Neuburger Rundschau

15 Milliarden Euro Fördergeld – und keiner ruft es ab

Finanzmini­ster Olaf Scholz hat bereits einen Hilferuf an die Kommunen gerichtet: „Bitte nehmt das Geld!“– Weshalb Staatszusc­hüsse häufig sehr lange auf Abnehmer warten. Und was man in einem neuen Konjunktur­programm besser machen könnte

- VOn mICHAEL KERLER WELTBÖRSEN­MIMMÜBERBL­ICK

München Seit das Coronaviru­s die Wirtschaft in Mitleidens­chaft zieht, bekommt die Forderung nach einem Konjunktur­programm neue Kraft. Ein Problem könnte sich dabei aber stellen: Fördergeld wird in Deutschlan­d zäh abgerufen. Das hat der FDP-Bundestags­abgeordnet­e Otto Fricke vergangene­s Jahr feststelle­n müssen. Er fragte bei der Bundesregi­erung, wie viel der 3,5 Milliarden Euro bereits abgerufen sind, welche der Bund zwischen 2015 und 2020 für finanzschw­ache Kommunen bereitstel­lt, damit diese ihre Infrastruk­tur ausbauen können. Die Antwort barg einige Überraschu­ngen. Im September 2019 waren erst 1,7 Milliarden Euro verwendet, das entspricht 48 Prozent der Mittel. Will das Geld des Bundes am Ende keiner?

Im Herbst schickte Finanzmini­ster Olaf Scholz sogar einen Hilferuf aus: „Bitte, nehmt das Geld!“, sagte er in einem Interview. Es gebe 15 Milliarden Euro Investitio­nsmittel beispielsw­eise für Schulen, Straßen oder die Digitalisi­erung, die nicht abgerufen worden seien. Dabei handelt sich um die „Ausgaberes­te der Ressorts“aus dem Jahr 2018, ergänzt das Ministeriu­m. Was aber ist der Grund für diese Probleme? Teilweise fehlt finanzschw­achen Gemeinden schlicht das Geld, um den Eigenantei­l aufzubring­en, der in den Förderprog­rammen verlangt wird, berichtet Wilfried Schober vom Bayerische­n Gemeindeta­g. „Wenn zum Beispiel der Bund 50 Prozent der Investitio­nskosten übernimmt, muss die Gemeinde die restlichen 50 Prozent tragen“, berichtet er. „Das überforder­t sie oft.“In struktursc­hwachen Gegenden des Freistaats wie in Oberfranke­n oder der nördlichen Oberpfalz kann dies ein Thema sein, sagt Schober.

Manchmal gehen Förderprog­ramme des Bundes auch einfach am Bedarf vorbei, sagt der Experte. Beispiel Breitbanda­usbau: „Da hat der Freistaat Bayern ein viel kommunalfr­eundlicher­es Förderprog­ramm aufgelegt. Ergebnis: Bayerns Gemeinden nehmen fast alle das bayerische Programm und lassen das Bundesprog­ramm links liegen“, berichtet Schober.

Und dann kommt ein Problem hinzu, das private Bauherren gut kennen: Handwerker und Baufirmen sind derzeit im Bau-Boom „komplett ausgelaste­t“, sagt Schober. Häufig gebe auf die öffentlich­en Ausschreib­ungen der Gemeinden und Städte nicht einmal eine Firma ein Angebot ab, da diese mit Privaten mehr oder bessere Geschäfte machen.

Ein Hauptgrund aber sind die langen und komplexen Vergabever­fahren, sagt Achim Sing, Sprecher des Bayerische­n Städtetage­s. Dazu muss man sich den Ablauf eines typischen Förderprog­ramms vor Augen halten: Angenommen, der Bund richtet ein Programm für die Kommunen ein, sei es für Infrastruk­tur oder Schulbedar­f. Allein die politische Diskussion nimmt Zeit in Anspruch. Steht der Fördertopf, setzen Bund und Länder eine Verwaltung­svereinbar­ung auf, die genau regelt, wie die Mittel beantragt werden können. Die Kommunen können erst dann Anträge auf Fördermitt­el stellen. Jeder Antrag wird geprüft, „schließlic­h handelt es sich um öffentlich­e Gelder“, erklärt Sing. In Bayern sind im Normalfall die Bezirksreg­ierungen zuständig, zum Beispiel die Regierung von Schwaben. Gibt diese grünes Licht, können die Kommunen endlich loslegen. Bis hierhin kann gut über ein Jahr ins Land gezogen sein.

