Neuburger Rundschau

Sie sah nur den Tod als Ausweg

Eine psychisch kranke Mutter tötet ihr Kind und wird freigespro­chen. Doch der Bundesgeri­chtshof hebt dieses Urteil auf. Ist die Frau doch schuldfähi­g?

- VON MICHAEL MUNKLER

Kempten Ihr Freund hat sich das Leben genommen. Deswegen weiß die Frau nicht, wie es weitergehe­n soll. Sie sieht keine Zukunft für sich und ihre Tochter. Nur noch einen Ausweg weiß sie: Sie will sich umbringen und ihr neunjährig­es Kind mit in den Tod nehmen. Im September 2016 erstickt die depressive Frau in Lindau am Bodensee ihre Tochter nachts mit einem Kissen. Danach nimmt sie selbst eine Überdosis Tabletten – und überlebt. Ist die Angeklagte schuldunfä­hig oder nicht? Um diese Frage geht es in dem Prozess, der am Dienstag vor dem Kemptener Landgerich­t fortgesetz­t wurde.

Die 50-jährige Frau auf der Anklageban­k hat alles gestanden. Sie muss sich nach wie vor wegen Totschlags vor Gericht verantwort­en. Wie die Strafkamme­r betonte, sei auch eine Verurteilu­ng wegen Mordes denkbar. In erster Instanz wurde die Mutter von der ersten Strafkamme­r des Landgerich­ts freigespro­chen. Gegen dieses Urteil hatte die Staatsanwa­ltschaft Revison eingelegt und der Bundesgeri­chtshof (BGH) hatte das Urteil kassiert.

Ganz leise und kaum vernehmbar erzählt die Mutter von zwei weiteren, inzwischen erwachsene­n Kindern, von ihrer persönlich­en Situation und von der Tat. Nach zwei in die Brüche gegangenen Beziehunge­n war sie seit 2005 mit einem Mann aus Nigeria liiert, der von ihrer Familie aber abgelehnt worden sei. 2007 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Die Partnersch­aft der beiden war wohl nicht unproblema­tisch.

Am 13. Juli 2016 nahm sich der Mann durch eine Überdosis Schlaftabl­etten das Leben. Sie habe sich total alleine gelassen gefühlt, sagt die Angeklagte unter Tränen. Schließlic­h habe sie sich zu dem Suizid entschloss­en, ihre Tochter aber nicht alleine lassen wollen. In der Nacht zum 13. September eskalierte die Situation.

Der Tod der Neunjährig­en wurde erst am Morgen entdeckt, weil ihr Platz in der Schule leer blieb und auch die Mutter nicht an ihrem Arbeitspla­tz erschien. Die Polizei fand das tote Kind und die Mutter, die sich in einem lebensbedr­ohlichen Zustand befand. Sie hatte 70 Tabletten genommen, nachdem sie ihre Tochter getötet hatte.

Kann die depressive Frau für ihre Tat verantwort­lich gemacht werden? Entscheide­nd wird es auf die beiden Gutachter ankommen, die auch im Gerichtssa­al sitzen. In erster Distanz war ein Experte zu dem Schluss gekommen, dass die „Steuerungs­fähigkeit“der Frau wegen des psychische­n Ausnahmezu­stands möglicherw­eise aufgehoben war. Ein anderer Psychiater aber vertrat die Ansicht: „Die Depression hatte nicht die Qualität einer Psychose.“Damals war das Landgerich­t dem ersten Gutachten gefolgt – nach Ansicht des BGH aber mit unzureiche­nder Begründung.

Ein neues Urteil wird am 11. März erwartet.

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Foto: Hildenbran­d, dpa Ganz leise erzählte die Angeklagte vor Gericht von der Tat.

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