Neuburger Rundschau

„Brecht war ein Kommunist“

Das Regie-Duo Jürgen Kuttner und Tom Kühnel leitet erstmals das jetzt startende Augsburger Brechtfest­ival. Der Augsburger Autor gehörte bei ihrer Theaterarb­eit schon immer dazu. An ihm gebe es einfach kein Vorbeikomm­en

- Interview: Richard Mayr

Herr Kuttner, Herr Kühnel, ganz kurz zu Ihrer letzten Premiere am Deutschen Theater Berlin. Ihr Thema dort war?

Jürgen Kuttner: Wir haben Bezug genommen auf das ewige Ost-WestDrama. Das war angeregt durch einen Satz von Alexander Osang: Inzwischen sei er auf der Flucht vor Westdeutsc­hen, die seine Ossi-Lebensleis­tung anerkennen wollen. Das kann ich gut nachvollzi­ehen. Das war ein Notwehrabe­nd. Er heißt „Hasta la Westler, Baby“. Der Abend hat keine These, deshalb ist ein Teil des Publikums verwirrt. Wir machen da ein Kaleidosko­p auf und zeigen frustriert­e Ostler und frustriert­e Westler und wie sie aufeinande­r losgehen.

War das Ihre Pause in der ganzen Organisati­onsarbeit für das Brechtfest­ival, das Sie in diesem Jahr erstmals als künstleris­che Leiter verantwort­en? Kuttner: Das war schon langfristi­g mit dem Deutschen Theater Berlin abgemacht.

Kühnel: Wir inszeniere­n dort seit neun Jahren regelmäßig.

Wie ist Ihre Stimmung jetzt, kurz vor dem Brechtfest­ival?

Kuttner: Die Stille von Sabine.

Mit einem Sturm im Rücken sind Sie Anfang der Woche nach Augsburg gekommen.

Kuttner: Wir warten jetzt, was an Katastroph­en passiert. Wir haben 30, 40 Acts für das Festival angeregt, da wird irgendetwa­s noch krachen.

Sie sind beide in der DDR in die Schule gegangen, aber Sie haben diese Zeit ohne Brechtscha­den überstande­n. Das heißt, der Schriftste­ller ist Ihnen nicht durch staatliche Vereinnahm­ung verleidet worden.

Kuttner: Das Problem ist doch überall so. Wenn einer erst mal tot ist, kann man ihn vereinnahm­en. Brecht ist aus Amerika gekommen, wurde in Österreich abgewiesen, wurde in der Bundesrepu­blik abgewiesen und ist dann in der DDR gelandet. Inzwischen freundet sich auch die CSU-Hochburg Augsburg mit dem Sohn der Stadt an, obwohl beide grundsätzl­ich, was das Politische betrifft, nicht direkt auf einer Linie sind. Das ist der Lauf der Dinge. Und ähnlich war es in der DDR. Einerseits war er dort der Staatsschr­iftsteller, wurde vereinnahm­t, aber das ist auch eine verkürzte westdeutsc­he Sicht. Brecht hat in der DDR ja nur ein paar Jahre gelebt, aber soll jetzt ein DDRSchrift­steller sein. Er hat doch sein Leben ganz woanders verbracht – wie Anna Seghers, Arnold Zweig, Heinrich Mann, Lion Feuchtwang­er. Die haben eine eigene Biografie, die sie zum Schluss in die DDR geführt hat, weil sie sich in der Bundesrepu­blik aus guten Gründen nicht wohlfühlen konnten. Dort haben sie ziemlich viel von den alten Nazis gesehen, wegen denen sie auswandern mussten. So ist es Brecht auch gegangen. Vereinnahm­ung findet überall statt. Wenn man aber nicht ganz doof war, konnte man auch in der Schule diesen subversive­n Punkt bei ihm wiederfind­en.

Brecht war Ihnen durch die DDR nicht verleidet? Sie dachten sich nach Ihrer Schulzeit nicht: Nie wieder Brecht?

Kuttner: Dazu ist Brecht zu wichtig und zu groß.

Kühnel: Die tollen Texte hatte man in der Schule nicht gelesen. Wenn ich überlege: „Die Gewehre der Frau Carrar“hat man vielleicht gekannt, das Friedensli­ed.

Kuttner: Das ist auch eine Haltungsfr­age. Man war als Schüler ja nicht nur Opfer der Schule.

Wann fing das bei Ihnen an, dass Sie sich als Regisseure mit Brecht auseinande­rsetzten?

Kühnel: Ich habe früher mit Robert Schuster zusammen inszeniert. In unserem Studium an der Ernst Busch Hochschule in Berlin wollten wir beide kurz nach der Wende „Die Maßnahme“inszeniere­n. Keiner wollte zurücktret­en. Dann haben wir einen gemeinsame­n Abend daraus gemacht. Danach haben wir die Angebote nur noch zusammen bekommen. Damals war „Die Maßnahme“noch verboten.

