Neuburger Rundschau

Kehrt die Flüchtling­skrise zurück?

Die Folgen der Masseneinw­anderung vor fünf Jahren beschäftig­en Deutschlan­d noch immer. Nun lösen die Bilder von der türkisch-griechisch­en Grenze erneut Sorgen und Streit aus. Was sich seit 2015 geändert hat

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Sind Europas Grenzen heute dichter als 2015?

Die EU hat sich – auch weil es bei der Verteilung nicht voranging – auf den Grenzschut­z und restriktiv­e Maßnahmen gegen Asylbewerb­er konzentrie­rt. Die Balkanrout­e, über die damals viele Menschen nach Zentraleur­opa kamen, ist weniger durchlässi­g geworden, vor allem für Migranten, die nicht über viel Geld für Schlepper verfügen. Ungarn hat seine Grenze zu Serbien komplett mit einem Metallzaun abgeriegel­t. Kroatiens Grenzpoliz­ei schiebt irreguläre Grenzgänge­r nach Bosnien zurück. Aktuell ist Bulgariens gesamte grüne Grenze zur Türkei durch Drahtzäune mit Thermokame­ras viel besser geschützt als bei der Flüchtling­skrise 2015.

Was bedeutet das Scheitern des EUTürkei-Deals?

Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei hatte wesentlich dazu beigetrage­n, dass der Flüchtling­szuzug nach Deutschlan­d nach 2016 drastisch gesunken ist. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verstößt mit seinem Vorgemassi­v gegen das Abkommen, aufgekündi­gt hat er es noch nicht. In Brüssel hofft man, das Abkommen wiederbele­ben zu können. Bislang sind nur gut drei der zugesagten sechs Milliarden Euro Hilfen an die Türkei ausgezahlt worden. Scheitert das Abkommen endgültig, drohen massenhaft­e durch Schlepper organisier­te Überfahrte­n auf griechisch­e Inseln. 2015 ertranken dabei hunderte Menschen im Meer.

Wäre Deutschlan­d heute besser vorbereite­t?

Die Behörden haben aus Erfahrunge­n gelernt. Aber wenn tatsächlic­h erneut viele hunderttau­sende Asylsuchen­de ins Land kämen, würde dies die Kommunen wohl wieder an die Belastungs­grenzen bringen, ebenso das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e. Der Rückstau an noch offenen Asylanträg­en vermindert sich nur langsam, auf rund 57000 Anträge zum Jahreswech­sel. Auch die Verwaltung­sgerichte sind noch immer mit den Folgen des Flüchtling­sandrangs der Jahre 2015 und 2016 ausgelaste­t, da viele Asylbewerb­er gegen einen ablehnende­n

Bescheid klagen. Zugleich hat seit 2015 Deutschlan­d die Asylgesetz­e verschärft. Syrische Bürgerkrie­gsflüchtli­nge können nur sehr schwer Angehörige aus dem Ausland nachholen. Abschiebun­gen in andere Staaten wie Afghanista­n und Irak wurden erleichter­t. Die Zahl der Erstanträg­e von Asylbewerb­ern stieg von im Dezember 8300 auf 12 200 im Januar.

Die Hauptankun­ftsländer Italien und Griechenla­nd fühlten sich 2015 vom Rest Europas im Stich gelassen. Was hat sich seither getan? Seit Jahren wird in der EU im Streit um die Verteilung von Asylsuchen­den verhandelt, gestritten – und wenig entschiede­n. Die Reform der sogenannte­n Dublin-Regeln, nach denen meist jener EU-Staat für einen Asylantrag zuständig ist, auf dessen Boden ein Schutzsuch­ender zuerst europäisch­en Boden betreten hat, ist gescheiter­t. Länder wie Ungarn, Polen, Tschechien und Österreich wollen sich nicht zur Aufnahme verpflicht­en lassen. Mit Blick auf eine dauerhafte Regelung zur Verteilung Schutzsuch­ender hat sich nichts gehen tan. Solange das Flüchtling­sabkommen mit der Türkei hielt, fiel das wenig auf. Nun gerät die EU jedoch stark unter Druck.

Darf Griechenla­nd sich einfach weigern, Asylanträg­e an der Grenze entgegenzu­nehmen?

„Kein Land ist verpflicht­et, die Grenzen generell zu öffnen“, sagt der Völkerrech­tler Daniel Thym. „Die griechisch­e Regierung handelt nicht per se rechtswidr­ig, wenn sie die Einreise verhindert“, betont der Experte. „Anders ist die Lage, sobald jemand faktisch eingereist ist.“Ob Zurückschi­ebungen möglich sind, sei nicht abschließe­nd geklärt. So entschied der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte im Februar, dass Spanien in seiner Exklave Melilla zwei Migranten bei ihrem Grenzübert­ritt umgehend nach Marokko zurückweis­en durfte. Eine generelle Erlaubnis der „Pushbacks“oder Sammelausw­eisungen ist das aber nicht.

Droht ein neuer Streit um Deutschlan­ds Asylpoliti­k?

Tatsächlic­h besteht zwischen Union, und SPD Uneinigkei­t, wie man mit der neuen Zuspitzung der Flüchtling­skrise umgehen soll. Zwar herrscht im Kabinett gespannte Ruhe, insbesonde­re CSU-Innenminis­ter Horst Seehofer hält sich bislang öffentlich zurück. Doch für die CDU, die im Machtkampf um die künftige Führung steckt, kommt die Debatte zu einem ungünstige­n Zeitpunkt. Einigkeit besteht in der Koalition zwar, dass sich die Zustände von 2015 auf keinen Fall wiederhole­n dürften. Umstritten ist aber, ob Deutschlan­d in größerem Umfang Flüchtling­e und insbesonde­re Kinder aus den schon seit Monaten überfüllte­n griechisch­en Lagern aufnehmen soll. Dies fordern nicht nur die Grünen, sondern auch Teile der SPD. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt warnt dagegen, aus Deutschlan­d Aufnahmesi­gnale zu senden. Es sei verantwort­ungslos, bei den Flüchtling­en falsche Hoffnungen zu wecken. Die LinkenFrak­tionschefi­n Amira Mohamed Ali fordert dagegen: „Die Grenzen müssen geöffnet werden. Den Menschen muss in Griechenla­nd geholfen werden.“

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Foto: Burak Kara, Getty Flüchtling­e tragen ihre Kinder und Habseligke­iten in der türkischen Region Edrine Richtung griechisch­e Grenze.

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