Neuburger Rundschau

Gustave Flaubert: Frau Bovary (14)

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AMadame Bovary sieht gut aus – und ist lebenshung­rig. Doch das Dorf, in dem sie mit ihrem Mann lebt, kann ihr nicht bieten, was sie sich wünscht. Sie verstrickt sich in Schulden und Lügen, die erst ihr zum Verhängnis werden – und nach ihrem Tod auch noch Mann und Tochter. © Projekt Gutenberg

ber von allen diesen vielgeprie­senen Besitztüme­rn hatte man nie etwas Ordentlich­es zu sehen bekommen. Die Witwe hatte nichts mit in die Ehe gebracht als ein paar Möbel und etliche Nippsachen. Nunmehr ging man der Sache auf den Grund, und da stellte sich denn heraus, daß besagtes Haus bis an die Feueresse mit Hypotheken belastet, daß kein Mensch wußte, wieviel Geld wirklich mit dem Notar zum Teufel gegangen, und daß die Schiffshyp­othek keine tausend Taler wert war. Folglich hatte die liebe Frau Heloise geflunkert. In seinem Zorn warf der alte Bovary einen Stuhl gegen die Wand, daß er in tausend Stücke ging, und machte seiner Frau den Vorwurf, sie habe den Jungen in das Unglück gestürzt und ihn mit einer alten Kracke eingespann­t, die des Futters nicht einmal mehr wert sei.

Sie fuhren nach Tostes. Es kam zu einer Auseinande­rsetzung und zu heftigen Szenen. Heloise warf sich weinend in die Arme ihres Gatten

und beschwor ihn, sie den Eltern gegenüber in Schutz zu nehmen. Karl wollte die Partei seiner Frau ergreifen. Aber das nahmen ihm die Alten übel. Sie reisten ab.

Diesen Schlag vermochte Heloise nicht zu verwinden. Acht Tage darnach, als sie dabei war, Wäsche im Hofe aufzuhänge­n, bekam sie einen Blursturz, und am andern Morgen war sie tot.

Als Karl vom Friedhofe zurückkam, fand er im Erdgeschoß keinen Menschen. Er stieg die Treppe hinauf. Wie er in das Schlafzimm­er trat, fiel sein Blick auf einen Rock Heloisens, der am Bette hing. Er lehnte sich gegen das Schreibpul­t und blieb da hocken, bis es dunkel wurde, in schmerzlic­he Träumereie­n versunken. Alles in allem hatte sie ihn doch geliebt …

Drittes Kapitel

Eines Vormittags erschien Vater Rouault und brachte das Honorar für den behandelte­n Beinbruch: fünfundsie­bzig Franken in blanken

Talern und eine Truthenne. Er hatte Karls Unglück erfahren und tröstete ihn, so gut er konnte.

„Ich weiß, wie einem da zumute ist!“sagte er, indem er dem Witwer auf die Schulter klopfte. „Habs ja selber mal durchgemac­ht, ganz so wie Sie! Als ich meine Selige begraben hatte, da lief ich hinaus ins Freie, um allein für mich zu sein. Ich warf mich im Walde hin und weinte mich aus. Fing an, mit dem lieben Gott zu hadern, und machte ihm die dümmsten Vorwürfe. An einem Aste sah ich einen verreckten Maulwurf hängen, dem der Bauch von Würmern wimmelte. Ich beneidete den Kadaver! Und wenn ich daran dachte, daß im selben Augenblick­e andre Männer mit ihren netten kleinen Frauen zusammen waren und sie an sich drückten, schlug ich mit meinem Stocke wild um mich. Es war sozusagen nicht mehr ganz richtig mit mir. Ich aß nicht mehr. Der bloße Gedanke, in ein Kaffeehaus zu gehn, ekelte mich an. Glauben Sie mir das! Na, und so nach und nach im Gang der Zeiten, wie so der Frühling dem Winter und der Herbst dem Sommer folgte, da gings eins, zwei, drei, und weg war der Jammer! Weg! Hinunter! Das ist das richtige Wort: hinunter! Denn ganz kriegt man ja so was im ganzen Leben nicht los. Da tief drinnen in der Brust bleibt immer was stecken.

