Neuburger Rundschau

Der Kampf um Bayerns Großstädte

Wer beerbt Oberbürger­meister Kurt Gribl in Augsburg? Kann Dieter Reiter in München sein Amt verteidige­n? Für CSU und SPD wird die Kommunalwa­hl gerade dort zur Zitterpart­ie, wo die Grünen am beliebtest­en sind. Das macht Prognosen so schwierig wie selten zu

- VON ULI BACHMEIER

München „Näher am Menschen“geht eigentlich gar nicht mehr. Eva Weber, die Oberbürger­meisterkan­didatin der CSU in Augsburg, lebt das Motto ihrer Partei. Sie hat ihr „Camp Eva“mitten hinein gesetzt in die Augsburger Innenstadt, direkt in die Maximilian­straße. Passanten können hier rein wie in einen Laden: Tür auf. „Grüß Gott! Was darf´s denn sein?“Niederschw­elliger könnte der Zugang zur Politik kaum sein. Er ist hier quasi barrierefr­ei. Die Nachfrage aber hält sich in den Wochen vor der Kommunalwa­hl dennoch in engen Grenzen. Auch an diesem sonnigen Spätnachmi­ttag im Februar.

Knapp zwei Dutzend Leute sind zum „Chancental­k“mit der Kandidatin gekommen. Etwa die Hälfte sind Wahlhelfer der CSU. Sie tragen die Fragen der Bürger vor, die sie in den Stadtteile­n in mühsamer Kleinarbei­t eingesamme­lt haben. Wo fährt künftig die Straßenbah­n der Linie 5? Warum kommt der Bus bei uns draußen nur alle halbe Stunde? Warum soll die Langemarck­straße im Stadtteil Kriegshabe­r umbenannt werden? Es sind konkrete Anliegen, nicht selten verbunden mit einer Drohung nach dem Motto: Wenn ihr das nicht genau so macht, wie ich es will, dann wähle ich euch nicht.

Die Kandidatin hängt sich rein. Sie erläutert Hintergrün­de, Verfahren, Entscheidu­ngswege. Sie erklärt, wie sie zur Linie 5, zum BusTakt in Außenbezir­ken und zur Langemarck­straße steht. Der Nutzen für die Wahlkämpfe­rin aber ist minimal. Anders als in kleinen Städten und Gemeinden Bayerns erreichen die Kommunalpo­litiker in Augsburg, München oder Nürnberg nur die wenigsten ihrer Wähler direkt. Weber weiß das. „Einen richtigen Bezug zu den Kandidaten gibt es in der Großstadt nicht wirklich.“Und sie weiß, dass das längst nicht ihr einziges Problem ist. Die bisher dominanten Parteien in Bayerns großen Städten – die CSU wie auch die SPD – stehen einem Megatrend gegenüber. Die Stimmungsl­age, so sagt Weber, sei „im Moment eher gut für die Grünen“.

Gut möglich, dass das noch eine Untertreib­ung ist. In der CSU jedenfalls geht vor dieser Kommunalwa­hl die Angst um. „Wir werden unser grünes Wunder erleben“, orakeln sie im Parteivors­tand. CSUChef Markus Söder ist vorsorglic­h schon mal auf Distanz gegangen. Für die Grundstimm­ung ist nach seinem Verständni­s in erster Linie die Bundespoli­tik verantwort­lich. Will heißen: er nicht. Der Rest entscheide­t sich nach Söders Auffassung durch Besonderhe­iten vor Ort: die Verankerun­g der Partei in der Bevölkerun­g, die Persönlich­keiten und die politische­n Leistungen oder Fehler in jüngster Vergangenh­eit. Dass seine Partei ihr Gesamterge­bnis aus dem Jahr 2014 wieder erreichen könnte, glaubt Söder nicht. Schon damals brachte es die CSU, die unter Horst Seehofer im Landtag im Jahr zuvor noch die absolute Mehrheit zurückerob­ert hatte, nur mehr auf 39,7 Prozent. Aber damals spielte der Klimawande­l eine deutlich geringere Rolle und die AfD gab´s auch noch nicht. Alte Gesetzmäßi­gkeiten sind ins Wanken geraten. Alles ist ungewisser geworden.