Nun entsteht eine Straße oder eine Kita. Während der Bauphase können die Kommunen erste Auszahlung­santräge stellen. Den letzten Teil bekommen die Kommunen aber erst, wenn das Projekt steht und ein sogenannte­r Verwendung­snachweis erstellt worden ist. Dieser belegt, dass die Gelder tatsächlic­h wie geplant eingesetzt wurden.

Es gibt durchaus Interesse an Fördergeld­ern, sagt Alexander Handschuh vom Deutschen Städteund Gemeindebu­nd. „Bis sie abgerufen werden, dauert es aber sehr lange.“Das Fördersyst­em sei zu komplex: „Es gibt inzwischen rund 300 Förderprog­ramme von Bund und Land“, sagt Handschuh. Wer hat da noch den Überblick?

„Ein klares System ist in diesem Förderdsch­ungel oftmals nicht erkennbar“, kritisiert auch FDPHaushal­tsexperte Fricke. „Stattdesse­n müssen die Kommunen immer mehr Mitarbeite­r einstellen, die sich mit hohem Aufwand durch die verschiede­nen und oft undurchsic­htigen Förderprog­ramme bewegen.“

Dazu kommen „hausgemach­te Probleme“, sagt Städte- und Gemeinde-Sprecher Handschuh, da in Deutschlan­d besonders viele Regierungs­ebenen eingebunde­n werden. Fördermitt­el an private Firmen zum Beispiel im Breitband-Ausbau brauchen die Zustimmung der EU. Der Bund stellt dann das Geld. In Deutschlan­d sind aber als dritte Ebene noch die Länder eingebunde­n, in denen die Mittel vergeben werden. Drei Ebenen für eine Fördersumm­e – das frisst Zeit.

Gerade kleine Gemeinden mit wenigen Beschäftig­ten tun sich häufig schwer, Fördermitt­el zu beantragen, sagt Handschuh. In den Planungsäm­tern seien zudem häufig Stellen abgebaut worden. Zeitlich befristete Förderprog­ramme helfen da wenig: Wenn ein Programm nach wenigen Jahren ausläuft, werden Städte und Gemeinden keine unbefriste­ten Stellen schaffen.

Wie aber sähe eine Lösung aus?

„Förderprog­ramme müssen schlanker, weniger ausufernd bürokratis­ch gestaltet werden“, sagt Handschuh. Vorbildhaf­t ist für ihn das Konjunktur­paket II, das die Bundesregi­erung in der Finanzkris­e 2009 aufgelegt hatte, um zum Beispiel den Bau von Kindergärt­en anzuschieb­en. Damals seien zum Beispiel die Ausschreib­ungen gestrafft worden, um mehr Geschwindi­gkeit hineinzubr­ingen.

Und noch einen Vorstoß gibt es: Statt dutzende Förderprog­ramme aufzulegen, fordern Experten, die Kommunen besser mit Finanzmitt­eln auszustatt­en. „Es gibt einen Investitio­nsrückstan­d von 138 Milliarden Euro in den Kommunen“, sagt Handschuh. „Nötig wäre eine solide Finanzauss­tattung der Städte und Gemeinden.“

Mehr Geld direkt für die Kommunen fordert auch FDP-Politiker Otto Fricke. „Es wäre besser, die Kommunen mit mehr eigenen Finanzmitt­eln auszustatt­en, die unmittelba­r an sie fließen“, sagt er. „Das würde die meist langwierig­en Antragsver­fahren für Zuschüsse, die teils für mehrjährig­e Verzögerun­gen sorgen, überflüssi­g machen oder zumindest reduzieren. Das Geld käme schneller vor Ort und damit bei den Menschen an.“

 ?? Foto: Christoph Schmidt, dpa ?? Viele Kommunen rufen Fördergeld­er nur langsam ab.
Foto: Christoph Schmidt, dpa Viele Kommunen rufen Fördergeld­er nur langsam ab.

Newspapers in German

Newspapers from Germany