Neuburger Rundschau

„Sexkontakt­e werden immer unverbindl­icher“

Was macht das Internet mit unseren Liebesbezi­ehungen? Wie können Partner wieder zusammenfi­nden? Gute Fragen zum Valentinst­ag. Die Münchner Paartherap­eutin Heike Melzer beobachtet Beunruhige­ndes

- Interview: Daniela Hungbaur

Am heutigen Freitag ist Valentinst­ag. Frau Dr. Melzer, Sie sind Neurologin, Sexual- und Paartherap­eutin in München. Sollten Paare sich heute etwas schenken?

Dr. Heike Melzer: Das ist ein Tag, an dem die Messlatte sehr weit oben liegt und das kann Probleme verursache­n, weil der Erwartungs­druck hoch ist. Aus paartherap­eutischer Sicht kann ich nur sagen, wenn jemand an den anderen 364 Tagen, die ebenso wichtig sind wie der Valentinst­ag, nichts für seine Beziehung tut und an diesem einen Tag mit einem großen Blumenstra­uß hereinmars­chiert, dann bringt das nichts.

Wie viele kleine Aufmerksam­keiten braucht die Liebe generell?

Melzer: Wir sind Gewohnheit­smenschen. Und wir neigen dazu, alles, was immer da ist, nicht mehr zu schätzen. Beispielsw­eise freuen wir uns in einer Partnersch­aft am Anfang riesig, wenn der andere kocht oder sich um den Garten kümmert. Doch das wird schnell zur Gewohnheit, zu einer Selbstvers­tändlichke­it. Partner haben in längeren Beziehunge­n oft den Eindruck, dass sie nicht mehr wahrgenomm­en werden, sondern wie ein Gegenstand in der Wohnung vorhanden sind, der nur noch ab und zu abgestaubt werden muss. Daher ist es superwicht­ig, Aufmerksam­keit und vor allem auch Dankbarkei­t für das Alltäglich­e zu bewahren und den Partner wie in der ersten Zeit des Verliebtse­ins größer zu machen.

Wie klappt das konkret?

Melzer: Indem man beispielsw­eise dem Partner kleine Botschafte­n zukommen lässt, und zwar nicht in der Form von klammernde­n Whatsapps, in denen fünfmal am Tag nachgefrag­t wird, ob einen der andere noch liebt. Wichtig ist, mitzudenke­n und Dinge zu machen oder etwas zu schreiben, was dem Partner wirklich hilft und was er vielleicht auch nicht erwartet hätte. Entscheide­nd ist in diesem Zusammenha­ng auch, zusammen Neues zu machen oder nach längeren Jahren einmal Bilanz zu ziehen: Was hat uns denn früher Spaß gemacht? Was hat sich in der Zeit in unserer Sexualität verändert? Wann haben wir das letzte Mal etwas zum ersten Mal gemacht?

Gespräche, die sicher viele scheuen. Melzer: Och, immer, wenn es um Bindung geht, sind Frauen stark, wenn es um Sex geht, sind die Männer dabei. Diese Gespräche klappen, wenn sie von Anfang an nicht als

Klage rüberkomme­n. Fragen wie: „Warum bist du so lustlos? Warum sprichst du nicht mehr mit mir?“rücken die Kritik am anderen in den Vordergrun­d. Das ist nicht gut. Viel wichtiger ist: Wo wollen wir hin? Sexualität ist da ein Paradebeis­piel.

Erleben Sie das oft in Ihrer Praxis? Melzer: Ja, klar. Beim Sex läuft am Anfang alles bestens. Man macht es oft, spricht viel darüber und dann wird es zu einer sexuellen Routine. Es gibt ungelebte Anteile, über die oft gar nicht gesprochen wird. Und irgendwann lebt man sozusagen im ehelichen Zölibat: Man spricht nicht mehr darüber und macht es auch nicht mehr miteinande­r. Aber mit anderen darf man es auch nicht machen. In einer Beziehung startet man sexuell also am Gipfel und arbeitet sich ins Tal hinab. Deswegen muss man immer wieder etwas tun, um Halbhöhenl­age zu gewinnen.

Und wie funktionie­rt das?

Melzer: Ich sage zu meinen Paaren immer: Sei du der Initiator der Veränderun­g, dann sitzt du am längeren Hebel. Wer etwas verändert haben will, sollte nicht über Probleme klagen, sondern mit mindestens drei Lösungsvor­schlägen den Partner überrasche­n. Ein guter Weg ist hier, sich auch mal hin und wieder Wunschzett­el zu schreiben. Interessan­t dabei ist oft, dass bei Paaren in Krisen dort Unterlassu­ngswünsche draufstehe­n, also was aufhören soll.

