„Brecht war ein Kommunist“
Das Regie-Duo Jürgen Kuttner und Tom Kühnel leitet erstmals das jetzt startende Augsburger Brechtfestival. Der Augsburger Autor gehörte bei ihrer Theaterarbeit schon immer dazu. An ihm gebe es einfach kein Vorbeikommen
Herr Kuttner, Herr Kühnel, ganz kurz zu Ihrer letzten Premiere am Deutschen Theater Berlin. Ihr Thema dort war?
Jürgen Kuttner: Wir haben Bezug genommen auf das ewige Ost-WestDrama. Das war angeregt durch einen Satz von Alexander Osang: Inzwischen sei er auf der Flucht vor Westdeutschen, die seine Ossi-Lebensleistung anerkennen wollen. Das kann ich gut nachvollziehen. Das war ein Notwehrabend. Er heißt „Hasta la Westler, Baby“. Der Abend hat keine These, deshalb ist ein Teil des Publikums verwirrt. Wir machen da ein Kaleidoskop auf und zeigen frustrierte Ostler und frustrierte Westler und wie sie aufeinander losgehen.
War das Ihre Pause in der ganzen Organisationsarbeit für das Brechtfestival, das Sie in diesem Jahr erstmals als künstlerische Leiter verantworten? Kuttner: Das war schon langfristig mit dem Deutschen Theater Berlin abgemacht.
Kühnel: Wir inszenieren dort seit neun Jahren regelmäßig.
Wie ist Ihre Stimmung jetzt, kurz vor dem Brechtfestival?
Kuttner: Die Stille von Sabine.
Mit einem Sturm im Rücken sind Sie Anfang der Woche nach Augsburg gekommen.
Kuttner: Wir warten jetzt, was an Katastrophen passiert. Wir haben 30, 40 Acts für das Festival angeregt, da wird irgendetwas noch krachen.
Sie sind beide in der DDR in die Schule gegangen, aber Sie haben diese Zeit ohne Brechtschaden überstanden. Das heißt, der Schriftsteller ist Ihnen nicht durch staatliche Vereinnahmung verleidet worden.
Kuttner: Das Problem ist doch überall so. Wenn einer erst mal tot ist, kann man ihn vereinnahmen. Brecht ist aus Amerika gekommen, wurde in Österreich abgewiesen, wurde in der Bundesrepublik abgewiesen und ist dann in der DDR gelandet. Inzwischen freundet sich auch die CSU-Hochburg Augsburg mit dem Sohn der Stadt an, obwohl beide grundsätzlich, was das Politische betrifft, nicht direkt auf einer Linie sind. Das ist der Lauf der Dinge. Und ähnlich war es in der DDR. Einerseits war er dort der Staatsschriftsteller, wurde vereinnahmt, aber das ist auch eine verkürzte westdeutsche Sicht. Brecht hat in der DDR ja nur ein paar Jahre gelebt, aber soll jetzt ein DDRSchriftsteller sein. Er hat doch sein Leben ganz woanders verbracht – wie Anna Seghers, Arnold Zweig, Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger. Die haben eine eigene Biografie, die sie zum Schluss in die DDR geführt hat, weil sie sich in der Bundesrepublik aus guten Gründen nicht wohlfühlen konnten. Dort haben sie ziemlich viel von den alten Nazis gesehen, wegen denen sie auswandern mussten. So ist es Brecht auch gegangen. Vereinnahmung findet überall statt. Wenn man aber nicht ganz doof war, konnte man auch in der Schule diesen subversiven Punkt bei ihm wiederfinden.
Brecht war Ihnen durch die DDR nicht verleidet? Sie dachten sich nach Ihrer Schulzeit nicht: Nie wieder Brecht?
Kuttner: Dazu ist Brecht zu wichtig und zu groß.
Kühnel: Die tollen Texte hatte man in der Schule nicht gelesen. Wenn ich überlege: „Die Gewehre der Frau Carrar“hat man vielleicht gekannt, das Friedenslied.
Kuttner: Das ist auch eine Haltungsfrage. Man war als Schüler ja nicht nur Opfer der Schule.
Wann fing das bei Ihnen an, dass Sie sich als Regisseure mit Brecht auseinandersetzten?
