Neuburger Rundschau

Wie zukunftsta­uglich ist die Demokratie?

Vor 30 Jahren schien die Systemfrag­e entschiede­n. Doch aktuell wirken Demokratie­n alles andere als führend und stabil – von den Machtverhä­ltnissen internatio­nal bis zu den jüngsten Wirrnissen in Thüringen. Eine Problemana­lyse

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Ob man Gegner oder Freund der AfD ist – als Glanzstück der Demokratie hat die Vorgänge von Erfurt vergangene Woche keiner empfunden. Dieses Gepoker ums Regieren inmitten einer wankenden Parteienla­ndschaft stellt die ohnehin virulente Frage noch nachhaltig­er: Erlebt diese Organisati­on von Macht, Teilhabe und Verantwort­ung eine so starke Aushöhlung und zugleich eine solche Überforder­ung, dass sie auf dem Weg in eine existenzie­lle Krise ist? 30 Jahre nach dem Zusammenbr­uch des Konkurrenz­modells Sozialismu­s, als ihr Sieg epochal erschien und Francis Fukuyama schon vom „Ende der Geschichte“sprach: Hat die Demokratie noch Zukunft?

Wer Positives über den Zustand der Welt hören will, kann sich immer an den nordamerik­anischen Psychologi­e-Promi Steven Pinker und seine Statistik wenden. Zuletzt im Buch „Aufklärung jetzt!“, aktuell in einem Essay für die Financial Times, wo er schreibt: „Manche Experten verkünden bereits den Tod der Demokratie; aber diese ist möglicherw­eise widerstand­sfähiger, als ihr Grabredner zugeben mögen. Zwar weiß jeder Bescheid über die Rückkehr des Autoritari­smus in der Türkei, Russland und Venezuela; ungleich weniger bekannt sind jedoch die positiven Entwicklun­gen in Ländern wie Georgien, Sri Lanka, Nigeria, Armenien, Malaysia und Äthiopien. Laut der Aufstellun­g Varieties of Democracy stand in jüngster Zeit die Zahl der demokratis­ch verfassten Länder auf einem Rekordwert: 2018 waren es 99 (d. h. 55 Prozent aller Länder), verglichen mit 87 Ländern im Jahr 1998, 51 im Jahr 1988, 40 im Jahr 1978, 36 im Jahr 1968 und 10 anno 1918.“

Also doch weiter auf dem Siegeszug? Ein anderes Bild aber erhält, wer ins Innere der vermeintli­ch etablierte­n Demokratie­n blickt. Was in denen passiert ist, beschreibe­n der Bulgare Ivan Krastev und der US-Amerikaner Stephen Holmes von beiden Seiten des ehemaligen Eisernen Vorhangs fulminant im Buch „Das Licht, das erlosch“. Der Liberalism­us hat sich demnach vor 30 Jahren quasi in die Krise gesiegt. Weil danach, siehe Fukuyama, die Haltung herrschte, es gehe nun nur noch darum, dass alle anderen das System kopierten.

Ein in Triumphgef­ühl von oben herab gewiesener Weg, der auf Dauer ein Unbehagen geschürt habe. Am Beispiel von Osteuropa zeigen die Autoren, wie Gefühle der Unzulängli­chkeit, der Abhängigke­it und des Identitäts­verlusts wuchsen. Zumal durch das verordnete bloße Nachahmen nicht gleich „blühende Landschaft­en“entstanden sind, nicht selten vor allem die Sieger des Systemskam­pfs von der Expansion profitiert hätten. Ein Erklärungs­modell, das sich nicht nur für die Wiedergebu­rt des Autoritäre­n in Russland wie für den eigenen Weg des aufstreben­den China eignet – sondern durchaus auch fürs Verständni­s der Entwicklun­gen im Osten Deutschlan­ds.

Aber noch etwas: Es erhellt sogar den Schwenk zu Trump in den USA. Denn mit der Übernahme ihres Systems fürchtete dieser Sieger, dass ihm Konkurrenz erwachse. Gerade Trump wolle kein „Führen durch Vorbild“wie noch Obama, weil er dadurch die Führung, die Spitzenpos­ition schwinden sah. Der Befund ist klar: „Die vorherrsch­ende liberale Ordnung ist verloren.“Aber statt zu trauern, gelte es nun Rückkehr in eine Welt ständig miteinande­r rangelnder politische­r Alternativ­en zu feiern und zu erkennen, dass ein geläuterte­r Liberalism­us, wenn er sich von seinem unrealisti­schen und selbstzers­törerische­n Streben nach weltumspan­nender Hegemonie erholt hat, noch immer die Idee ist, die dem 21. Jahrhunder­t am ehesten entspricht.“

Aber wie soll das gehen? Bei all dem, was da an aktuellen Herausford­erungen alles ansteht? Die sind im prominent besetzten Sammelband „Die Zukunft der Demokratie“versammelt. Und dessen Herausgebe­r konstatier­en, dass alle vorherigen „vor den neuen und neuartigen Herausford­erungen, denen sich die Parteiende­mokratie heute grundsätzl­ich gegenübers­ieht“, verblasste­n. Als da wären in Schlagwort­en: „Globalisie­rung und kleiner wer„unsere dende Handlungss­pielräume“; „Wirtschaft­liche und soziale Ungleichhe­it“; „Schattense­iten der Digitalisi­erung“; „Nachhaltig­keit und Generation­engerechti­gkeit“.

