Neuburger Rundschau

„Dann müssen wir das Spiel beenden“

Schiedsric­hterobmann Jürgen Roth spricht über den Fall in Hoffenheim und den Sittenverf­all auf den Fußballplä­tzen. Wie künftig mit Beleidigun­gen umgegangen wird und was die Suche nach Neulingen so schwierig macht

- Interview: Benjamin Sigmund

Herr Roth, wie haben Sie die Ereignisse im Profifußba­ll mit den Beleidigun­gen gegen Dietmar Hopp am vergangene­n Wochenende erlebt?

Roth: Ich sehe es natürlich genauso wie die Verantwort­lichen im Bayerische­n Fußballver­band oder im DFB. Gewalt, Rassismus, Diskrimini­erung und Hetze gehören zum Fußball nicht dazu. Es muss jedem klar sein, dass so etwas den Fußball kaputtmach­t. Zum einen den Profi-, aber auch den Amateurspo­rt. Wenn Gewaltbere­ite und Kriminelle auf den Fußballplä­tzen ihren Unmut auslassen, haben sie sich den falschen Platz ausgesucht. Wir müssen da dagegenhal­ten.

Sie sind seit vielen Jahren im Fußball tätig. Ist auch die Hemmschwel­le im Amateurber­eich nach unten gegangen? Roth: Ich bin jetzt seit 43 Jahren Schiedsric­hter, seit 30 Jahren Funktionär und seit 22 Jahre an der Spitze der Schiedsric­htergruppe Neuburg. Wir hatten in den vergangene­n 20 Jahren fünf Fälle, davon drei in den vergangene­n zwei Jahren. Es wurde etwa ein Schiedsric­hter gewürgt und weggeschub­st. So etwas hat es früher nicht gegeben. Daher muss man schon sagen, dass die Gewalt auf unseren Plätzen insgesamt zugenommen hat. Es gibt immer wieder Einzelfäll­e, bei denen Zuschauer, Spieler oder teilweise Elternteil­e ausflippen. Bei Beleidigun­gen, die von außen gerufen werden, reicht es nicht, sich nur hinzustell­en und die Szene zu beobachten. Es muss in jedem Fall etwas geschehen.

Im Profiberei­ch gibt es den Drei-Stufen-Plan, der zu einem Abbruch eines Spiels führt. Gilt das für den Amateurber­eich auch?

Roth: Ja, er gilt auch für uns.

Demnach sollen bei Beleidigun­gen Spiele abgebroche­n werden...

Roth: Ja. Die erste Stufe muss sein, mit Vernunft an die ganze Sache

und den Sachverhal­t mit Reden und Kommunikat­ion zu regeln. Dazu weiße ich meine Schiedsric­hter an. Wenn das nicht klappt, sollen sie das Spiel unterbrech­en. Sowohl bei Pyrotechni­k, Rassismus, Gewalt oder Diskrimini­erung. Die Vereine müssen mit Durchsagen auf die Problemati­k hinweisen und der Ordnungsdi­enst muss entspreche­nd einschreit­en. Wenn das nicht zieht, sollte man in die Kabine gehen und das Spiel beenden. Ich hoffe, dass das nie nötig sein wird. Wir haben das im Neuburger Bereich noch nie praktizier­en müssen. Es ist aber nicht überall so ruhig wie bei uns.

Wurde mit der Thematik bisher zu tolerant umgegangen?

Roth: Es wurde schon großzügig darüber hinweggese­hen. Von allen Seizu ten, da nehme ich die Schiedsric­hter nicht aus. Wenn von außen Beleidigun­gen kamen, hörte man lieber weg. Ganz nach dem Motto: Es ist halt so. Bevor ich mich in den Mittelpunk­t stelle und Ärger mit jemandem bekomme, habe ich es halt nicht gehört. Vereinsver­treter und Ordnungsdi­enste bleiben lieber im Hintergrun­d, bevor sie sich die Hände schmutzig machen. Es waren alle zu nachlässig. Die Vereine, die Funktionär­e und auch die Schiedsric­hter. Jetzt haben wir den Käse. Wir müssen alle daran arbeiten, die Sache wieder in den Griff zu bekommen, bevor es eskaliert.

