„Dann müssen wir das Spiel beenden“
Schiedsrichterobmann Jürgen Roth spricht über den Fall in Hoffenheim und den Sittenverfall auf den Fußballplätzen. Wie künftig mit Beleidigungen umgegangen wird und was die Suche nach Neulingen so schwierig macht
Herr Roth, wie haben Sie die Ereignisse im Profifußball mit den Beleidigungen gegen Dietmar Hopp am vergangenen Wochenende erlebt?
Roth: Ich sehe es natürlich genauso wie die Verantwortlichen im Bayerischen Fußballverband oder im DFB. Gewalt, Rassismus, Diskriminierung und Hetze gehören zum Fußball nicht dazu. Es muss jedem klar sein, dass so etwas den Fußball kaputtmacht. Zum einen den Profi-, aber auch den Amateursport. Wenn Gewaltbereite und Kriminelle auf den Fußballplätzen ihren Unmut auslassen, haben sie sich den falschen Platz ausgesucht. Wir müssen da dagegenhalten.
Sie sind seit vielen Jahren im Fußball tätig. Ist auch die Hemmschwelle im Amateurbereich nach unten gegangen? Roth: Ich bin jetzt seit 43 Jahren Schiedsrichter, seit 30 Jahren Funktionär und seit 22 Jahre an der Spitze der Schiedsrichtergruppe Neuburg. Wir hatten in den vergangenen 20 Jahren fünf Fälle, davon drei in den vergangenen zwei Jahren. Es wurde etwa ein Schiedsrichter gewürgt und weggeschubst. So etwas hat es früher nicht gegeben. Daher muss man schon sagen, dass die Gewalt auf unseren Plätzen insgesamt zugenommen hat. Es gibt immer wieder Einzelfälle, bei denen Zuschauer, Spieler oder teilweise Elternteile ausflippen. Bei Beleidigungen, die von außen gerufen werden, reicht es nicht, sich nur hinzustellen und die Szene zu beobachten. Es muss in jedem Fall etwas geschehen.
Im Profibereich gibt es den Drei-Stufen-Plan, der zu einem Abbruch eines Spiels führt. Gilt das für den Amateurbereich auch?
Roth: Ja, er gilt auch für uns.
Demnach sollen bei Beleidigungen Spiele abgebrochen werden...
Roth: Ja. Die erste Stufe muss sein, mit Vernunft an die ganze Sache
und den Sachverhalt mit Reden und Kommunikation zu regeln. Dazu weiße ich meine Schiedsrichter an. Wenn das nicht klappt, sollen sie das Spiel unterbrechen. Sowohl bei Pyrotechnik, Rassismus, Gewalt oder Diskriminierung. Die Vereine müssen mit Durchsagen auf die Problematik hinweisen und der Ordnungsdienst muss entsprechend einschreiten. Wenn das nicht zieht, sollte man in die Kabine gehen und das Spiel beenden. Ich hoffe, dass das nie nötig sein wird. Wir haben das im Neuburger Bereich noch nie praktizieren müssen. Es ist aber nicht überall so ruhig wie bei uns.
Wurde mit der Thematik bisher zu tolerant umgegangen?
Roth: Es wurde schon großzügig darüber hinweggesehen. Von allen Seizu ten, da nehme ich die Schiedsrichter nicht aus. Wenn von außen Beleidigungen kamen, hörte man lieber weg. Ganz nach dem Motto: Es ist halt so. Bevor ich mich in den Mittelpunkt stelle und Ärger mit jemandem bekomme, habe ich es halt nicht gehört. Vereinsvertreter und Ordnungsdienste bleiben lieber im Hintergrund, bevor sie sich die Hände schmutzig machen. Es waren alle zu nachlässig. Die Vereine, die Funktionäre und auch die Schiedsrichter. Jetzt haben wir den Käse. Wir müssen alle daran arbeiten, die Sache wieder in den Griff zu bekommen, bevor es eskaliert.
Welche Ansätze, etwas zu unternehmen, sind möglich?
Roth: Zivilcourage ist ein Ansatz. Dabei denke ich an den Rassismusranzugehen vorfall, der sich vor einigen Wochen bei einem Drittligaspiel in Münster ereignet hat. Die Täter gehören identifiziert und angezeigt. Im Amateurbereich sind zunächst die Ordnungsdienste und Verantwortlichen der Vereine gefragt. Wenn etwas hineingebrüllt wird, sollte jemand hingegen und den Kameraden packen. Derjenige muss vom Spielfeld verwiesen werden. Als weitere Sanktion darf er künftig den Sportplatz nicht mehr betreten. Worte allein reichen leider nicht.
Ist die Verrohung allgemein ein Grund, dass die Schiedsrichter über Nachwuchsmangel klagen?
Roth: Das ist das größte Problem. Ich nenne Ihnen ein aktuelles Beispiel: Ich habe eine Wahlveranstaltung genutzt, um mit jungen Leuten
sprechen, die politisch etwas bewegen wollen. Auf meine Frage, ob sie sich auch vorstellen könnten, Schiedsrichter zu werden, haben sie verneint und mir die aktuellen Fälle als Beispiel genannt. Meine Versuche, dem entgegenzuwirken, gingen ins Leere. Sie hören zudem immer wieder, dass Schiedsrichter auf den Amateurplätzen angepöbelt werden. Was soll ich, was sollen wir dagegen machen? Ich bin ratlos.
Was können Sie machen, um neue Schiedsrichter zu gewinnen?
Roth: Wir machen Mund-zu-MundWerbung. Vor zwei Wochen hatten wir eine Veranstaltung in Burgheim, an der fast alle Vereine der Region teilnahmen. Ich habe sie auf die Problematik hingewiesen, da wir dringend mehr Schiedsrichter brauchen. Die Vereine bringen die gleichen Argumente. Sie hätten alles probiert, aber sie haben kaum Interessenten. Damit kann ich nicht leben. Ich bin enttäuscht, dachte kurzzeitig sogar an Rücktritt. Mir stehen im Moment 60 Schiedsrichter aktiv zur Verfügung. Davon werden 20 höherklassig eingesetzt. Ich kann nicht versprechen, künftig A-Klassen-Spiele noch besetzen zu können.
Am Freitag beginnt in Rohrenfels ein Neulingslehrgang...
Roth: Bisher haben sich gerade einmal zehn Leute angemeldet. Seit der Veranstaltung in Burgheim und dem Hinweis an die Vereine sind nur drei hinzugekommen. Der SV Feldheim, der FC Zell/Bruck und der SC Rohrenfels haben noch einen Kandidaten gebracht.
● Schiedsrichterlehrgang Der Lehrgang beginnt am kommenden Freitag, 6. März, um 19 Uhr im Sportheim in Rohrenfels. Am Samstag dauert die Veranstaltung von 8 bis 17 Uhr. Am Sonntag geht es erneut um 8 Uhr los. Dann stehen die theoretische und praktische Prüfung an. Patrick Krettek mit seinem Lehrteam leitet die Veranstaltung. Eine Teilnahme ist kurzfristig möglich. Anmeldung unter der Email-Adresse patrick.krettek@gmx.de.