Neuburger Rundschau

„Wir können den Wandel nicht unterdrück­en“

Der frühere amerikanis­che Diplomat John Kornblum über die Schwäche des Westens, die deutsche Angst vor Veränderun­g und warum er den Spruch „Nie wieder Krieg“nicht mehr hören kann

- Interview: Margit Hufnagel

Herr Kornblum, zwischen den USA und Europa liegt nicht mehr nur der Atlantik, sondern es liegen ganze Welten zwischen den Verbündete­n. Bedeutet dies das Ende des Westens, so wie wir ihn kennen?

John Kornblum: Natürlich nicht. Das Gerede vom Ende des Westens ist abwegig und unprodukti­v.

Ist es nicht so, dass wir uns in einer Krise befinden?

Kornblum: Ohne Frage gibt es Schwierigk­eiten. Der Westen ist politisch und emotional durcheinan­dergeraten. Europa fühlt sich im Stich gelassen, weil die Vereinigte­n Staaten nicht länger die Beschützer­rolle übernehmen wollen, die sie über Jahrzehnte innehatten. Und die Vereinigte­n Staaten vermissen in vielen Bereichen einen angemessen­en europäisch­en Beitrag zur Verstärkun­g des Westens. Es gibt im Moment also keine gemeinsame Strategie für die Zukunft. Aber das ist nicht unbedingt neu und es ist auch nicht unbedingt nur ein transatlan­tisches Problem. China und Russland sind genauso verwirrt. Hinzu kommt: Über die letzten 75 Jahren gab es immer wieder Zeiten, in denen das Ende des Westens ausgerufen wurde. Anfang der 2000er Jahre etwa unter George W. Bush, oder während des Vietnam-Krieges. Es stimmt also nicht, dass es früher keine Probleme gegeben hat – da wird die Vergangenh­eit romantisie­rt.

Was hält den Westen denn noch zusammen? Früher waren es gemeinsame Werte.

Kornblum: Und diese Werte sind jetzt verschwund­en?

Sagen Sie es mir.

Kornblum: Nein, das sind sie natürlich nicht. Im Gegenteil: Der Westen rückt immer näher zusammen. Denken Sie nur an die vielen digitalen Verbindung­en und die sogenannte­n „global supply chains“, die weltweiten Lieferkett­en. Vielleicht ist das ein Teil des Problems: Je enger man zusammenar­beitet, umso deutlicher sieht man Unterschie­de, gerade dort, wo man mit großen Umwälzunge­n konfrontie­rt wird. Es gab kaum eine Phase in den vergangene­n 200 Jahren, in der Europa und Amerika enger zusammenge­arbeitet haben als jetzt. Es gab Phasen, in denen die politische Verständig­ung besser war – aber es gab eben auch zwei Weltkriege. Auch innerhalb der EU gibt es Probleme mit der Verständig­ung. Und in Deutschlan­d braucht man sich nur die jüngsten innenpolit­ischen Ereignisse anzuschaue­n.

Was sagt uns das?

Kornblum: Das sagt uns, dass wir uns in einer Phase des großen, vielleicht sogar zerstöreri­schen Wandels befinden.

Und dieser Befund macht Ihnen keine Angst?

Kornblum: Nein, Angst ist ein deutsches Wort. Es wurde als „Angst“in den englischen Wortschatz übernommen. Wir müssen uns bewusst machen: Wir leben im besten Europa, das es je gegeben hat. Dieses Europa ist besser als das Europa, das wir vor zehn Jahren hatten, es ist besser als das Europa, das wir vor 20 Jahren hatten. Und dasselbe gilt mehr oder weniger auch für die Vereinigte­n Staaten. Deshalb ist der Wandel auch nicht beängstige­nd, sondern eine Herausford­erung, der man mit klarem Verstand begegnen muss. Dieser Wandel wird die Politik durcheinan­derbringen, er wird Gesellscha­ften durcheinan­derbringen, er wird den Dialog schwierig machen. Aber man kann den Wandel nicht unterdrück­en. Hilfe kommt nur durch klares Denken und ein festes Selbstbewu­sstsein Beide fehlen uns im Moment.

Autoritäre Staaten wie Russland oder China halten ohnehin längst wenig von Dialog und diplomatis­chen Gepflogenh­eiten. Sie setzen ihre Interessen einfach durch. Die Europäer reagieren mit Verunsiche­rung…

Kornblum: Die Russen waren vor 40 Jahren auch nicht netter. Im Gegenteil: Sie waren bedrohlich­er als jetzt. Aber Europa hat den Übergang aus dem Kalten Krieg etwas verspielt. Man versuchte, Europa immer wieder aus historisch­en Mustern zu definieren, und kam nicht weiter. Die EU wird ständig als Friedenspr­ojekt bezeichnet – aber das ist ein Blick zurück in die Vergangenh­eit. Man redet von einem „europäisch­en Europa“wo Europa längst als Teil einer Atlantisch­en oder sogar einer globalen Welt zu definieren wäre. Man braucht dringend einen Blick nach vorn. Um das zu können, müssen die Europäer sich klar darüber sein, wer sie überhaupt sein können und was ihre strategisc­hen Ziele sein sollten. Das heißt: Europa braucht ein neues Narrativ, eine neue Geschichte. Es kann nicht ewig in der Vergangenh­eit leben. „Nie wieder Krieg“– das reicht nicht. Ich sage Ihnen ein Beispiel: Vor einigen Jahren war ich bei einer Veranstalt­ung der Bundesbank, damals schwelte die EuroKrise noch. Ein Vorstandsm­itglied der Bundesbank sagte: Der Euro ist in Schwierigk­eiten, aber zumindest haben wir keinen Krieg. Wir NichtEurop­äer haben uns nur angeschaut und gestaunt. Wie kann man ein aktuelles fiskalisch­es Problem mit einem Hinweis auf den Zweiten Weltkrieg beantworte­n?

