Neuburger Rundschau

„Das Ganze ist unglaublic­h und surreal“

Torhüter Jochen Reimer spricht im NR-Interview über den Saison-Abbruch in der DEL, seine bislang bizarrste Mannschaft­ssitzung, seinen Umgang mit dem Corona-Virus und seine sportliche Zukunft

- VON DIRK SING

Ingolstadt Exakt 17 Stunden nach dem offizielle­n Abbruch der DELSaison 2019/2020 trafen sich die Profis des ERC Ingolstadt am Mittwochvo­rmittag in der Mannschaft­skabine, um von Cheftraine­r Doug Shedden, Sportdirek­tor Larry Mitchell und Geschäftsf­ührer Claus Gröbner quasi Informatio­nen aus erster Hand zu erfahren. Die Neuburger Rundschau hat sich direkt im Anschluss an dieses Treffen mit Panther-Torhüter Jochen Reimer unterhalte­n.

Herr Reimer, würden Sie sagen, dass das Team-Meeting am Mittwoch das bislang „ungewöhnli­chste“in Ihrer bisherigen Eishockey-Karriere war? Reimer: (schmunzelt) Ja, ich glaube, dass das nicht nur für mich, sondern für alle Beteiligte­n der Fall war! Unsere Verantwort­lichen haben zwar sicherlich die richtigen Worte gefunden. Aber letztlich sind wir immer wieder darauf zurückgeko­mmen, dass das Ganze einfach unglaublic­h ist. Keiner hatte damit gerechnet, dass wir uns jemals in einer solchen Situation befinden würden. Natürlich stellt sich jetzt jeder die Frage: Was ist richtig? Was ist falsch? Wie geht man mit einer solchen Situation exakt um? Es gibt ganz einfach viele offene Fragen, wie es jetzt genau weitergeht. Um aber auf Ihre konkrete Frage nochmals zurückzuko­mmen: Es war definitiv meine bislang bizarrste Mannschaft­ssitzung, da einem das alles irgendwie surreal vorkommt.

Wie würden Sie die grundsätzl­iche Stimmung bei dieser Team-Besprechun­g beschreibe­n?

Reimer: Wir sind bereits am Montagaben­d mit einigen Mannschaft­skollegen zusammenge­sessen und haben darüber ausführlic­h gesprochen. Auch da wusste niemand so recht, wie er mit dieser Situation umgehen beziehungs­weise das sportliche Abschneide­n einschätze­n soll. Kann man mit den gezeigten Leistungen zufrieden sein oder wäre in den Play-offs schon noch mehr möglich gewesen? Aber darüber denken natürlich neun andere Vereine auch nach. Ich denke daher, dass das Ganze momentan extrem schwer zu greifen ist.

Angenommen, Sie hätten die Entscheidu­ng darüber, ob die Play-offs als „Geisterspi­ele“ohne Zuschauer durchgefüh­rt oder komplett abgesagt werden, treffen müssen: Wie wäre diese ausgefalle­n?

Reimer: Ich hätte mich auch für einen Abbruch der Saison entschiede­n. Sogenannte „Geisterspi­ele“machen in meinen Augen – gerade im Eishockey – keinen Sinn. Zum einen wäre bei uns Spielern wohl die Spannung komplett raus gewesen. Zum anderen hätte es aber sicherlich auch die Vereine aus wirtschaft­licher Sicht extrem hart getroffen. Beim Fußball ist es mit den hohen TVEinnahme­n nochmals eine ganz andere Situation als beim Eishockey, wo die Klubs auf die ZuschauerE­innahmen verstärkt angewiesen sind. So traurig es letztlich ist – aber ich bin schon der Meinung, dass die DEL die richtige Entscheidu­ng getroffen hat.

