Die Kunst des stilvollen Kragen-Platzens
Wütende Kolumnisten Neulich ist dem Spiegel-Kolumnisten-Kollegen
Christian Stöcker der Kragen geplatzt. Ins Spiegel-Forum schrieb er, weil sich dort so viele Klimawandelleugner tummelten: „Hören Sie doch bitte endlich auf, Ihre und unsere Zeit zu verschwenden.“
Kolumnisten scheinen einen Hang zum Kragen-Platzen zu haben. Für den Bild-Poeten Franz Josef Wagner (unser Foto) gehört das Kragen-Platzen gewissermaßen zur Job-Beschreibung. Der Kragen platzt ihm dabei auf seine ganz eigene Art: „Hat jemand schon einmal über die Vernichtung von Pflanzen geschrieben? Wenn sie geköpft werden von den Mähdreschern, wenn das Korn zermahlen wird, wenn aus einer Traube Wein gepresst wird. Wenn man all das Elend sieht, dann müssten wir alle verhungern. Herzlichst,
Franz Josef Wagner.“
Entrüstung auch bei Harald Martenstein im ZEITmagazin über eine Kollegin von der taz, Saskia Hödl. Die hatte ihn im März 2019 als „Prototyp“der Gruppe „alte weiße Männer“bezeichnet und für seine „antifeministische Hartnäckigkeit“gescholten.
Sie schrieb: „Jede
Woche schafft er es, diese eine Seite mit noch kruderen Thesen zu füllen und in der sonst so progressiven und sauber gestalteten Zeitschrift einen ranzigen Fleck zu hinterlassen. (...) Wie das bisschen Milchkotze, das das Kind einem aufs sonst makellose Outfit gespuckt hat.“Zweifelsohne schöne Vergleiche. Auf die Martenstein fast ein Jahr später in seiner Kolumne ebenso schön reagierte: „Immer also, wenn ich zu einem feministischen Thema schreibe, denke ich an Saskia und frage mich: Was würde ein ranziger Fleck Milchkotze zu diesem Thema sagen?“
Hödl vs. Martenstein, 1:1! Zugegeben, das muss man nicht mögen. Sprachlich eleganter als das, was so auf Twitter zu lesen ist, ist’s dennoch allemal. Umso bedauerlicher, dass sich ausgerechnet eine österreichische Zeitung, die Kronen Zeitung, mit Michael Jeannée einen Wut-Kolumnisten hält, der keinen Sinn für die Kunst des stilvollen Kragen-Platzens hat. Er teilt aus, und zwar genau wie „Die Ärzte“in ihrem „Schunder-Song“singen: „Immer mitten in die Fresse rein.“Ein Jammer. Denn von Austria lernen heißt gemeinhin Schimpfen lernen. Sind sie nicht wundervoll, Schimpfwörter wie „Estragonscheißer“oder „Hochgschissener“für „Angsthase“oder „Snob“? Deftig wie ein Wiener Schnitzel samt Kaiserschmarrn. Wenn ein Österreicher schimpft, klingt das in meinen Ohren wie ein Gedicht.
Aber gut, Jeannées Krone ist kein Blatt von Traurigkeit. Als auflagenstärkste österreichische Boulevardzeitung nimmt es Einfluss auf die Politik, stand der rechtspopulistischen FPÖ nahe. Missfallen hat der Krone dann allerdings doch, dass sie der damalige FPÖ-Chef HeinzChristian Strache 2017 in einer Villa auf Ibiza einer angeblichen russischen Oligarchennichte zum Kauf empfahl: „Wenn sie die Krone kauft, hat sie ein Imperium.“Wobei: Selbst diese Zeitung, die bislang nicht wegen sprachlicher Eleganz auffiel, hat online – es ist herrlich hintersinnig – ein Ressort „Adabei“(„Wichtigtuer“) und darin PromiNachrichten. Sowie Medienthemen.
Falls mir einmal der Kragen platzen sollte, würden Sie das übrigens sofort erkennen. Denn wenn mir der Kragen platzt, falle ich in meinen fränggischn Heimatdialekt zurück. Und dann schebbert’s, aber gewaldich!