Betrifft: Mitbrüder und Mitbürger
Das kennt jeder: Man liest flüchtig eine Überschrift und fädelt falsch ein. Aus „Stresstest für Antimaterie“wird dann flugs „Stresstest für Animateure“. Nicht ganz dasselbe. Es ist gar nicht so leicht zu sagen, was man eigentlich lieber gelesen hätte.
Manchmal genügt ein einziger Buchstabendreher – schon haben wir es nicht mit „Bebendem Marsboden“zu tun, sondern vermeintlich mit „Lebendem Marsboden“. Diese Irritationen und Bedeutungsverschiebungen sind meist nur flüchtig, kurze Aussetzer und Fehlzündungen beim routinierten Zeitungslesen. Manchmal aber fragt man sich, wie das Hirn auf seine Abzweige kommt. Weil man nach den Erwartungen liest, also gelenkt wird von eigenen Einstellungen, Erfahrungen und Stimmungen?
Da könnte was dran sein, etwa im Fall von „Vorhang auf, der Krampf beginnt!“, wie über einer Geschichte über das Wettrennen um den CDU-Vorsitz steht. Halt – das steht da ja gar nicht. Da steht: „Vorhang auf, der Kampf beginnt!“Wenn man einmal ein paar Tage seine eigenen SekundenUmdeutungen sammelt, kommt einiges zusammen. Die große Story „Unter Mitbürgern“(wieso tragen sie Messgewänder?) ist voreilig falsch eingetütet im SchnellreizLesemodus. Denn es geht um die Deutsche Bischofskonferenz. „Unter Mitbrüdern“also, was denn sonst. Wörter, die eher selten auftauchen, werden besonders flott zur Falle. „Die unterrepräsentierte Frau“ist etwas anderes als die zunächst gescannte Zeile „die unrepräsentative Frau“. Vielleicht ist es sogar ein Qualitätsmerkmal guter, gegen den Strich formulierter Überschriften, dass sie uns im ersten Moment aufs falsche Gleis führen. Wir meinen, wir sind auf bekanntem Terrain – und merken erst im zweiten Zugriff: falsch verbunden. „Fantastische Luftschlösser“. Schlüssig. Aber da steht: „Faschistische Luftschlösser.“