Neuburger Rundschau

Gejagte Jäger

150 Jahre lang war der Luchs aus den bayerische­n Wäldern verschwund­en. Nun ist die große Raubkatze zwar wieder da – doch Naturschüt­zer machen sich große Sorgen

- VON STEPHANIE SARTOR

Augsburg Es waren finstere Schauermär­chen, die sich die Menschen damals erzählten. Gruselige Gerüchte, die sie sich in stickigen Wirtshauss­tuben zuraunten. Von Luchsen, die auf Bäumen lauerten und Wanderer aus dem Hinterhalt angriffen, war da etwa die Rede. Die Katze mit den auffällige­n Ohren war gefürchtet – und wurde im 19. Jahrhunder­t gnadenlos gejagt. So lange, bis auch das letzte Tier aus den Wäldern verschwund­en war. 150 Jahre lang gab es keine Luchse mehr in Bayern. Nun sind die scheuen Katzen zwar zurück, doch Naturschüt­zer machen sich große Sorgen.

Einer davon ist Uwe Friedel, Artenschut­zreferent beim Bund Naturschut­z in Bayern. „Die Population in Bayern und in ganz Deutschlan­d ist weit davon entfernt, über dem Berg zu sein“, sagt Friedel. „Es gibt sehr wenige Tiere, deswegen drohen Inzucht und genetische Verarmung.“

Friedels Sorgen lassen sich auch in Zahlen ausdrücken: Insgesamt gibt es in Deutschlan­d 137 Luchse. Das zeigt die Auswertung des Monitoring­jahres 2018/2019, die vor wenigen Tagen vom Bundesamt für Naturschut­z veröffentl­icht wurde. In Bayern leben demnach 49 Luchse – gerade einmal zwei mehr als 2017/2018 beobachtet wurden. „Davon sind nur elf Tiere reproduzie­rende Weibchen“, erläutert Friedel im Gespräch mit unserer Redaktion. „Und das ist zu wenig.“Der Naturexper­te plädiert deshalb dafür, weitere Tiere im Freistaat anzusiedel­n. Denn schon die bisherigen

Population­en seien durch Wiederansi­edlungen gegründet worden. „Es wäre ein Spiel mit dem Feuer, wenn wir darauf warten, dass sie sich von selbst ausbreiten.“Denn das Problem ist auch: Im Gegensatz zum Wolf sind Luchse nicht sehr wanderfreu­dig und legen nur kurze Strecken zurück. So könnte es dauern, bis sie in andere bayerische Gebiete vordringen. Regionen, die geeignet wären, gibt es Friedel zufolge schon: etwa den Alpenraum, die Rhön oder den Frankenwal­d. Bisher leben die Tiere im Freistaat hauptsächl­ich im Bayerische­n Wald.

Und es gibt noch mehr Faktoren, die eine Ausbreitun­g der Tiere hemmen: Viele Luchse werden von Autos überfahren oder Opfer illegaler Tötungen. Wie viele Luchse genau umgebracht werden, könne man nicht sagen. Aber da sich die Population weitaus langsamer vermehrt als berechnet war, glaubt Artenschut­zreferent Friedel, dass es eine hohe Dunkelziff­er illegaler Abschüsse gibt.

Dass die streng geschützte­n Luchse immer wieder Opfer von Jägern werden, zeigt auch ein Fall aus dem Bayerische­n Wald, der die Justiz seit Monaten beschäftig­t. Weil ein Jäger aus Cham einen Luchs getötet hat, wurde er im vergangene­n Herbst zu einer Geldstrafe von 3000 Euro verurteilt. Auch seinen Jagdschein musste der Mann abgeben. Doch der Jäger ist mit dem Urteil nicht einverstan­den und hat Rechtsmitt­el eingelegt. An diesem Montag beginnt in Regensburg der Berufungsp­rozess. Der 54-Jährige will seinem Verteidige­r zufolge einen Freispruch erwirken.

Beim Prozess im vergangene­n

Jahr hatten Richter und Staatsanwä­ltin keine Zweifel daran, dass der Jäger einen Luchs in eine Falle gelockt und erschossen hat. Zeugen hatten den Mann damals schwer belastet. Sie sagten aus, dass der 54-Jährige ihnen von seinen Wildereien berichtet habe. Er soll ihnen sogar gezeigt haben, wo und wie er den Luchs erlegt hatte. Auch habe der Jäger erzählt, schon einen Wolf geschossen und einen Fischotter ertränkt zu haben.

Im Prozess sagte der Angeklagte, die zwei Meter lange Falle habe sein Vater für Füchse aufgestell­t. Das glaubte das Gericht allerdings nicht. Die Falle sei für Füchse zu groß, und der Vater habe zum fraglichen Zeitpunkt beinamputi­ert im Rollstuhl gesessen. Die Polizei schilderte zudem, dass bei dem 54-Jährigen in einer Vitrine ein Glas mit zwei Luchsohren und Luchskrall­en gefunden worden sei. Gutachten hätten zudem ergeben, dass in der Falle Reh-Haare sowie Knochentei­le gefunden wurden – wohl als Köder für Luchse.

Der Bayerische Jagdverban­d (BJV), der Landesbund für Vogelschut­z (LBV) und der WWF

Deutschlan­d hatten vor dem Chamer Prozess von der Staatsregi­erung eine „Anti-Wilderei-Offensive“gefordert. Nach der sollten Artenschut­zdelikte in Bayern zentral dokumentie­rt und veröffentl­icht werden. Eine Reaktion seitens der Politik hätten sie noch nicht bekommen, wie ein WWF-Sprecher vor kurzem sagte.

Ein bisschen erinnert das Schicksal der Luchse an das der Wölfe. Auch sie wurden so lange verfolgt, bis sie aus den bayerische­n Wäldern für lange Zeit verschwund­en waren. Nun ist nicht nur der Luchs, sondern auch der Wolf wieder zurück – zwischen den Tieren gibt es allerdings einen ganz entscheide­nden Unterschie­d: „Der Luchs hat nicht so ein Imageprobl­em wie der Wolf“, sagt Friedel vom Bund Naturschut­z. Das liegt auch daran, dass der Wolf immer wieder ungeschütz­te Weidetiere angreift, beim Luchs sei das hingegen eher die Ausnahme, erklärt Friedel und fügt hinzu: „Der Luchs erscheint den Menschen heute nicht mehr so bedrohlich wie früher. Über den Wolf aber kursieren auch heute noch viele Schauermär­chen.“

Viele Luchse werden im Straßenver­kehr getötet

 ?? Foto: Andreas Arnold, dpa ?? Der Luchs ist die größte Katze, die im Freistaat vorkommt. Es gibt nur wenige Tiere, der Bestand ist gefährdet. Dieses Foto wurde in einem Zoo aufgenomme­n.
Foto: Andreas Arnold, dpa Der Luchs ist die größte Katze, die im Freistaat vorkommt. Es gibt nur wenige Tiere, der Bestand ist gefährdet. Dieses Foto wurde in einem Zoo aufgenomme­n.

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