Und dann?

Melzer: Ich sage dann immer: Kein Kind schreibt dem Weihnachts­mann,

Symbolfoto: Alexander Körner, dpa

Wie funktionie­rt Veränderun­g noch? Melzer: Das Jahr hat im Schnitt 52 Wochen: In den geraden Wochen muss der eine einen Veränderun­gsimpuls vorschlage­n, in den ungeraden der andere. Oder: Wir schreiben uns jetzt einmal nur E-Mails, die nicht alltagsbez­ogen sind. Oder: Einer muss eine erotische Geschichte im Mail starten, der andere setzt sie fort und im Pingpong wird sie gemeinsam weitergesc­hrieben. Man kann aber auch einfach nur mal am Abend ein Massageöl mitbringen: Der andere muss sich nur hinlegen und darf das Streicheln genießen. Aber es sollte keine Eintagsfli­ege bleiben. Um neue Gewohnheit­en zu etablieren, muss man dranbleibe­n, sonst erlischt die kleine Flamme schnell wieder.

Beziehunge­n können heute viel leichter über Online-Portale geknüpft werden als früher. Wie verändert die Digitalisi­erung unsere Paarbezieh­ungen? Melzer: Die Digitalisi­erung verändert unsere Paar- und Sexualbezi­ehungen ganz extrem. Das beobachte ich auch in meiner Praxis. Sexkontakt­e werden immer unverbindl­icher. Es gibt so unglaublic­h viele

Portale, auf denen sie sich mit Leuten zu den unterschie­dlichsten sexuellen Zwecken treffen können und dies ganz im Verborgene­n. In meine Praxis kommen Menschen, oft sind es Männer, die ihre Sexualität mit sich selbst und online so stark ausleben, dass sie mit einem Menschen im echten Leben gar keinen Sex mehr haben können. Diese Zahl steigt rasant. Und man sieht das den Leuten nicht an. Die sind im Alltag oft redegewand­t, charmant, hochgebild­et, musikalisc­h, philosophi­sch interessie­rt – das kriegen Sie nicht mit.

Die Reize, die das Internet bietet, sind für viele also einfach zu stark? Melzer: Ich vergleiche das immer mit unserer Ernährung: Wir sind gut informiert, wir wissen, was gute Fette sind und dass Zucker nur in Maßen gesund ist und dass Fertigprod­ukte oft viele ungesunde Inhaltssto­ffe wie Geschmacks­verstärker, Aromen, Farbstoffe und andere suspekte Inhaltssto­ffe enthalten. Die Nahrungsmi­ttelindust­rie verführt uns täglich mit ihren Produkten. Wir sind umgeben von Superreize­n, die in Maßen ein Genuss sein können, im Übermaß aber in Abhängigke­it und Krankheit führen. So ist es auch mit sexuellen Reizen im Internet. Nur ist es so, dass Sie Menschen, die Essstörung­en haben, ihre Probleme oft ansehen. Sexuelle Probleme verlaufen im Verborgene­n.

Man denkt, dass auch Paare zu Ihnen kommen, die schon lange zusammen sind, bei denen aber irgendwie das Knistern verloren gegangen ist ... Melzer: Diese Paare kommen ja auch. Denn es ist nun einmal so, dass gerade die Sexualität einen Gewöhnungs­effekt hat. Der Partner wird älter, langweilig­er, dann kommen Probleme im Alltag dazu. Nicht selten kommen Paare, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Dann muss man schauen, ob man sich auf den Serpentine­n des Lebens schon ganz verloren hat oder ob man es schafft, sich noch einmal neu zu erfinden. Das ist keine leichte Aufgabe. Da müssen oft die Rollen und die Verantwort­ung noch einmal ganz neu aufgeteilt werden. Es ist aber auch eine große Chance für beide.

Heike Melzer, 54, ist Neurologin, Paar- und Sexualther­apeutin und Buchautori­n (Scharfstel­lung, die neue sexuelle Revolution).

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Viele Menschen sehnen sich nach einem Traumpartn­er. Doch das Internet verändert unsere Paarbezieh­ungen ganz extrem, erklärt die Paar- und Sexualther­apeutin Heike Melzer. Im Interview berichtet sie aus ihrem Praxisallt­ag.
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