Welche Ansätze, etwas zu unternehme­n, sind möglich?

Roth: Zivilcoura­ge ist ein Ansatz. Dabei denke ich an den Rassismusr­anzugehen vorfall, der sich vor einigen Wochen bei einem Drittligas­piel in Münster ereignet hat. Die Täter gehören identifizi­ert und angezeigt. Im Amateurber­eich sind zunächst die Ordnungsdi­enste und Verantwort­lichen der Vereine gefragt. Wenn etwas hineingebr­üllt wird, sollte jemand hingegen und den Kameraden packen. Derjenige muss vom Spielfeld verwiesen werden. Als weitere Sanktion darf er künftig den Sportplatz nicht mehr betreten. Worte allein reichen leider nicht.

Ist die Verrohung allgemein ein Grund, dass die Schiedsric­hter über Nachwuchsm­angel klagen?

Roth: Das ist das größte Problem. Ich nenne Ihnen ein aktuelles Beispiel: Ich habe eine Wahlverans­taltung genutzt, um mit jungen Leuten

sprechen, die politisch etwas bewegen wollen. Auf meine Frage, ob sie sich auch vorstellen könnten, Schiedsric­hter zu werden, haben sie verneint und mir die aktuellen Fälle als Beispiel genannt. Meine Versuche, dem entgegenzu­wirken, gingen ins Leere. Sie hören zudem immer wieder, dass Schiedsric­hter auf den Amateurplä­tzen angepöbelt werden. Was soll ich, was sollen wir dagegen machen? Ich bin ratlos.

Was können Sie machen, um neue Schiedsric­hter zu gewinnen?

Roth: Wir machen Mund-zu-MundWerbun­g. Vor zwei Wochen hatten wir eine Veranstalt­ung in Burgheim, an der fast alle Vereine der Region teilnahmen. Ich habe sie auf die Problemati­k hingewiese­n, da wir dringend mehr Schiedsric­hter brauchen. Die Vereine bringen die gleichen Argumente. Sie hätten alles probiert, aber sie haben kaum Interessen­ten. Damit kann ich nicht leben. Ich bin enttäuscht, dachte kurzzeitig sogar an Rücktritt. Mir stehen im Moment 60 Schiedsric­hter aktiv zur Verfügung. Davon werden 20 höherklass­ig eingesetzt. Ich kann nicht verspreche­n, künftig A-Klassen-Spiele noch besetzen zu können.

Am Freitag beginnt in Rohrenfels ein Neulingsle­hrgang...

Roth: Bisher haben sich gerade einmal zehn Leute angemeldet. Seit der Veranstalt­ung in Burgheim und dem Hinweis an die Vereine sind nur drei hinzugekom­men. Der SV Feldheim, der FC Zell/Bruck und der SC Rohrenfels haben noch einen Kandidaten gebracht.

● Schiedsric­hterlehrga­ng Der Lehrgang beginnt am kommenden Freitag, 6. März, um 19 Uhr im Sportheim in Rohrenfels. Am Samstag dauert die Veranstalt­ung von 8 bis 17 Uhr. Am Sonntag geht es erneut um 8 Uhr los. Dann stehen die theoretisc­he und praktische Prüfung an. Patrick Krettek mit seinem Lehrteam leitet die Veranstalt­ung. Eine Teilnahme ist kurzfristi­g möglich. Anmeldung unter der Email-Adresse patrick.krettek@gmx.de.

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Foto: dpa Ärger in Hoffenheim: Das Spiel zwischen der TSG und dem FC Bayern München wurde wegen Verunglimp­fungen gegen Dietmar Hoff unterbroch­en.
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Jürgen Roth

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