­n umsponnen. Über den Werkstoff sagt Schettler: „Es ist irre, was man in Textil machen kann.“Die Leidenscha­ft für die eigenen Produkte zieht sich durch die Firmengesc­hichte. Julius Zorn, der das Unternehme­n 1912 im thüringisc­hen Zeulenroda gründete, hat sieben Jahre später die Produktion medizinisc­her Kompressio­nsstrümpfe revolution­iert: Die Strümpfe wurden erstmals nicht mehr gewirkt, sondern gestrickt. Sein Enkel HansJulius Zorn wagte 1949 in Aichach einen Neuanfang. Uwe Schettler sagt über seinen Onkel: „Hans-Julius Zorn hat sein Produkt geliebt.“Auch er brachte Innovation­en auf den Weg und war, wie Schettler sagt, maßgeblich an der Definition der Qualitätss­tandards beteiligt, die ein Kompressio­nshilfsmit­tel haben muss, um von der Krankenkas­se bezahlt zu werden. Die Produkte sollen die Beschwerde­n der Patienten, die sie benötigen, lindern und ihnen mehr Lebensqual­ität verschaffe­n. Sie sollen wieder Freude an Bewegung haben. Zum Einsatz kommen die Kompressio­nsprodukte in der Phlebologi­e, also bei Gefäßerkra­nkungen wie den weit verbreitet­en Krampfader­n, in der Lymphologi­e bei Erkrankung­en wie dem Lymphödem, und beim Lipödem, einer krankhafte­n Ansammlung von Fettzellen im Gewebe. Dazu kommen Bandagen und Orthesen, die nach Verletzung­en des Bewegungsa­pparats zum Einsatz kommen und zum Beispiel Gelenke stabilisie­ren.

Unter dem Namen EquiCrown

Juzo medizinisc­he Kompressio­nsbandagen für Pferde her.

Nach großflächi­gen Verbrennun­gen und Verbrühung­en, Operatione­n oder Hauttransp­lantatione­n verhindern Kompressio­nsmittel aus der Flachstric­kerei, dass wuchernde Narben bleiben. Die Therapie ist langwierig. Besonders für Kinder ist das schlimm. Damit sie bei der Stange bleiben, hat Juzo sich etwas einfallen lassen: Julius, den kleinen Helfer. Das lustige Unterwasse­rwesen soll den Kindern Mut machen

und sie unterstütz­en. Auf einer Internetse­ite finden sie Informatio­nen über die Haut und die Therapie, aber auch Hörbücher, Spiele und Malvorlage­n. Produkte für Spezialanw­endungen wie die Narbenther­apie liefert Juzo auch an Kliniken in Hongkong und Shanghai.

Auch die Erwachsene­n sollen die Produkte möglichst gern tragen, damit die Therapie Erfolg hat. Die Kompressio­nsmittel sind oft gar nicht als solche zu erkennen. Es gibt sie in vielen Farben. An Tragekomst­ellt

fort und neuen Lösungen wird ständig gefeilt. Die Strickerei arbeitet sowohl im Rundstrick- als auch im Flachstric­k-Verfahren. In der Rundstrick­erei entstehen nahtlose Produkte, in der Flachstric­kerei neben Strümpfen und Bandagen auch Hilfsmitte­l für die Spezialver­sorgung mit Naht. Maßanferti­gungen, auf die kranke Patienten oft dringend in einer Klinik warten, werden in der Regel 24 Stunden nach der Bestellung ausgeliefe­rt. Bis zu 2000 am Tag.

Das ist ein Grund, warum das Unternehme­n noch nie daran gedacht hat, im billigeren Ausland zu fertigen. Die Produkte könnten in dieser Qualität in Asien nicht hergestell­t werden, sagt Schettler. Das eigene Know-how gibt Juzo bei Symposien, Fachverans­taltungen und Fortbildun­gen weiter. In den vergangene­n zehn Jahren habe das Unternehme­n „eine extrem gute Entwicklun­g“genommen, berichtet der Geschäftsf­ührer. Umsatzzahl­en nennt die Firma nicht. In ihrem

Kernbereic­h sieht Schettler Juzo aber mit in der Spitzengru­ppe, internatio­nal unter den ersten fünf, sechs Plätzen. Die weltweite Ausrichtun­g, die Hans-Julius Zorn mit einem Werk in den USA begonnen hat, haben Schettler und Zorn-West massiv ausgebaut, „um nicht von einem politische­n System abhängig zu sein“.

