Großvater liebt Doper
Auf den Fall des gedopten chinesischen Schwimmers Sun Yang gibt es zwei Sichtweisen: die des Weltverbandes und die des internationalen Sportgerichtshofes (Cas). Ersterer sprach gleich am Anfang der Affäre eine Verwarnung aus und wollte die Sache ansonsten unauffällig unter den Tisch kehren. Der Cas dagegen sperrte Sun am Freitag für acht Jahre. Schwer zu übersehen ist die Differenz zwischen diesen beiden Urteilen. Wie konnte es zu derart unterschiedlichen Strafen kommen?
Das hat im Wesentlichen mit zwei älteren Herren zu tun. An der Spitze des Schwimm-Weltverbands Fina sitzen der Präsident Julio César Maglione, 84, aus Uruguay und sein Generaldirektor Cornel Marculescu, 78, aus Rumänien. Die beiden haben klassische Funktionärskarrieren hinter sich. An ihren Stühlen kleben sie wie die Schnecke am Salatblatt. Reformer oder gar Visionäre strafen sie mit Ignoranz. Doping ist für sie ein Kavaliersdelikt. Marculescu bezeichnete Sun Yang während der Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro als sehr guten Freund des chinesischen Schwimmteams. Als ihn der Rumäne bei der Siegerehrung umarmte, habe er ihn angeschaut wie ein Großvater. Als Sun 2014 mit dem Herzmittel Trimetazidin im Körper erwischt wurde, bezeichnete Marculescu das als „kleineren Unfall mit Doping“und fragte, ob man deshalb Stars von einer WM ausschließen solle.
Bei so viel großväterlicher Liebe könne man Fünfe doch auch mal gerade sein lassen, dachte sich die Fina-Spitze wohl, als sie vier Jahre später den nächsten Sündenfall des Chinesen auf den Tisch bekam. Der schwedische Anti-DopingDienstleister IDTM hatte die Geschehnisse rund um die mit einem Hammer zerstörte Dopingprobe auf 59 Seiten zusammengefasst. Der Weltverband wollte den Report in der Schublade verschwinden lassen. Dumm nur, dass ein Informant das Material dem australischen Daily Telegraph zuspielte.
Seitdem gärt und giftet der Fall vor sich hin. Sun Yang durfte trotz drohender Sperre bei der WM im vergangenen Jahr starten und gewann zweimal Gold. Als ihn andere Schwimmer auf dem Podest ignorierten und den Handschlag verweigerten, wurden sie von der Fina verwarnt. Derartige Gesten oder Statements seien unerwünscht.
Schallender könnte aber die Ohrfeige kaum sein, die die Fina nun kassiert hat. Es sind nicht die protestierenden Sportler, die unerwünscht sind. Es sind Funktionäre, wie sie an der Spitze des Verbandes sitzen.