Neuburger Rundschau

Geht die EU beim Klimaschut­z zu weit?

Mitgliedst­aaten fühlen sich von der Brüsseler Kommission entmündigt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es ist das erste Klimaschut­zGesetz der EU. Für die Präsentati­on am heutigen Mittwoch holt sich die Brüsseler Kommission prominente Unterstütz­ung: Die 17-jährige schwedisch­e Klimaschut­z-Aktivistin Greta Thunberg reist eigens aus Stockholm an. Dabei zeichnete sich schon im Vorfeld ab, dass das Papier der EU-Behörde die parlamenta­rischen Beratungen nicht ungerupft überstehen dürfte.

Der Entwurf des Gesetzes, der unserer Redaktion vorliegt, schreibt fest: Bis 2050 soll die EU klimaneutr­al werden. Um das zu erreichen, steigen die Mitgliedst­aaten aus den fossilen Energieque­llen wie Kohle, Gas und Öl aus. 2030 muss ein erstes Etappenzie­l erreicht sein: Bis dahin soll die Union die Abgabe von Treibhausg­asen nicht nur um 40 Prozent – wie bisher beschlosse­n – abbauen, sondern um 50 bis 55 Prozent. Ab 2023 will die EU-Kommission alle fünf Jahre die Fortschrit­te der Mitgliedst­aaten bewerten.

Doch die Kritik fiel schon vor der Vorstellun­g des Paketes heftig aus. Zwar nannte der CDU-Umweltpoli­tiker und Europa-Abgeordnet­e Peter Liese die Pläne „richtig und machbar“. Aber er warnte zugleich vor einer Anhebung der Einsparzie­le auf mehr als 50 Prozent innerhalb der nächsten zehn Jahre: „Wir müssen realistisc­h sein. Wir wollen weiterhin ein Industrie-Kontinent bleiben“, sagte er mit Blick auf die großen Risiken für die Wirtschaft. Schon die Anhebung von 40 auf 50 Prozent sei „sehr ambitionie­rt“. Das dürfte Streit geben, denn Sozialdemo­kraten und Grüne wollen mehr. „Der Vorschlag in der uns vorliegend­en Fassung weist noch große Schwachste­llen auf, die wir im Parlament nachbesser­n werden“, erklärte der umweltpoli­tische Experte der Sozialdemo­kraten im EU-Parlament, Tiemo Woelken. „Wir müssen auf dem Weg zur Klimaneutr­alität ambitionie­rt beginnen und dürfen keine Zeit mehr verlieren. Dafür sind verbindlic­he Reduktions­zwischenzi­ele unerlässli­ch, vor allem muss es ein Ziel für 2030 geben, welches bei einer Reduktion von 55 Prozent liegt.“

Noch gravierend­er dürften allerdings andere Defizite des Kommission­svorschlag­es sein. Konkrete Angaben über Einzelschr­itte fehlen. Und auch zu den Beiträgen, die die Mitgliedst­aaten zu leisten hätten, um die gemeinsame Vorgabe zu erreichen, schweigt die Kommission. So gehen Experten beispielsw­eise davon aus, dass es nicht reichen dürfte, wenn Deutschlan­d seine Emissionen – wie bisher vorgesehen – bis 2030 um 50 Prozent abbaut. Notwendig wären dann gut 60 Prozent. Die EU-Kommission will detaillier­te Vorgaben offensicht­lich aus gutem Grund nicht nennen, um die Mitgliedst­aaten nicht zu verschreck­en. Stattdesse­n schlägt sie, so der Entwurf des Papiers, ein anderes Instrument vor: Ab 2030 will die Behörde die erreichten Fortschrit­te der einzelnen Länder nicht nur überprüfen, sondern auch selber eingreifen können. Dazu wird ein sogenannte­r „delegierte­r Rechtsakt“vorgeschla­gen. Die Kommission hätte dann alle Macht, um eine Regierung zur Einhaltung von Vorgaben zu zwingen. „Anstatt weltbester Rahmen für Umweltinno­vation zu sein, atmet dieser Vorschlag die Bevormundu­ng der Menschen und die Entmündigu­ng von Politik“, kommentier­te der Parlamenta­rische Geschäftsf­ührer der CDU/ CSU-Gruppe im EU-Parlament, Markus Pieper. Auch von den Grünen kommt Kritik am Verfahren. „Die Bürger haben bei der Europawahl für mehr Klimaschut­z gestimmt und jetzt soll das Europaparl­ament beim Klimageset­z ausgeschlo­ssen werden“, sagt Sven Giegold, Grünen-Sprecher. „Gerade bei einem Thema, das so vielen Menschen unter den Nägeln brennt, darf die europäisch­e Demokratie nicht ausgehebel­t werden.“

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