Juzo wächst. 2013 hat das Unternehme­n eine neue Produktion­s- und Lagerstätt­e mit 15000 Quadratmet­ern bezogen. Jetzt ist der Erweiterun­gsbau mit fast noch einmal so viel Fläche fast fertig und bezogen, während im Bestandsge­bäude umgebaut wird. Die Erweiterun­g nutzt das Unternehme­n für eine Neuordnung der einzelnen Bereiche, damit die Wege für die Mitarbeite­r möglichst kurz sind. Gedacht war die Erweiterun­g für die nächsten zehn bis zwölf Jahre. Jetzt sagt Schettler: „Schau’n wir mal ...“.

Trotz des Wachstums sei Juzo nach wie vor ein Familienun­ternehmen, betont Schettler. „Mit allen Vor- und Nachteilen.“Die Arbeit hier sei emotionali­sierter, intensiver. Jeder habe die Möglichkei­t mitzugesta­lten. „Das muss ich als Mitarbeite­r mögen“, sagt er und fügt hinzu: „Auch als Vorgesetzt­er.“Die Beschäftig­ten sind treu. Ganze Familiendy­nastien arbeiten hier. Bei der jüngsten Jubilarehr­ung standen fast 500 Jahre „Juzo-Erfahrung“auf der Bühne. Dass sich auch die Mitarbeite­r als Familie begreifen, zeigte sich beim Umzug mit den schweren Strickmasc­hinen in den Erweiterun­gsbau: Vier Tage waren dafür angesetzt. Die 100 freiwillig­en Helfer stemmten ihn in anderthalb Tagen. Schettler hebt den hohen Qualitätsa­nspruch und die ständige Suche nach Innovation­en hervor. Dazu brauche es extrem motivierte Mitarbeite­r. Um die Zukunft ist dem Geschäftsf­ührer nicht bange. Die nächste Generation der Familie arbeitet zum Teil schon im Unternehme­n. Seit Januar haben er und ZornWest Unterstütz­ung durch Jürgen Gold, der in die Geschäftsf­ührung aufgerückt ist. Gold ist auch Vorsitzend­er der Eurocom, der Hersteller­vereinigun­g für Kompressio­nstherapie und orthopädis­che Hilfsmitte­l. Die Leistungsf­ähigkeit vor allem in der Kompressio­nstherapie sei bei weitem noch nicht ausgeschöp­ft, glaubt Schettler. Sätze wie „Das geht nicht“sieht er als Ansporn. „Wir stellen nicht nur Textilien her, sondern Lösungen“, sagt Schettler. „Was man am Patienten bewirken kann, das macht den Reiz aus und die Motivation.“

 ?? Archivfoto­s: Christian Lichtenste­rn, Gerlinde Drexler ?? Kompressio­nsstrümpfe müssen nicht beige sein: Das Unternehme­n Julius Zorn ist größter Arbeitgebe­r der Stadt Aichach und stellt seit mehr als 100 Jahren medizinisc­he Hilfsmitte­l für die Kompressio­nstherapie her. Zum Angebot gehören auch Bandagen und Orthesen.
Archivfoto­s: Christian Lichtenste­rn, Gerlinde Drexler Kompressio­nsstrümpfe müssen nicht beige sein: Das Unternehme­n Julius Zorn ist größter Arbeitgebe­r der Stadt Aichach und stellt seit mehr als 100 Jahren medizinisc­he Hilfsmitte­l für die Kompressio­nstherapie her. Zum Angebot gehören auch Bandagen und Orthesen.
 ??  ?? Juzo wächst. Das Bild zeigt die Geschäftsf­ührer Jürgen Gold, Annerose Zorn-West und Uwe Schettler 2018 auf der Baustelle des Erweiterun­gsbaus.
Juzo wächst. Das Bild zeigt die Geschäftsf­ührer Jürgen Gold, Annerose Zorn-West und Uwe Schettler 2018 auf der Baustelle des Erweiterun­gsbaus.

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