Die Frage der Woche Essen von daheim in die Kantine mitnehmen?
Ü
berraschung, hier gibt es jetzt kein Genöle über unfähige Kantinenköche, das wäre schließlich genauso langweilig wie auf Partys über das Wetter zu jammern. Brechen wir lieber gleich mal eine Lanze für Menschen in Großküchen: Die werden nämlich häufig vom Massengeschmack und Preisdiktat in ihrer Kochkunst eingebremst. Umfragen ergeben immer wieder, dass Currywurst, Pommes, Burger und Schnitzel zu den beliebtesten Kantinenessen der Deutschen gehören. Der Durchschnittskantinenesser mag es also deftigfettig, bloß nicht zu würzig oder extravagant. Und billig muss das Essen auch sein, sonst gibt’s Gemaule an der Kasse. „Ich habe den Eindruck, dass manche Männer, die sich wegen des Preises beschweren, gar nicht wissen, was Lebensmittel eigentlich kosten, weil sie gar nicht einkaufen gehen“, schildert jemand aus gut informierten Kreisen. Und auch, dass gerne mehr Ausgefalleneres angeboten werde – aber wenn kaum jemand das Tofu, den Joghurt mit Fruchtmark oder die Smoothies aufs Tablett lädt …
Der Massengeschmack ist auch ein Problem für diejenigen, die gerne mit Kollegen essen gehen und sich gesund ernähren möchten. Also für alle, die ohne Probleme eine Currywurst links unter der Wärmelampe liegen lassen können. Für Vegetarier und Veganer, die das permanente Salat-Nudel-Angebot satthaben. Für Scharfesser und Gewürzliebhaber. Wer das Essen mit Kollegen nicht missen möchte, bringt also Essen von daheim mit. Manch eine(r) tut das übrigens auch, um etwas Geld zu sparen oder weil zu Hause am Tag zuvor wieder zu viel gekocht worden war. Das kann auch für die Kantine Vorteile haben: Vielleicht wird dem ein oder anderen angesichts der kulinarischen Vielfalt die Currywurst ja dann doch mal fad.
Sich in die Essgewohnheiten anderer einzumischen, ist nicht ratsam. Ernährungsweisen haben heute fast religiösen Charakter. Es geht um Bekenntnisse, Moral und Überlebensfragen. Currywurst mit Pommes war früher einfach ein Kantinengericht und eine Geschmacksfrage. Heute trägt man mit dem Teller eine Gewissensentscheidung mit sich herum und lädt je nach Standpunkt schwere Schuld mit Sauce auf sich. Wenn jemand nur dem traut, was er selbst zubereitet hat, macht er sich das Leben freiwillig schwer. Aber das steht jedem frei, weshalb die Mittagessenvon-daheim-Mitbringer mit ihren käsigen Tupperschüsseln ein Recht darauf haben, unbehelligt zu bleiben. Man schreibt Kollegen ja auch nicht vor, ob sie mit oder ohne Fahrradhelm ins Büro kommen. Jeder wie er mag, solange es nicht jeden Tag Bio-Kohlsuppe ist, was auf dem Gepäckträger schwappt. Wer sein Tupperzeug
mittags in der Mikrowelle wärmt und sich dann an seinen Schreibtisch verkrümelt, um gesund und „safe“zu essen, soll sein Solo-Statement genießen. Die anderen gehen seufzend in die Kantine. Das ist der letzte Ort der kollektiven Machtlosigkeit und des hierarchiefreien Ausgeliefertseins. Du isst, was es gibt. Wie an der Losbude können das oft Nieten, aber auch mal ein schöner Gewinn sein. Gemeinsam Gericht halten über Schreddersalat, Geschnetzeltes oder Gemüsebrei in der kasachischen Woche dient dem Betriebsklima, das viel stärker durchschlägt als das Weltklima, für dessen Rettung die Kantine ungefähr so geeignet ist wie ein Flughafendrehkreuz. Und wenn da jemand mit am Tisch sitzt und aus seiner Tupperschüssel Trüffel auf Lauch an Nudeln löffelt, ist das nicht nur unhöflich gegenüber dem Kantinenpersonal. Dabei sein wollen, aber nicht früher sterben – das geht gar nicht.