Rostiges Rot sehnt sich nach grellem Pink
Vor 20 Jahren hat sich der Bildhauer Alf Lechner einen Traum verwirklicht: ein eigenes Museum sowie einen Skulpturenpark im Altmühltal. Zum Jubiläum treffen seine Stahlarbeiten auf die Malerei von Rupprecht Geiger
Ingolstadt Ob Alf Lechner geahnt hatte, dass sich die fast sechs Meter hohe Farbbahn in Rot und Orange ganz fabelhaft neben dem Eingang machen würde? Dass sein Museum nicht nur für ausladende Stahlskulpturen den idealen Raum bieten dürfte, sondern mindestens genauso für die farbmächtige Malerei Rupprecht Geigers? Wer jetzt vor der riesigen Glasfassade steht – am besten nachts – und sich nur für ein paar Momente die Autos, das Heizkraftwerk und ein heruntergekommenes Magazin wegdenkt, der ist verblüfft: Die monochromen Rundungen, die Quadrate und Rechtecke Geigers funkeln wie aus einer überdimensionalen Schmuckkassette heraus auf den Vorplatz. Und bald darauf beginnen die eigentlich tonnenschweren, aus der Ferne aber fast zart wirkenden Arbeiten Lechners zu schwingen. Vielleicht sogar zu federn.
Die Verständigung läuft bestens – so, wie zu Lebzeiten der beiden Künstler, die sich als Münchner seit Ewigkeiten kannten und lange eine gemeinsame Ausstellung im Sinn hatten. Aber dann lief irgendwann die Zeit davon. Als im Februar 2000 das Lechner Museum in Ingolstadt eröffnet wurde, war Geiger schon 92 und der Bildhauer-Freund noch Monate damit beschäftigt, sein stattliches Werk von Geretsried, östlich des Starnberger Sees, ins zweite neue Refugium nach Obereichstätt zu schaffen. Ein verlassenes Eisenhüttenwerk mit angeschlossenem Steinbruch bot Lechner nur 30 Kilometer von Ingolstadt entfernt großzügige Arbeits- und Wohnmöglichkeiten – und Freiflächen für einen Skulpturenpark.
Eine verrückte Sache war das damals und auch ein radikaler Schritt. Denn Lechner fing mit Mitte 70 noch einmal völlig neu an. Immer hatte er sich eingeengt gefühlt, aber im Altmühltal und in Ingolstadt gab es plötzlich viel Platz. Dabei war das erste Kennenlernen 1987 eher ein peinliches gewesen. Peter Schnell, damals Bürgermeister in Ingolstadt, wollte für den öffentlichen Raum eine Skulptur erwerben. Doch im Stadtrat formierte sich beträchtlicher Widerstand gegen diese „Zumutung“eines „Scharlatans“, der den Leuten „Rost“für Kunst verkauft.
Immerhin bewies Lechner damals Humor: Der Mensch möge halt den Rost nicht, weil er der natürliche Feind des Autos sei. Von dieser Episode will in der Audi-Stadt niemand mehr etwas wissen, zumal der kunstsinnige OB den Großteil der nötigen Summe – 100000 Mark – innerhalb weniger Tage durch Spenden zusammentragen konnte. Die Skulptur kam, und sie steht bis heute auf der Grünfläche vor dem
Stadtmuseum. In Edelstahl übrigens, Rost durfte ja nicht sein. Und späte Ironie des Protests: Von den fast 80 öffentlichen Werken des Künstlers, die über ganz Deutschland verteilt sind, besitzt Ingolstadt mit sechs Exemplaren jetzt die meisten.
Zwei davon weisen den Weg zum Museum – eine „Würfel Konjunktion“(1973–2004), das heißt, ein Würfel-Rahmen, der in einen zweiten gestellt ist, und eine „Rondenteilung“(1999). Also eine in der Mitte geknickte Scheibe, die an einen Sattel erinnert und auf der man sofort ein bisschen wippen möchte. Dass man sich diesen Werken gerne nähert, sie berühren will: Auch das macht ihre hohe Qualität aus. Gerade im Stadtraum.
Im Museum spielen solche Überlegungen eine weit geringere Rolle. In einer alten Halle der Auto-Union konnte Lechner genau das realisieren, was ihm vorgeschwebt hatte. Und den Münchner Architekten Erhard und Florian Fischer gelang ein famoser Spagat. Nämlich das behutsam sanierte Gebäude in einen Schauraum zu verwandeln, der für sich allein etwas darstellt, aber an keiner Stelle in Konkurrenz zur Kunst steht. Egal, ob nun Skulpturen nach dem Raum greifen, ob Malerei oder Fotografie und Grafik ausgestellt sind.
Für Letzteres bietet die obere Etage eine Mischung aus lichter Of
und Intimität, die die Objekte in einen intensiven Dialog treten lassen. Hier sind es die Papierarbeiten der beiden Künstler, darunter auch Lechners minimalistische Zeichnungen aus wenigen dynamischen Strichen. Dann gruppieren sich die Rollbilder und mittelformatigen Gemälde Geigers um eine aufgeklappte Ziehharmonika des Bildhauers aus breiten rostbraunen Stahlrahmen. Oder um ein zum Kreis geformtes Edelstahlrohr, von dem ein Viertel originell nach unten gebogen ist und für eine stabile Schräglage im Raum sorgt. Beide, Geiger und Lechner, haben sich immer mit den geometrischen Grundgen formen Kreis, Quadrat und Rechteck auseinandergesetzt.
Lechner falzt und biegt die planen Flächen, schneidet oft Teile aus und fügt sie verschränkt oder im exakt austarierten Winkel wieder an die Grundform. Seine schönste Farbe ist der Rost. Wer sich die Oberflächen genauer anschaut, entdeckt Strukturen, die an Flechten erinnern, an Unterwasserpflanzen und an Brokat.
Bei Geiger dagegen knallen die Pigmente. Müssten die Sirenen mit Farben statt mit Tönen betören, sie würden tonnenweise von Geigers Rot, Pink, Gelb ins Meer kippen. Das ist die pure Energie, die die Aufenheit
schnell ins Delirium führt. Und das alles kulminiert im begehbaren Farbbad der zeltartigen „Roten Trombe“, die hier ihre Wirkmacht besonders gut entfaltet.
Wobei es auch eine Spur zurückhaltender geht. Das demonstrieren die Modelle des „Gerundeten Blaus“und der „Flächendurchdringung“für den Münchner Gasteig. Dort befinden sich Geiger und Lechner seit den 80er Jahren in einem feinen Austausch – und man wird sehen, ob der auch in Obersendling vor der Interimsstätte des Gasteig fortgeführt wird. Geigers 2017 aufgefrischtes blaues Rund zieht im Sommer 2021 um, das ist bereits beschlossen. Aber ob das auch mit der 23 Meter hohen Stahlskulptur Lechners passiert, steht noch in den Sternen.
Aber jetzt wird ausgiebig in Ingolstadt debattiert. Rupprecht Geiger starb hochbetagt im Jahr 2009, Alf Lechner 2017. Dass die beiden Männer mit ihren zunächst so verschieden anmutenden Werken dermaßen gut zusammenpassen, ja konzertieren, darf man als späte, posthume Pointe verstehen. Zum 20-jährigen Jubiläum des Museums geht es kaum besser.
ODie Ausstellung Rot X Stahl läuft bis zum 14. Juni im Lechner Museum, Esplanade 9, Ingolstadt. Öffnungszeiten: Do. bis So. von 10 bis 17 Uhr, www.lechner-museum.de