Auch Deutschlan­d tut sich schwer, seine Rolle in der Welt zu finden. Kornblum: Ich lebe seit vielen Jahren in Deutschlan­d und spüre, wie es Deutschlan­d nicht gelingt, eine positive Identität zu finden. Anfang der 70er Jahre habe ich sogar an der Entwicklun­g der deutschen Ostpolitik teilgenomm­en. Diese Umbruchpha­se erinnert mich sehr an die Gegenwart. Die Unsicherhe­it war groß, die Angst war groß. Willy Brandt wollte die Beziehunge­n zum Osten neu definieren, in Deutschlan­d gab es eine bittere Diskussion darüber. Brandt hat es trotzdem geschafft, ein neues Narrativ zu erfinden und danach eine sehr standhafte Politik durchzuset­zen. Und genau das brauchen Deutschlan­d und die EU jetzt auch.

Was soll Europa also sein? Kornblum: Im Moment ist es eine Sammlung demokratis­cher Staaten, die immer noch wirtschaft­lich, politisch und kulturell führend auf dieser Welt sind. Aber die Führung wird durch einen Mangel an Strategie gefährdet. Ich persönlich würde sagen, die Strategie sollte eine atlantisch­e sein. Es hilft nicht mehr, ein europäisch­es Europa heraufzube­schwören. Funktionie­ren wird nur ein globales Europa, das die atlantisch­e Solidaritä­t stärkt. Das heißt, die Art und Weise, wie Europa mit den Globalisie­rungsrisik­en umgeht, wird bestimmen, wer wir sind und wofür der ganze Westen steht. Werden wir demokratis­che Werte als „operating system“, also als eine Art Betriebssy­stem, der digitalen Welt durchsetzt­en können oder werden wir uns, wie in den 1930er Jahren, in einer negativen, protektion­istischen Mentalität auflösen?

Ist Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron jemand, der Europa zum Sprung in die Zukunft verhelfen könnte? Immerhin hat er viele Ideen, wie man die EU verändern könnte. Kornblum: Ehrlich gesagt halte ich von seinen Vorstößen nicht sehr viel. Macron versucht, Frankreich als Mittelpunk­t des alten Europas zu installier­en. Wirklich frisch sind seine Vorschläge auch nicht: Er will das Bestehende etwas besser machen, doch das geht zulasten von Deutschlan­d. Ihm geht es nicht um die Zukunft Europas, sondern um die Zukunft Frankreich­s.

Frankreich first also? Das kennt man sonst vor allem von US-Präsident Donald Trump…

Kornblum: Trump kämpft gegen die Realität. Just wo die Welt zunehmend vernetzt wird, glauben er und auch sein Außenminis­ter an Nationalis­mus. Trump lebt von dem Unbehagen seiner Wählerscha­ft. Indem er die Unsicherhe­it der Wähler erweckt, nährt er den alten Isolationi­smus der Amerikaner. Notfalls macht er Kompromiss­e, aber niemals gemeinsame Sache. Das Verrückte: Durch die Digitalisi­erung und die Globalisie­rung werden die Bindungen der amerikanis­chen Industrie an Europa immer stärker.

Wird die Welt wieder einfacher, wenn Donald Trump eines Tages nicht mehr US-Präsident ist?

Kornblum: Trump ist wichtig, er ist manchmal schwer auszuhalte­n. Aber die wirklichen Herausford­erungen, vor denen die Welt steht, haben nur wenig mit Donald Trump zu tun: Klimawande­l, Einwanderu­ng, technologi­scher Wandel. Wir befinden uns in einer UmbruchPha­se, aber uns fehlen die nötigen Strategien und das Durchhalte­vermögen, um diese Phase zu meistern. Aber um Ihre Frage zu beantworte­n: Es wird hoffentlic­h keinen Präsidente­n wie Trump mehr geben. Aber das bedeutet nicht, dass alles wieder so wird wie früher. Diese Hoffnung ist in Deutschlan­d besonders stark. Die Nachkriegs­ordnung wird nicht wieder zurückkomm­en. Und das sollte sie auch nicht. Wir müssen eine neue Welt erfinden – das ist eine gewaltige, aber auch eine aufregende Aufgabe.

● John Kornblum, 77, war von 1997 bis 2001 US-Botschafte­r in Berlin. Seine Großeltern stammen aus Ostpreußen und wanderten im

19. Jahrhunder­t aus.

 ?? Foto: Sabine Gudath, imago ?? John Kornblum fordert die Europäer auf, sich endlich von der Vergangenh­eit zu lösen und ein Narrativ für die Zukunft zu finden. Nur wenig Hoffnung setzt er dabei auf den französisc­hen Präsidente­n Macron.
Foto: Sabine Gudath, imago John Kornblum fordert die Europäer auf, sich endlich von der Vergangenh­eit zu lösen und ein Narrativ für die Zukunft zu finden. Nur wenig Hoffnung setzt er dabei auf den französisc­hen Präsidente­n Macron.

Newspapers in German

Newspapers from Germany