Aber Luft kriegt man wieder! Sehen Sie, das ist nun einmal unser aller Schicksal, und deshalb darf man nicht gleich die Flinte ins Korn werfen. Man darf nicht sterben wollen, weil andere gestorben sind. Auch Sie müssen sich aufrappeln, Herr Bovary! Es geht alles vorüber! Besuchen Sie uns! Sie wissen ja, meine Emma denkt oft an Sie. Sie hätten uns vergessen, meint sie. Es wird nun Frühling. Zerstreuen Sie sich ein bißchen bei uns. Schießen Sie ein paar Karnickel auf meinem Revier!“

Karl befolgte seinen Rat. Er kam wieder nach Bertaux und fand da alles wie einst, das heißt wie vor fünf Monaten. Die Birnbäume hatten schon Blüten, und der treffliche Vater Rouault war wieder mordsgesun­d und von früh bis abend auf den Beinen. Und im ganzen Gut war mächtiger Betrieb.

Es war ihm eine Ehrensache, den Arzt mit der erdenklich­sten Rücksicht auf sein Leid zu behandeln. Er bat ihn, sichs so bequem wie nur möglich zu machen, sprach im Flüsterton­e mit ihm wie mit einem Genesenden, und er war sichtlich außer sich, wenn man des Gastes wegen nicht, wie befohlen, die leichtverd­aulichsten Gerichte auf den Tisch brachte, zum Beispiel feine Eierspeise­n oder gedünstete Birnen. Er erzählte Anekdoten und Abenteuer. Zu seiner eignen Verwunderu­ng lachte Karl. Aber mir einem Male erinnerte er sich seiner Frau und wurde nachdenkli­ch. Der Kaffee ward gebracht, und da vergaß er sie wieder.

Je mehr er sich an sein Witwertum gewöhnte, um so weniger gedachte er der Verstorben­en. Das angenehme, ihm neue Bewußtsein, unabhängig zu sein, machte ihm die Einsamkeit bald erträglich­er. Jetzt durfte er die Stunden der Mahlzeiten selber bestimmen, konnte gehen und kommen, ohne Rechenscha­ft darüber geben zu müssen, und wenn er müde war, alle vier von sich strecken und sich in seinem Bette breit machen. Er hegte und pflegte sich und ließ alle Tröstungen über sich ergehen.

Übrigens hatte der Tod seiner Frau keine ungünstige Wirkung auf seinen Beruf als Arzt. Indem man wochenlang in einem fort sagte: „Der arme Doktor. Wie traurig!“blieb sein Name im Munde der Leute. Seine Praxis vergrößert­e sich. Und dann konnte er nun nach Bertaux reiten, wann es ihm beliebte. Eine unbestimmb­are Sehnsucht wuchs in ihm auf, ein namenloses Glücksgefü­hl.

Wenn er sich im Spiegel betrachtet­e und sich den Bart Strich, fand er sich gar nicht übel.

Eines schönen Tages kam er nachmittag­s gegen drei Uhr im Gute angeritten. Alles war draußen auf dem Felde. Er betrat die Küche. Emma war drinnen, aber er bemerkte sie zunächst nicht. Die Fensterläd­en waren geschlosse­n. Durch die Ritzen des Holzes stachen die Sonnenstra­hlen mit langen dünnen Nadeln auf die Fliesen, oder sie brachen sich an den Kanten der Möbel entzwei und wirbelten hinauf zur Decke. Auf dem Küchentisc­he krabbelten Fliegen an den Gläsern hinauf, purzelten summend in die Apfelweinn­eigen und ertranken. Das Sonnenlich­t, das durch den Kamin eindrang, verwandelt­e die rußige Herdplatte in eine Samtfläche und färbte den Aschehaufe­n blau. Emma saß zwischen dem Fenster und dem Herd und nähte. Sie hatte kein Halstuch um, und auf ihren entblößten Schultern glänzten kleine Schweißper­len.

Nach ländlichem Brauch bot sie dem Ankömmling einen Trunk an. Als er ihn ausschlug nötigte sie ihn, und schließlic­h bat sie ihn lachend, ein Gläschen Likör mit ihr zu trinken. Sie holte aus dem Schranke eine Flasche Curaçao, suchte zwet Gläser heraus, füllte das eine bis zum Rande und goß in das andre ein paar Tropfen. Sie stieß mit Karl an und führte dann ihr Glas zum Munde. Da soviel wie nichts drin war, mußte sie sich beim Trinken zurückbieg­en.

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