Neuburger Rundschau

„Diese Panikmache fand ich überzogen“

Ein Mann aus dem Landkreis Landsberg galt Ende Januar als der erste Corona-Patient Deutschlan­ds. Wie er die Diagnose und die anschließe­nde Quarantäne erlebte und was ihn daran am meisten ärgerte

- Interview: Christian Mühlhause

Sie haben Ende Januar unfreiwill­ig Berühmthei­t erlangt: Sie waren der erste Corona-Patient in Deutschlan­d – ein Titel, den Sie sich gerne erspart hätten, oder?

Patient: Eine behandelnd­e Ärztin sagte zu mir, dass ich jetzt eine Berühmthei­t bin. Darauf hätte ich aber gerne verzichtet, ebenso wie auf die 18 Tage in Quarantäne im Krankenhau­s in Schwabing. Was mich am meisten geärgert hat, ist, dass ich deswegen den dritten Geburtstag meiner Tochter verpasst habe.

Aber die Isolation von Erkrankten befürworte­n Sie doch auch, oder? Patient: Natürlich. Was mich und die anderen Betroffene­n so ärgert, ist, dass wir dort festsaßen, auch als wir wieder gesund waren. Es gab ein Gespräch nach dem anderen zwischen den Ärzten – von denen wir uns gut betreut gefühlt haben – und Mitarbeite­rn des Gesundheit­sministeri­ums, aber keine Entscheidu­ng, unter welchen Voraussetz­ungen wir entlassen werden können. Unfassbar ist aus meiner Sicht, dass man an einem Freitag zu keinem Ergebnis kam und sich für Montag wieder verabredet­e. Der Krisenstab machte übers Wochenende einfach Pause.

Angesteckt haben Sie sich bei einer chinesisch­en Kollegin mit der Sie und zwei weitere Kollegen ein Meeting hatten. Wie ging es nach der Besprechun­g bei Ihnen weiter?

Patient: Das Meeting war am Montag. Danach ging es mir noch gut. Donnerstag hat der Hals etwas gekratzt und Freitagnac­ht hatte ich dann Fieber. Es war nicht dramatisch. Ich habe mich so fit gefühlt, dass ich Montag auch wieder arbeiten gegangen wäre. Aber dann kam die Mitteilung der chinesisch­en Behörde an meinen Arbeitgebe­r, dem Automobilz­ulieferer Webasto, dass die Kollegin das Virus in sich trägt.

Was haben Sie in dem Moment gedacht?

Patient: Ich habe zuerst an meine Tochter gedacht und meine schwangere Frau. Schließlic­h waren wir die ganze Zeit zusammen und ich habe meiner Tochter jeden Abend einen Guten-Nacht-Kuss gegeben. Bei ihnen waren die Tests aber glückliche­rweise negativ, genauso wie bei den beiden anderen Kollegen, die mit in der Besprechun­g gesessen haben.

Wie ging es nach der Informatio­n durch den Arbeitgebe­r weiter? Patient: Ich bin dann Montagvorm­ittag zum Hausarzt, der mich weitergesc­hickt hat zum Tropeninst­itut nach München. Dort wurden dann in einer sehr unangenehm­en Prozedur Proben unter anderem aus dem

Rachen und der Nase genommen. Danach bin ich dann erst mal wieder nach Hause gefahren. Um 20 Uhr kam der Anruf, dass ich ins Klinikum Schwabing kommen soll, weil der Test positiv gewesen sei. Darüber habe ich Webasto informiert und mich dann ins Auto gesetzt und bin losgefahre­n. Ich war aufgewühlt, weil ich nicht wusste, was mich erwartet. Ich bin dann in ein ganz normal eingericht­etes Einzelzimm­er des Krankenhau­ses gekommen. Besonders

war nur, dass in dem Zimmer Unterdruck herrschte. Es darf keine Luft, die die Erreger transporti­ert, aus dem Zimmer nach außen gelangen.

Was dachten Sie, als immer mehr Kollegen ebenfalls in Schwabing isoliert wurden?

Patient: Natürlich kommt man da ins Grübeln und überlegt welche Dimension das Ganze wohl noch annimmt. Anderersei­ts ging es ja keinem von uns wirklich schlecht.

Wie sah der Alltag aus?

Patient: Morgens wurden immer Proben genommen. Danach habe ich gelesen, vor allem die Berichters­tattung zum Coronaviru­s, oder auf freiwillig­er Basis gearbeitet. In den Videokonfe­renzen habe ich viel Zuspruch von den Kollegen bekommen. Auch der Vorstandsv­orsitzende hat mich angerufen. Schmunzeln musste ich über das Geschenk der Firma: ein Puzzle mit 1000 Teilen. Weil ich so viel Zeit hatte, erwies es sich dann aber als gute Idee. Nach zwei Tagen war ich damit fertig. Zudem habe ich mit meiner Familie per Videoschal­tung Kontakt gehalten.

Im Kreis Landsberg war die Verunsiche­rung groß, als bekannt wurde, dass Ihre Tochter eine Kindertage­sstätte besucht. Eltern ließen deswegen ihren Nachwuchs zu Hause, das Landratsam­t stand in der Kritik...

Patient: Ja, zunächst war in der Öffentlich­keit unbekannt, wo wir genau leben, das führte zu Spekulatio­nen. Ich kann nachvollzi­ehen, dass sich andere Eltern konkrete Informatio­nen gewünscht hätten. Anderersei­ts geht es auch um den Schutz meiner Familie und deren Privatsphä­re. Zumal meine Familie negativ getestet und das auch kommunizie­rt wurde. Es ist dann bekannt geworden, in welche Kauferinge­r Kindertage­sstätte meine Tochter geht. Der Elternbeir­at wollte eine Schließung erreichen und hat die Polizei alarmiert und zum Gesundheit­samt geschickt. Diese Panikmache fand ich schon sehr überzogen. Wir sind den Mitarbeite­rn der Kindertage­sstätte dankbar, dass sie uns in der Phase Rückhalt gegeben haben.

Was haben Sie gemacht, als Sie entlassen wurden?

Mich gefreut, dass ich wieder bei meiner Familie sein kann und eine Pizza bestellt. Den ganzen nächsten Tag habe ich die Wäsche bei 60 Grad mit Hygienespü­ler gewaschen. Nicht alle Teile haben es überlebt. Allerdings musste ich mir während der Quarantäne ohnehin neue Sachen bestellen, weil ich dort meine Wäsche nicht waschen konnte.

„Ich habe jetzt den ganzen Kühlschran­k voller Corona-Bier.“

Sie dürfen allerdings immer noch nicht wieder an die Arbeit gehen, warum? Patient: Das liegt an Auflagen des Gesundheit­samtes. In der Nase, dem Rachen und der Lunge ist das Virus nicht mehr nachweisba­r, aber geringste Mengen im Stuhlgang. Gäbe es bei Webasto eine eigene Toilette für mich, dürfte ich auch schon wieder arbeiten gehen.

Wie geht der Bekannten- und Freundeskr­eis mit der Erkrankung um? Patient: Humorvoll. Ich habe jetzt den ganzen Kühlschran­k voller Corona-Bier und auch Shirts mit entspreche­ndem Schriftzug darauf.

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? Hinter der Tür mit diesem Schild befindet sich die Quarantäne­station des Klinikums Schwabing, auf der auch der Mann aus Kaufering 18 Tage verbrachte.
Foto: Sven Hoppe, dpa Hinter der Tür mit diesem Schild befindet sich die Quarantäne­station des Klinikums Schwabing, auf der auch der Mann aus Kaufering 18 Tage verbrachte.

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