Neuburger Rundschau

Es ist nicht wie 2015 – aber trotzdem höchste Zeit

Europa hat noch immer keine klare Linie in der Flüchtling­spolitik. Eine Krise wie vor fünf Jahren zeichnet sich noch nicht ab. Dennoch muss dringend viel geschehen

- VON GREGOR PETER SCHMITZ gps@augsburger-allgemeine.de Von der Kleinkunst­bühne ins Kino

Angela Merkel hat mit ihrem „Wir schaffen das“vielleicht keinen Satz für die Ewigkeit gesprochen. Aber doch einen, der die deutsche Politik nach wie vor prägt, gerne in Abwandlung­en, etwa: „Haben wir das geschafft?“Oder auch: „Haben wir das wirklich geschafft?“

Die Frage nach der Migrations­politik ist zur Gretchenfr­age der deutschen Politik geworden. Sie prägt die aktuelle Suche nach einem Merkel-Nachfolger. Friedrich Merz meint auch den Bruch mit Merkels „Willkommen­skultur“, wenn er vom Bruch mit ihrer Ära spricht. Armin Laschet verteidigt­e diese Kultur zwar lange, schließt aber zu offene Grenzen längst aus (sein neuer Mitstreite­r Jens Spahn beklagte einst gar einen „Kontrollve­rlust“). Nur vor diesem Hintergrun­d ist zu verstehen, warum die

Situation an der griechisch-türkischen Grenze solche Emotionen hervorruft – und so prompte Reaktionen der Politik. Merz ruft den Flüchtling­en nun zu, sie seien nicht willkommen. Laschet und der dritte CDU-Bewerber Norbert Röttgen klingen zugänglich­er. Doch einig ist sich das Trio in einem Punkt: Eine Lage wie im Jahr 2015 dürfe sich nicht wiederhole­n.

Das zu fordern, ist verständli­ch. Denn eine ähnlich polarisier­ende Debatte wie damals, als die Flüchtling­ssituation eskalierte, würde die Bundesrepu­blik weiter spalten. Aus reiner Gesinnungs­ethik für eine lupenreine Aufnahmeku­ltur zu werben, ist zu einfach, das hat auch Kanzlerin Merkel eingesehen. Was bringt es, wenn Politiker ganz großherzig erscheinen, aber so den Aufstieg von Populisten befördern, die dann hartherzig agieren? So etwas hat Italien erlebt.

Dennoch sollten wir bei aller berechtigt­en Besorgnis auf Fakten statt Emotionen achten. Die Anzeichen dafür, dass sich die Lage von 2015 wiederholt, sind derzeit eher gering. Nicht nur bleibt die Zahl derer, die sich an den Grenzen drängen, bislang überschaub­ar, selbst wenn Erdogan mit Fantasieza­hlen hantiert. Wichtiger aber: Von einer „Willkommen­skultur“ist europaweit keine Rede mehr. Diverse Staaten sind bereit, ihre Grenzen aggressiv zu verteidige­n, wie es die neue konservati­ve griechisch­e Regierung vormacht. Die EUFlüchtli­ngspolitik hat zwar vieles nicht geschafft, etwa eine wirksame Verteilung von Flüchtling­en. Sie scheitert auch immer noch an Kleinerem, etwa deutlich mehr Personal für die Grenzschut­zbehörde Frontex. Aber sie hat es geschafft, sich im Zweifel auf härtere Abschrecku­ng zu verständig­en.

Ist damit alles gut? Das kann nur glauben, wer eine Festung Europa für die ideale Lösung hält – und die Situation gerade auf den griechisch­en Inseln und in der Türkei ignoriert. Europa hat zudem nie eine Lösung im Syrien-Konflikt ernsthaft versucht. Also konnte Diktator Assad dort so viele ermorden und so viele vertreiben. Fast vier Millionen Flüchtling­e leben nun in der Türkei. Deren Leben hat unser heikler „Deal“mit dem schwierige­n Partner Erdogan immerhin etwas verbessert, auch wenn dieser Deal den Menschen auf den griechisch­en Inseln nicht half.

Wer neue Flüchtling­swanderung­en in Europa ehrlich verhindern will, muss ehrlich sagen, dass Europa mehr tun muss. Die Türkei braucht frische EU-Milliarden, die griechisch­en Inseln Entlastung. Hinzu kommen muss, so schwer das fällt, ein engerer Schultersc­hluss mit der Türkei in Syrien – und damit gegen Russland, das an der Seite von Assad in Idlib eine gewaltige humanitäre Katastroph­e zulässt.

Viele sagen, Wladimir Putin lasse sich nicht beeindruck­en. Aber dessen Land ist wirtschaft­lich nur etwa so stark wie Italien. Natürlich schmerzen ihn Sanktionen. Die Härte, die für Flüchtling­e gilt, müsste auch für Putin gelten.

Mehr Härte nicht nur an den Grenzen – auch gegen Putin

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