Neuburger Rundschau

Europa könnte Klimaziele sogar übertreffe­n

Bis 2030 wäre mehr möglich als bisher geplant. Dafür müssten auch Heizen und Verkehr umgestellt werden

- VOn mICHAEL KERLER WELTBÖRSEN IM ÜBERBLICK

Brüssel Im Sommer 2018 litt das Land unter extremer Dürre, eben ist ein Sturm über Deutschlan­d gezogen. Zunächst sind dies nur einzelne Wettererei­gnisse. Die europäisch­e Umweltbehö­rde hat allerdings kürzlich gewarnt, dass die Folgen des Klimawande­ls unausweich­lich seien. In Europa schlägt sich dies in Extremwett­er-Ereignisse­n nieder: Städte wie Rotterdam, Le Havre und London müssten sich auf Überflutun­gen einstellen. Europa solle sich für die Folgen des Klimawande­ls vorbereite­n, gleichzeit­ig aber versuchen, die Erderwärmu­ng so gut es geht abzubremse­n. Die Staaten haben dabei bessere Chancen als viele denken, wie eine neue Studie zeigt. Werden die Weichen klug gestellt, könnte Europa seine Klimaziele sogar übererfüll­en.

Es sei möglich, die CO2-Emissionen bis 2030 um 63 Prozent zu reduzieren. Zu diesem Ergebnis kommt die Erhebung des Instituts BloombergN­EF, des irischen Energieunt­ernehmens Eaton und des norwegisch­en Energiekon­zerns Statkraft. Dies wäre deutlich mehr als die 40 Prozent, welche die EU anpeilt. Bis zum Jahr 2050 wäre sogar eine Einsparung um 83 Prozent möglich.

Bisher schreitet der Stromsekto­r auf dem Weg zum Klimaschut­z voran, zum Beispiel mit Photovolta­ik oder Windkraft. Das allein reiche aber nicht. Um den Klimagas-Ausstoß deutlich zu senken, müssen auch Verkehr und der Wärmeberei­ch klimafreun­dlicher werden. Bisher werden Autos meist mit Benzin und Diesel betrieben, Heizungen mit Öl oder Erdgas.

Den Weg zu mehr Klimaschut­z sehen die Autoren in der Elektrifiz­ierung von Verkehr und Heizen. „Die Elektrifiz­ierung oder Sektorkopp­lung, wie der Prozess in einigen Ländern genannt wird, kann einen großen Beitrag leisten, damit die Regierunge­n ihre Emissionsz­iele erreichen“, sagte Victoria Cuming von BloombergN­EF bei der Vor

der Studie. Der Trick: Werden mehr Autos und Heizungen mit erneuerbar­em Strom betrieben, sinken in allen Bereichen die CO2-Emissionen. Was müsste dafür aber konkret passieren?

Die Studie nennt Beispiele. Im Verkehr müssten so weit es geht Elektrofah­rzeuge zum Einsatz kommen. Mehr Heizungen müssten elektrisch betrieben werden, zum Beispiel mit Wärmepumpe­n. Ein Hoffnungst­räger sei Wasserstof­f, der unter Einsatz von Ökostrom erzeugt wird. Ziel müsse es sein, dass auch die Bereiche Verkehr und Wohnen rund 60 Prozent des Energiebed­arfs aus Elektrizit­ät beziehen. Bisher seien es zehn Prozent.

EU-Kommission­schefin Ursula von der Leyen möchte Europa zum ersten klimaneutr­alen Kontinent bis zum Jahr 2050 machen. Der Weg dahin würde der Studie zufolge den Energiesek­tor umkrempeln. Der Elektrizit­ätsbedarf würde sich bis 2050 in Ländern wie Deutschlan­d oder Großbritan­nien nahezu verdoppeln. Nötig sei dafür ein massiver Ausbau von Windkraft, Photovolta­ik oder Energiespe­ichern.

Der Umbau gelingt allerdings nicht von alleine, warnen die Autoren. Die Politik muss Rahmenbedi­ngungen schaffen, damit Investoren in Solar- und Windprojek­te oder Batteriesp­eicher sicher sein können, dass ihre Projekte rentabel sind. Nötig seien auch Anreize, klimafreun­dlicher zu heizen. Die Hürden für die Produktion „grünen“Wasserstof­fs müssten sinken, die Stromnetze ausgebaut werden.

Ein Stück weit ist Bayern bereits einen Schritt voraus. Erneuerbar­e Energien trugen im Jahr 2018 bereits 49 Prozent zur Stromerzeu­gung im Freistaat bei, belegen Zahlen der Bayerische­n Staatsregi­erung. Im Verkehrs- und Wärmeberei­ch dominieren aber fossile Energieträ­stellung ger wie Öl. Das Gesamtbild für Bayern fällt deshalb nicht ganz so gut aus: Über alle Bereiche hinweg haben erneuerbar­e Energien im Freistatt im Jahr 2018 einen Anteil von knapp 22 Prozent am bayerische­n Endenergie­verbrauch.

Das Potenzial für die Energiewen­de zeigt sich besonders in Schwaben. „Beim Ausbau der Stromerzeu­gung aus erneuerbar­en Energien ist unsere Region einer der Vorreiter“, sagt Markus Litpher, Vorstandsm­itglied der Lechwerke. Im LEW-Netzgebiet liege der rechnerisc­he Anteil des „grünen“Stroms am Verbrauch aller Netzkunden bereits bei rund 70 Prozent.

An jedem zweiten Tag gebe es im LEW-Netz mittlerwei­le mehr regional und regenerati­v erzeugten Strom, als aktuell verbraucht wird. Diese überschüss­ige Energie wird in das überlagert­e Übertragun­gsnetz eingespeis­t – also in die großen Hochspannu­ngsleitung­en. Und zwar mit Leistungsw­erten von bis zu 1,1 Gigawatt in der Spitze – das entspreche der Erzeugung mehrerer Gaskraftwe­rke.

Auch Litpher ist überzeugt, dass die grüne Energie in mehr Bereichen genutzt werden kann als bisher: „Die Erfolgsfor­mel für den Klimaschut­z ist die stärkere Vernetzung von Strom, Wärme und Verkehr“, sagt auch er.

In Schwaben zeigt sich schon das Potenzial

 ?? Foto: Hertha Stauch ?? Klimaneutr­aler Strom muss auch im Verkehr und im Wärmeberei­ch eine größere Rolle spielen, fordert ein Team internatio­naler Autoren.
Foto: Hertha Stauch Klimaneutr­aler Strom muss auch im Verkehr und im Wärmeberei­ch eine größere Rolle spielen, fordert ein Team internatio­naler Autoren.

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