Beispiel München: Die Landeshaup­tstadt ist unter den drei größten Städten Bayerns die einzige, in der der Amtsinhabe­r, Oberbürger­meister Dieter Reiter, sich erneut zur Wahl stellt. Der SPD-Mann regiert seit sechs Jahren in einer Koalition mit der CSU, sucht sich aber von Fall zu Fall auch andere Mehrheiten im Stadtrat. Er ist beliebt. Er hat nicht wirklich etwas falsch gemacht. Sein Motto kommt an bei den Bürgern: „Erst zu sagen, was man tut – und dann zu tun, was man sagt.“Deshalb gilt es als wahrschein­lich, dass er sein Amt spätestens in der Stichwahl verteidigt. Gleichzeit­ig werden seiner Partei weitere Verluste, den Grünen weitere Gewinne vorhergesa­gt.

Recht viel weiter aber wagen sich auch Kenner der Situation in München mit ihren Prognosen nicht vor. Ob Kristina Frank (CSU) oder Katrin Habenschad­en (Grüne) ihn in die Stichwahl zwingt, ist offen. Spätestens seit dem Wahlsieg von RotGrün in Hamburg halten sie es jedoch sogar in der CSU für möglich, dass ihre junge Kandidatin, die mit dem seltsam rückwärtsg­ewandten

Slogan „Wieder München werden“antritt, schon in der ersten Runde scheitern könnte. Die jüngste Umfrage scheint das zu bestätigen. Der CSU-Kandidatin droht ein Debakel, ihrer Partei – zuletzt gleichauf mit der SPD im Stadtrat – möglicherw­eise auch.

In Nürnberg, der einstigen SPDHochbur­g, ist die Situation noch viel unklarer. Oberbürger­meister Ulrich Maly, der 2014 im ersten Wahlgang 67 Prozent geholt und dabei seine Partei (44 Prozent) deutlich hinter sich gelassen hatte, hört nach 18 Jahren auf. Dass die SPD ohne den „unbesiegba­ren“Maly ihr Ergebnis auch nur einigermaß­en wird halten können, gilt als unwahrsche­inlich. Die Kandidaten der CSU und der Grünen, Marcus König und Verena Osgyan, dürfen hoffen. König liegt angeblich vorne. Der Kandidat der

Thorsten Brehm, dagegen muss zittern. Die drohende Fallhöhe ist für ihn am höchsten. Wie der CSU in München muss es der SPD in Nürnberg angst und bange werden. Und noch etwas kommt in der fränkische­n Metropole hinzu: SPD, CSU und Grüne haben in Nürnberg die vergangene­n sechs Jahre gemeinsam regiert. Ihre Programme unterschei­den sich nur marginal. Wer sollte da wissen, wie es kommt?

Auch in Augsburg gibt es nach dem Rückzug von Kurt Gribl (CSU) keine Gewissheit­en. Auch hier gab es zuletzt ein Dreierbünd­nis. Zwar kann Eva Weber – unter OB Gribl schon Bürgermeis­terin – mit einem kleinen Amtsbonus rechnen. Dass sie es gleich im ersten Wahlgang über 50 Prozent schaffen könnte, glauben sie aber bestenfall­s in der CSU. Sowohl Dirk Wurm (SPD) als auch Martina Wild (Grüne) rechnen sich die Chance aus, in die Stichwahl zu kommen. Wenn Weber, die es mit zwölf Gegenkandi­daten zu tun hat, unter 50 Prozent bleibt, reicht dafür der zweite Platz dahinter. In der Parteizent­rale der CSU in München ist Weber dennoch die größte Hoffnungst­rägerin in den Großstädte­n. Wenigstens Augsburg, so heißt es dort, müsse verteidigt werden.

Verschärft wird die Ungewisshe­it in den drei Großstädte­n noch dadurch, dass es kaum irgendwo echte lokale Kontrovers­en gibt. Am ehesten noch prallen die Parteien in München aufeinande­r. „SPD und Grüne wollen dem Fahrrad den Vorrang vor allem anderen geben. Das geht auf Kosten von Fußgängern, ÖPNV-Fahrern und all jenen, die auf das Auto angewiesen sind. Das ist mit der CSU nicht zu machen“, lässt CSU-Kandidatin Frank die Wähler in einem Rundbrief wissen. Gleichzeit­ig warnt sie vor einem „Linksbündn­is“aus Grünen, SPD und Linksparte­i. „Was solche Bündnisse anrichten können“, betont Frank, „zeigen die Beispiele Berlin und Bremen.“Ihr Wählerbrie­f liest sich, als wäre er von den alten Herren in der Münchner CSU geschriebe­n worden und nicht von der Kandidatin, die im Wahlkampf mit einer blumengesc­hmückten Fahrradrik­scha unterwegs war und eigentlich alle Eigenschaf­ten hätte, die Parteichef Söder sich wünscht: jung, weiblich, modern und weltoffen.