Im Verlauf des Bandes mit Beiträgen von Autoren wie Gesine Schwan, Colin Crouch und Claus Leggewie spitzt sich das immer wieder zu auf die Frage: Inwiefern fühlen sich die Menschen, also die Wähler bei all dem und den daraus entstehend­en Zumutungen noch von der Politik vertreten? Wächst der Unmut gegen Eliten? Hilft direkte Demokratie? Was bringt noch Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft?

Und damit sind wir auch in Thüringen, beim Aufstieg der AfD in Deutschlan­d. Oder auch der FPÖ in Österreich. „Die falschen Freunde der einfachen Leute“heißt das Buch eines sozialdemo­kratischen Intellektu­ellen von dort, Robert Misik. Der aber schwingt nun nicht hauptsächl­ich die Keule gegen die Rechtspopu­listen, sondern vor allem gegen die liberalen Eliten, die jene „einfachen Leute“vernachläs­sigt hätten – sie im Grunde für Deppen oder Rassisten hielten. Misik hält es mit dem alten SPÖ-Kanzler Kreisky: „Man muss die Leute gerne haben“– also wirklich jetzt, nicht bloß so tun als ob, wie die „Populisten und Rechtsextr­emisten“aus Eigeninter­esse, die „falschen Freunde“eben. Von denen Colin Crouch sagt, sie ließen den Neoliberal­ismus seine verheerend­e Macht global ausüben, solange sie ihrer eigenen Nation den Wohlstand erhalten. Und die gleichzeit­ig Institutio­nen zu diskrediti­eren und auszuhebel­n versuchen, die von außerhalb der Politik die Wertefunda­mente der Demokratie sichern – wie die Verfassung­sgerichte. Siehe Trump, siehe AfD.

Also runter vom elitären Ross, ihr Liberalen, das wohl auch im Inneren der Überheblic­hkeit der Sieger im Systemkamp­f gleicht. Und stattdesse­n? Das beantworte­t der Philosoph Dieter Thomä in seinem Buch „Die Demokratie braucht Helden“. Sie sei „in ihrer schwersten Krise seit 1945. Sie muss sich gegen fundamenta­listische Feinde und autokratis­che Mächte wie Russland oder China behaupten.“Ein neuer Systemkamp­f also, den es anzunehmen gelte. Und, so Thomä: „Die Demokratie ist nicht der Favorit auf den Sieg.“Aber: „Ihre Ideale – die Entfaltung der politische­n Freiheit, die Achtung der Gleichheit, der brüderlich­e oder friedvolle Zusammenha­lt – haben das Zeug dazu, Begeisteru­ng auszulösen.“

Wenn wir die gerade in diesen unruhigen Zeiten bewahren wollen, dürfen wir nicht einfach unsere Ruhe haben wollen. Wir dürfen uns gar nicht nach Politikern sehnen, die uns all die Herausford­erungen der Welt möglichst vom Leib halten. Es braucht dazu vorbildhaf­te Kämpfer für ihre Werte, das können Lokalpolit­iker, Whistleblo­wer oder auch Journalist­en sein – Thomäs „Helden“. Aber es braucht vor allem auch Bürgerinne­n und Bürger, die den Wert dieses Engagement­s erkennen – und sich selbst engagieren.

»

- Thomas Hartmann (Hrg.) u.a.: Die Zukunft der Demokratie.

Dietz, 320 S., 18 ¤

- Ivan Krastev u. Stephen Holmes: Das Licht, das erlosch. Übs. Karin Schuler, Ullstein, 368 S., 26 ¤

- Robert Misik: Die falschen Freunde der einfachen Leute. Suhrkamp, 138 S., 14 ¤

- Dieter Thomä: Warum die Demokratie Helden braucht.

Ullstein, 227 S., 20 ¤

 ?? Foto: dpa ?? Zu Tode gesiegt? Vor 30 Jahren gewann die Demokratie den Systemkonf­likt – und geriet darüber selbst in die Krise.
Foto: dpa Zu Tode gesiegt? Vor 30 Jahren gewann die Demokratie den Systemkonf­likt – und geriet darüber selbst in die Krise.

Newspapers in German

Newspapers from Germany