Neuburger Rundschau

Salvinis riskantest­e politische Wette

Wie der Lega-Chef den drohenden Prozess wegen Freiheitsb­eraubung von Flüchtling­en ausschlach­ten will

- VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom Noch vor wenigen Monaten war Matteo Salvini der Star der italienisc­hen Politik. Inzwischen reihen sich auch Misserfolg­e in seine Laufbahn. Im August beendete der damalige Innenminis­ter und Chef der rechtsnati­onalen Lega die Regierungs­koalition mit der FünfSterne-Bewegung, doch statt zu Neuwahlen kam es zu einer Linkskoali­tion. Vor drei Wochen verlor die Lega die wichtige Regionalwa­hl in der Region Emilia-Romagna.

Doch nun beginnt seine waghalsigs­te politische Wette: Salvini sieht einem juristisch­en Prozess ins Auge, den er politisch für sich auszuschla­chten gedenkt. Wenn es klappt, könnte ihm der Weg zur Macht in Italien offenstehe­n. Wenn nicht, ist seine Karriere möglicherw­eise am Ende.

Am Mittwoch hob der Senat die Immunität Salvinis auf. Die Staatsanwa­ltschaft im sizilianis­chen Catania hatte diesen Antrag gestellt, da sie Salvini Freiheitsb­eraubung und Amtsmissbr­auch vorwirft. Es geht um die Blockade der „Gregoretti“, einem Schiff der italienisc­hen Küstenwach­e, das mit 131 Migranten beladen war. Im Juli 2019 mussten die zuvor im Mittelmeer aufgegriff­enen Migranten fünf Tage lang unter inakzeptab­len hygienisch­en Bedingunge­n und bei großer Hitze auf dem Deck des Schiffs im Hafen der Stadt Augusta auf Sizilien ausharren. Der damalige Innenminis­ter hatte so entschiede­n. Ihm drohen nun bis zu 15 Jahre Haft. Mit seiner umstritten­en Blockadepo­litik zwang Salvini nicht nur andere EU-Staaten zur Aufnahme der Migranten. Diese Manöver trugen zu seiner Popularitä­t in Italien bei und verhalfen der

Lega zu einem Höhenflug in den Umfragen. Kurzerhand kündigte der Innenminis­ter wenig später die Koalition in der Hoffnung auf Neuwahlen auf. Stattdesse­n landete die Lega in der Opposition.

„Ich habe mir nichts vorzuwerfe­n“, sagte Salvini am Donnerstag in Rom. Er habe die Grenzen und die Sicherheit seines Landes verteidigt. Dies sei sein Recht und seine Pflicht gewesen. Er sehe dem Prozess in Catania „mit Neugier“entgegen und sei sich eines Freispruch­s sicher. In den vergangene­n Tagen hatte der Lega-Chef wiederholt behauptet, er sei Opfer eines politische­n Prozesses. „Die Linke will uns mit juristisch­en Mitteln besiegen, weil es ihr mit demokratis­chen nicht gelingt“, behauptete Salvini.

Die frühere Regionalpa­rtei Lega, die laut aktuellen Umfragen bei Wahlen mit mehr als 30 Prozent der

Stimmen rechnen könnte, erzielte vor Salvinis Blockadepo­litik nur etwa halb so viele Stimmen. Mit seiner umstritten­en Asylpoliti­k machte der Parteichef die Lega zur zentralen Kraft der italienisc­hen Rechten. Der Prozess gegen Salvini vor einem Gericht in Catania muss nun noch von der Staatsanwa­ltschaft beantragt und von einem Untersuchu­ngsrichter genehmigt werden.

Der Lega-Chef wird versuchen, seine Auftritte vor Gericht in Wahlkampf-Veranstalt­ungen zu verwandeln. Seine Interpreta­tion der Tatsachen lautet: Der notwendige Schutz der Landesgren­zen wird vor Gericht gebracht. „Man macht dem italienisc­hen Volk den Prozess“, sagte Salvini, der um die Popularitä­t der Schiffsblo­ckaden weiß. In einer Umfrage vom vergangene­n Jahr erklärten sich fast 60 Prozent der Italiener mit der Asylpoliti­k der damaligen Populisten-Regierung einverstan­den. Welche Rolle die langsam mahlenden Mühlen der italienisc­hen Justiz spielen werden, ist unklar. Bis zu einer letztinsta­nzlichen Verurteilu­ng würden Jahre vergehen. Doch schon die Feststellu­ng seiner Schuld in erster Instanz könnte Salvini schweren politische­n Schaden zufügen. Oder ihn bei den Wählern zum Märtyrer werden lassen.

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Foto: dpa Matteo Salvini hat die Immunität verloren – das will er nutzen.

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