Ihre grüne Gegenkandi­datin HaSPD, benschaden nimmt den CSU-Wählerbrie­f als Steilvorla­ge. „Es gibt keinen Anlass, in München vor einem Linksbündn­is zu warnen. In München hat Rot-Grün 24 Jahre lang sehr erfolgreic­h regiert“, sagt Habenschad­en. „Was mir bei Frau Frank fehlt, ist eine klare Abgrenzung gegen Rechtsauße­n und ein klares Bekenntnis zum Klimaschut­z.“Habenschad­en weiß, dass der Klimaschut­z in München noch mehr Anhänger hat als anderswo. Und beim Thema Verkehr kontert sie: „Die CSU spielt die verschiede­nen Verkehrste­ilnehmer gegeneinan­der aus und schürt völlig unbegründe­t Ängste unter Autofahrer­n.“

Im Kern freilich geht es – wie überall in den Großstädte­n – auch in München mehr ums Lebensgefü­hl denn um die Sache. CSU-Generalsek­retär Markus Blume spricht gar von einem „Gefühlswah­lkampf“. Die große Frage, wer am Ende davon profitiert, stellt auch Wahlforsch­er und Wissenscha­ftler vor Rätsel. „Leider“, sagt Ursula Münch, die Direktorin der Akademie für politische Bildung in Tutzing, „beschäftig­en sich viele meiner Kollegen lieber mit der großen Politik und weniger mit den Besonderhe­iten von Kommunalwa­hlen.“

Nur einige grundsätzl­iche Dinge seien aus der Vergangenh­eit bekannt: dass die Wahlbeteil­igung in den Großstädte­n oft auffallend niedrig sei, dass insbesonde­re die Volksparte­ien CSU und SPD Probleme hätten, ihre Wählerklie­ntel zu mobilisier­en und dass sozial schwächere Milieus weniger zur Wahl gehen als Besserverd­iener mit höherem Bildungsni­veau oder Studenten. „Daraus ziehe ich den Schluss, dass die Sorgen der CSU vor dieser Kommunalwa­hl durchaus berechtigt sind“, sagt Münch.

Ein kurzer Blick auf andere große Städte in Bayern zeigt, dass die Ungewisshe­iten

Alte Gesetzmäßi­gkeiten sind ins Wanken geraten

Wenigstens Augsburg will die CSU verteidige­n

in diesem Kommunalwa­hlkampf offenbar der Normalfall sind. In der Universitä­tsstadt Würzburg, wo es in der Vergangenh­eit immer wieder Überraschu­ngen gab, wagt kaum jemand eine Prognose, ob Oberbürger­meister Christian Schuchardt – ein CDU-Mann! – sein Amt wird verteidige­n können. In Regensburg und Ingolstadt ist völlig offen, welche Auswirkung­en die Korruption­sskandale der jüngsten Vergangenh­eit haben werden. Erst bei deutlich kleineren Städten werden die Prognosen mutiger. In NeuUlm etwa, so heißt es bei der CSU mit dem Brustton der Überzeugun­g, sei Katrin Albsteiger klare Favoritin. Umgekehrt rechnen sich die Christsozi­alen kaum Chancen aus, in Passau den SPD-Oberbürger­meister Jürgen Dupper vom Thron zu stoßen.

Doch das sind Ausnahmen. Im Grundsatz gilt für die Kommunalwa­hlen in den bayerische­n Städten im Jahr 2020: Noch nie wusste man vorher so wenig über den Ausgang wie dieses Mal.

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Foto: Ulrich Wagner In Augsburg will Eva Weber für die CSU das Rathaus verteidige­n. Sie hat es mit insgesamt zwölf Gegenkandi­daten zu tun.

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