15 Milliarden Euro Fördergeld – und keiner ruft es ab
Finanzminister Olaf Scholz hat bereits einen Hilferuf an die Kommunen gerichtet: „Bitte nehmt das Geld!“– Weshalb Staatszuschüsse häufig sehr lange auf Abnehmer warten. Und was man in einem neuen Konjunkturprogramm besser machen könnte
München Seit das Coronavirus die Wirtschaft in Mitleidenschaft zieht, bekommt die Forderung nach einem Konjunkturprogramm neue Kraft. Ein Problem könnte sich dabei aber stellen: Fördergeld wird in Deutschland zäh abgerufen. Das hat der FDP-Bundestagsabgeordnete Otto Fricke vergangenes Jahr feststellen müssen. Er fragte bei der Bundesregierung, wie viel der 3,5 Milliarden Euro bereits abgerufen sind, welche der Bund zwischen 2015 und 2020 für finanzschwache Kommunen bereitstellt, damit diese ihre Infrastruktur ausbauen können. Die Antwort barg einige Überraschungen. Im September 2019 waren erst 1,7 Milliarden Euro verwendet, das entspricht 48 Prozent der Mittel. Will das Geld des Bundes am Ende keiner?
Im Herbst schickte Finanzminister Olaf Scholz sogar einen Hilferuf aus: „Bitte, nehmt das Geld!“, sagte er in einem Interview. Es gebe 15 Milliarden Euro Investitionsmittel beispielsweise für Schulen, Straßen oder die Digitalisierung, die nicht abgerufen worden seien. Dabei handelt sich um die „Ausgabereste der Ressorts“aus dem Jahr 2018, ergänzt das Ministerium. Was aber ist der Grund für diese Probleme? Teilweise fehlt finanzschwachen Gemeinden schlicht das Geld, um den Eigenanteil aufzubringen, der in den Förderprogrammen verlangt wird, berichtet Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag. „Wenn zum Beispiel der Bund 50 Prozent der Investitionskosten übernimmt, muss die Gemeinde die restlichen 50 Prozent tragen“, berichtet er. „Das überfordert sie oft.“In strukturschwachen Gegenden des Freistaats wie in Oberfranken oder der nördlichen Oberpfalz kann dies ein Thema sein, sagt Schober.
Manchmal gehen Förderprogramme des Bundes auch einfach am Bedarf vorbei, sagt der Experte. Beispiel Breitbandausbau: „Da hat der Freistaat Bayern ein viel kommunalfreundlicheres Förderprogramm aufgelegt. Ergebnis: Bayerns Gemeinden nehmen fast alle das bayerische Programm und lassen das Bundesprogramm links liegen“, berichtet Schober.
Und dann kommt ein Problem hinzu, das private Bauherren gut kennen: Handwerker und Baufirmen sind derzeit im Bau-Boom „komplett ausgelastet“, sagt Schober. Häufig gebe auf die öffentlichen Ausschreibungen der Gemeinden und Städte nicht einmal eine Firma ein Angebot ab, da diese mit Privaten mehr oder bessere Geschäfte machen.
Ein Hauptgrund aber sind die langen und komplexen Vergabeverfahren, sagt Achim Sing, Sprecher des Bayerischen Städtetages. Dazu muss man sich den Ablauf eines typischen Förderprogramms vor Augen halten: Angenommen, der Bund richtet ein Programm für die Kommunen ein, sei es für Infrastruktur oder Schulbedarf. Allein die politische Diskussion nimmt Zeit in Anspruch. Steht der Fördertopf, setzen Bund und Länder eine Verwaltungsvereinbarung auf, die genau regelt, wie die Mittel beantragt werden können. Die Kommunen können erst dann Anträge auf Fördermittel stellen. Jeder Antrag wird geprüft, „schließlich handelt es sich um öffentliche Gelder“, erklärt Sing. In Bayern sind im Normalfall die Bezirksregierungen zuständig, zum Beispiel die Regierung von Schwaben. Gibt diese grünes Licht, können die Kommunen endlich loslegen. Bis hierhin kann gut über ein Jahr ins Land gezogen sein.
Nun entsteht eine Straße oder eine Kita. Während der Bauphase können die Kommunen erste Auszahlungsanträge stellen. Den letzten Teil bekommen die Kommunen aber erst, wenn das Projekt steht und ein sogenannter Verwendungsnachweis erstellt worden ist. Dieser belegt, dass die Gelder tatsächlich wie geplant eingesetzt wurden.
Es gibt durchaus Interesse an Fördergeldern, sagt Alexander Handschuh vom Deutschen Städteund Gemeindebund. „Bis sie abgerufen werden, dauert es aber sehr lange.“Das Fördersystem sei zu komplex: „Es gibt inzwischen rund 300 Förderprogramme von Bund und Land“, sagt Handschuh. Wer hat da noch den Überblick?
„Ein klares System ist in diesem Förderdschungel oftmals nicht erkennbar“, kritisiert auch FDPHaushaltsexperte Fricke. „Stattdessen müssen die Kommunen immer mehr Mitarbeiter einstellen, die sich mit hohem Aufwand durch die verschiedenen und oft undurchsichtigen Förderprogramme bewegen.“
Dazu kommen „hausgemachte Probleme“, sagt Städte- und Gemeinde-Sprecher Handschuh, da in Deutschland besonders viele Regierungsebenen eingebunden werden. Fördermittel an private Firmen zum Beispiel im Breitband-Ausbau brauchen die Zustimmung der EU. Der Bund stellt dann das Geld. In Deutschland sind aber als dritte Ebene noch die Länder eingebunden, in denen die Mittel vergeben werden. Drei Ebenen für eine Fördersumme – das frisst Zeit.
Gerade kleine Gemeinden mit wenigen Beschäftigten tun sich häufig schwer, Fördermittel zu beantragen, sagt Handschuh. In den Planungsämtern seien zudem häufig Stellen abgebaut worden. Zeitlich befristete Förderprogramme helfen da wenig: Wenn ein Programm nach wenigen Jahren ausläuft, werden Städte und Gemeinden keine unbefristeten Stellen schaffen.
Wie aber sähe eine Lösung aus?
„Förderprogramme müssen schlanker, weniger ausufernd bürokratisch gestaltet werden“, sagt Handschuh. Vorbildhaft ist für ihn das Konjunkturpaket II, das die Bundesregierung in der Finanzkrise 2009 aufgelegt hatte, um zum Beispiel den Bau von Kindergärten anzuschieben. Damals seien zum Beispiel die Ausschreibungen gestrafft worden, um mehr Geschwindigkeit hineinzubringen.
Und noch einen Vorstoß gibt es: Statt dutzende Förderprogramme aufzulegen, fordern Experten, die Kommunen besser mit Finanzmitteln auszustatten. „Es gibt einen Investitionsrückstand von 138 Milliarden Euro in den Kommunen“, sagt Handschuh. „Nötig wäre eine solide Finanzausstattung der Städte und Gemeinden.“
Mehr Geld direkt für die Kommunen fordert auch FDP-Politiker Otto Fricke. „Es wäre besser, die Kommunen mit mehr eigenen Finanzmitteln auszustatten, die unmittelbar an sie fließen“, sagt er. „Das würde die meist langwierigen Antragsverfahren für Zuschüsse, die teils für mehrjährige Verzögerungen sorgen, überflüssig machen oder zumindest reduzieren. Das Geld käme schneller vor Ort und damit bei den Menschen an.“