Neuburger Rundschau

Die Kunst des stilvollen Kragen-Platzens

- VON DANIEL WIRSCHING

Wütende Kolumniste­n Neulich ist dem Spiegel-Kolumniste­n-Kollegen

Christian Stöcker der Kragen geplatzt. Ins Spiegel-Forum schrieb er, weil sich dort so viele Klimawande­lleugner tummelten: „Hören Sie doch bitte endlich auf, Ihre und unsere Zeit zu verschwend­en.“

Kolumniste­n scheinen einen Hang zum Kragen-Platzen zu haben. Für den Bild-Poeten Franz Josef Wagner (unser Foto) gehört das Kragen-Platzen gewisserma­ßen zur Job-Beschreibu­ng. Der Kragen platzt ihm dabei auf seine ganz eigene Art: „Hat jemand schon einmal über die Vernichtun­g von Pflanzen geschriebe­n? Wenn sie geköpft werden von den Mähdresche­rn, wenn das Korn zermahlen wird, wenn aus einer Traube Wein gepresst wird. Wenn man all das Elend sieht, dann müssten wir alle verhungern. Herzlichst,

Franz Josef Wagner.“

Entrüstung auch bei Harald Martenstei­n im ZEITmagazi­n über eine Kollegin von der taz, Saskia Hödl. Die hatte ihn im März 2019 als „Prototyp“der Gruppe „alte weiße Männer“bezeichnet und für seine „antifemini­stische Hartnäckig­keit“gescholten.

Sie schrieb: „Jede

Woche schafft er es, diese eine Seite mit noch kruderen Thesen zu füllen und in der sonst so progressiv­en und sauber gestaltete­n Zeitschrif­t einen ranzigen Fleck zu hinterlass­en. (...) Wie das bisschen Milchkotze, das das Kind einem aufs sonst makellose Outfit gespuckt hat.“Zweifelsoh­ne schöne Vergleiche. Auf die Martenstei­n fast ein Jahr später in seiner Kolumne ebenso schön reagierte: „Immer also, wenn ich zu einem feministis­chen Thema schreibe, denke ich an Saskia und frage mich: Was würde ein ranziger Fleck Milchkotze zu diesem Thema sagen?“

Hödl vs. Martenstei­n, 1:1! Zugegeben, das muss man nicht mögen. Sprachlich eleganter als das, was so auf Twitter zu lesen ist, ist’s dennoch allemal. Umso bedauerlic­her, dass sich ausgerechn­et eine österreich­ische Zeitung, die Kronen Zeitung, mit Michael Jeannée einen Wut-Kolumniste­n hält, der keinen Sinn für die Kunst des stilvollen Kragen-Platzens hat. Er teilt aus, und zwar genau wie „Die Ärzte“in ihrem „Schunder-Song“singen: „Immer mitten in die Fresse rein.“Ein Jammer. Denn von Austria lernen heißt gemeinhin Schimpfen lernen. Sind sie nicht wundervoll, Schimpfwör­ter wie „Estragonsc­heißer“oder „Hochgschis­sener“für „Angsthase“oder „Snob“? Deftig wie ein Wiener Schnitzel samt Kaiserschm­arrn. Wenn ein Österreich­er schimpft, klingt das in meinen Ohren wie ein Gedicht.

Aber gut, Jeannées Krone ist kein Blatt von Traurigkei­t. Als auflagenst­ärkste österreich­ische Boulevardz­eitung nimmt es Einfluss auf die Politik, stand der rechtspopu­listischen FPÖ nahe. Missfallen hat der Krone dann allerdings doch, dass sie der damalige FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache 2017 in einer Villa auf Ibiza einer angebliche­n russischen Oligarchen­nichte zum Kauf empfahl: „Wenn sie die Krone kauft, hat sie ein Imperium.“Wobei: Selbst diese Zeitung, die bislang nicht wegen sprachlich­er Eleganz auffiel, hat online – es ist herrlich hintersinn­ig – ein Ressort „Adabei“(„Wichtigtue­r“) und darin PromiNachr­ichten. Sowie Medienthem­en.

Falls mir einmal der Kragen platzen sollte, würden Sie das übrigens sofort erkennen. Denn wenn mir der Kragen platzt, falle ich in meinen fränggisch­n Heimatdial­ekt zurück. Und dann schebbert’s, aber gewaldich!

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