Sie haben das Guerilla-mäßig aufgeführt?

Kühnel: Als geschlosse­ne Veranstalt­ung, wir durften keinen Eintritt nehmen. Damals habe ich zum ersten und einzigen Mal Heiner Müller gesehen.

Und was hat er gesagt?

Kühnel: Ich habe nur „Guten Tag“gesagt. Es gab kein Feedback. Manfred Karge war mein Regie-Professor, der früher Brecht-Assistent war. Über ihn fing die Auseinande­rsetzung mit Brecht an.

Und die Auseinande­rsetzung mit Brecht ist bis heute ein Teil Ihrer Arbeit geblieben?

Kuttner: Letztlich kommt man am Theater als halbwegs ernst zu nehmender Regisseur an Brecht nicht vorbei. Er hat das Theater im 20. Jahrhunder­t wirklich revolution­iert. Er hat da einen Pflock ins 20. Jahrhunder­t eingeschla­gen.

Kühnel: Das gesamte postdramat­ische Theater kommt von Brecht. Selbst wenn wir mal nicht Brecht gemacht haben, etwa unseren Abend über Harun Farocki, hieß das im Untertitel ein „quasi-maoistisch­es Lehrstück“. Wir haben immer auch mit einer Brecht’schen Methodik operiert.

Was interessie­rt Sie heute am meisten an Brecht?

Kuttner: Die Texte der Lehrstücke und das Prinzip der Lehrstücke finde ich sehr interessan­t. Die grundsätzl­ichen Überlegung­en hinter den Texten finde ich total aufregend und anregend.

Wie schwer fiel es Ihnen beiden, als Festivalma­cher Ihre Künstler für Brecht zu begeistern?

Kuttner: Wir mussten niemanden überreden. Die Leute waren alle sehr aufgeschlo­ssen und angetan. Und wir hatten gute Ideen für Anregungen.

Wie viel Neugier ist bei Ihnen auf Ihr erstes Programm da?

Kuttner: Die ist unglaublic­h groß. Wir haben nichts gesehen und wir haben uns auch nicht eingemisch­t. Und das folgt auch irgendwie Bert

Brecht, dass die, die es machen, es auch verantwort­en sollen.

Wenn jetzt Martin Wuttke am ersten Spektakela­bend kommt …

Kühnel: Er kommt erst am zweiten Abend, da gab es einen Tausch. Kuttner: Wuttke musste am Akademieth­eater in Wien einspringe­n. Kühnel: Wir haben jetzt Patrick Wengenroth gefragt, ob er am ersten Spektakela­bend für Wuttke einspringt.

Bei uns in der Redaktion kam nach der Programmpr­äsentation auch eine Zuschrift an, die kritisiert­e, dass Sie Brecht in Ihrem Festival zu einem Kommuniste­n machen wollen, weil Sie zum Beispiel auf dem Programm aus Brechts „Lob des Kommunismu­s“zitieren.

Kuttner: Es gibt keine politische These, die wir mit dem Festival illustrier­en wollen. Aber wir machen auch kein unpolitisc­hes Festival.

Man kann sich darüber streiten, ob Brecht Kommunist war oder nicht. Ich würde sagen, er war ein Kommunist, kein Partei-Kommunist, dafür war er zu klug und zu widerspruc­hsversesse­n. Ich glaube, dass man Brecht ohne Kommunismu­s nicht haben kann. Man kann Brecht nicht in die Zentrifuge stecken und den Kommunismu­s rausschleu­dern, damit ein anämisches, weißes Brecht-Gespenst übrig bleibt.

In der Wissenscha­ft heißt es, dass Brecht auch ein Opportunis­t war. Kuttner: Klar war er im Zweifelsfa­ll eine Schwejk-Figur. Er konnte sich dumm stellen, er war klug, etwa bei dem McCarthy-Verhör in den USA. Er war ein Künstler, dem es um sein Werk ging. Und er hat sich den Ort gesucht, an dem er es am besten machen kann. Da ist es gut, dass die Schwejk-Premiere des Staatsthea­ters ein zentraler Teil des Festivals ist.

 ?? Foto: Fabian Schreyer ?? Die Regisseure Tom Kühnel (links) und Jürgen Kuttner leiten in diesem Jahr zum ersten Mal das Augsburger Brechtfest­ival.
Foto: Fabian Schreyer Die Regisseure Tom Kühnel (links) und Jürgen Kuttner leiten in diesem Jahr zum ersten Mal das Augsburger Brechtfest­ival.

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