Kühnel: Ich habe früher mit Robert Schuster zusammen inszeniert. In unserem Studium an der Ernst Busch Hochschule in Berlin wollten wir beide kurz nach der Wende „Die Maßnahme“inszenieren. Keiner wollte zurücktreten. Dann haben wir einen gemeinsamen Abend daraus gemacht. Danach haben wir die Angebote nur noch zusammen bekommen. Damals war „Die Maßnahme“noch verboten.
Sie haben das Guerilla-mäßig aufgeführt?
Kühnel: Als geschlossene Veranstaltung, wir durften keinen Eintritt nehmen. Damals habe ich zum ersten und einzigen Mal Heiner Müller gesehen.
Und was hat er gesagt?
Kühnel: Ich habe nur „Guten Tag“gesagt. Es gab kein Feedback. Manfred Karge war mein Regie-Professor, der früher Brecht-Assistent war. Über ihn fing die Auseinandersetzung mit Brecht an.
Und die Auseinandersetzung mit Brecht ist bis heute ein Teil Ihrer Arbeit geblieben?
Kuttner: Letztlich kommt man am Theater als halbwegs ernst zu nehmender Regisseur an Brecht nicht vorbei. Er hat das Theater im 20. Jahrhundert wirklich revolutioniert. Er hat da einen Pflock ins 20. Jahrhundert eingeschlagen.
Kühnel: Das gesamte postdramatische Theater kommt von Brecht. Selbst wenn wir mal nicht Brecht gemacht haben, etwa unseren Abend über Harun Farocki, hieß das im Untertitel ein „quasi-maoistisches Lehrstück“. Wir haben immer auch mit einer Brecht’schen Methodik operiert.
Was interessiert Sie heute am meisten an Brecht?
Kuttner: Die Texte der Lehrstücke und das Prinzip der Lehrstücke finde ich sehr interessant. Die grundsätzlichen Überlegungen hinter den Texten finde ich total aufregend und anregend.
Wie schwer fiel es Ihnen beiden, als Festivalmacher Ihre Künstler für Brecht zu begeistern?
Kuttner: Wir mussten niemanden überreden. Die Leute waren alle sehr aufgeschlossen und angetan. Und wir hatten gute Ideen für Anregungen.
Wie viel Neugier ist bei Ihnen auf Ihr erstes Programm da?
Kuttner: Die ist unglaublich groß. Wir haben nichts gesehen und wir haben uns auch nicht eingemischt. Und das folgt auch irgendwie Bert
Brecht, dass die, die es machen, es auch verantworten sollen.
Wenn jetzt Martin Wuttke am ersten Spektakelabend kommt …
Kühnel: Er kommt erst am zweiten Abend, da gab es einen Tausch. Kuttner: Wuttke musste am Akademietheater in Wien einspringen. Kühnel: Wir haben jetzt Patrick Wengenroth gefragt, ob er am ersten Spektakelabend für Wuttke einspringt.
Bei uns in der Redaktion kam nach der Programmpräsentation auch eine Zuschrift an, die kritisierte, dass Sie Brecht in Ihrem Festival zu einem Kommunisten machen wollen, weil Sie zum Beispiel auf dem Programm aus Brechts „Lob des Kommunismus“zitieren.
Kuttner: Es gibt keine politische These, die wir mit dem Festival illustrieren wollen. Aber wir machen auch kein unpolitisches Festival.
Man kann sich darüber streiten, ob Brecht Kommunist war oder nicht. Ich würde sagen, er war ein Kommunist, kein Partei-Kommunist, dafür war er zu klug und zu widerspruchsversessen. Ich glaube, dass man Brecht ohne Kommunismus nicht haben kann. Man kann Brecht nicht in die Zentrifuge stecken und den Kommunismus rausschleudern, damit ein anämisches, weißes Brecht-Gespenst übrig bleibt.
In der Wissenschaft heißt es, dass Brecht auch ein Opportunist war. Kuttner: Klar war er im Zweifelsfall eine Schwejk-Figur. Er konnte sich dumm stellen, er war klug, etwa bei dem McCarthy-Verhör in den USA. Er war ein Künstler, dem es um sein Werk ging. Und er hat sich den Ort gesucht, an dem er es am besten machen kann. Da ist es gut, dass die Schwejk-Premiere des Staatstheaters ein zentraler Teil des Festivals ist.