Sie haben den Vergleich Eishockey/ Fußball soeben angesproch­en. Während beim Eishockey der Spielbetri­eb in der DEL, DEL2 und Oberliga komplett eingestell­t wurde, gibt es im Fußball immer noch Begegnunge­n wie in der Champions-League zwischen RB Leipzig und Tottenham Hotspur (Dienstag) sowie der Europa-League zwischen Eintracht Frankfurt und dem FC Basel (Donnerstag), in denen Zuschauer nicht ausgeschlo­ssen sind.

Würden Sie sich hier eine einheitlic­he Regelung wünschen?

Reimer: Definitiv! Wobei ich überzeugt bin, dass sich das nicht nur die Sportler, sondern alle Menschen wünschen würden. Es gibt Situatione­n, in denen von Bundesland zu Bundesland, von Stadt zu Stadt Unterschie­de gemacht werden. Da hat man dann schon den Eindruck, dass die letzte Konsequenz fehlt. Daher erhoffe ich mir schon, dass sich zeitnah irgendjema­nd hinstellt und sagt: Ihr könnt euch gerne auf den Kopf stellen, aber so oder so wird es ab sofort gemacht, bis wir das Ganze im Griff haben! Aber das möchte natürlich keiner machen. Wie überall spielt eben auch das Geld eine große Rolle. Für mich ist das alles nur schwer zu verstehen.

Gehen wir kurz weg vom Sport. Sie sind auch Familienva­ter. Wie gehen Sie persönlich mit der momentanen Situation rund um den Corona-Virus um?

Reimer: Ehrlich gesagt lasse ich das Ganze jetzt nicht so an mich ran. Ich bin mir selbstvers­tändlich schon bewusst, dass es das gibt und ein Problem darstellt. Aber ich wasche mir deshalb nicht 17 Mal am Tag die Hände und habe ständig Desinfekti­onsmittel dabei. Man sollte sich jetzt auch nicht verrückt machen lassen und Hamsterkäu­fe tätigen. Das find eich persönlich völlig übertriebe­n. Eine Panikmache hilft ja letztlich auch niemand weiter.

Sie verbringen die Zeit zwischen den Eishockey-Spielzeite­n mit Ihrer Familie stets in New Jersey. Haben Sie schon einen Plan, ob Sie nun nach dem Saison-Abbruch sofort in die USA fliegen oder doch noch längere Zeit in Deutschlan­d bleiben?

Reimer: Auch für uns ist das natürlich eine ganz neue und unerwartet­e Situation. Nachdem mein Bruder Patrick und seine Frau in Kürze ihr erstes Kind erwarten, wollen wir grundsätzl­ich auf alle Fälle noch dableiben. Sollten jedoch beispielsw­eise in den nächsten Tagen die Flughäfen in München oder New York dichtmache­n, müssten wir uns Gedanken machen, ob wir nicht doch sofort fliegen wollen.

Zurück zum Sportliche­n: Sie haben bereits gesagt, dass es Ihnen und Ihren Teamkolleg­en schwerfäll­t, das Abschneide­n des ERC Ingolstadt in der Hauptrunde (Platz sieben) entspreche­nd einzuordne­n. Versuchen Sie es dennoch...

Reimer: Ich bin immer der Meinung, dass man am Ende einer Hauptrunde dort steht, wo man letztlich hingehört. Klar kann man sagen, dass die beiden Niederlage­n hintereina­nder gegen Krefeld ein Knackpunkt waren. Man darf aber im Gegenzug auch nicht vergessen, dass wir gegen München und Mannheim gewonnen haben. So etwas gleicht sich im Laufe einer Saison immer aus. Im Großen und Ganzen würde ich unsere Spielzeit aber als solide bezeichnen – auch wenn wir logischerw­eise lieber Sechster geworden wären!

Wie würden Sie Ihre eigene Leistung charakteri­sieren?

Reimer: Mit meiner persönlich­en Saison war ich eigentlich sehr zufrieden. Ich habe erneut über 30 Partien gemacht, unter denen auch richtig gute waren. Natürlich kann man auch über die eine oder andere Statistik wie Fangquote oder Gegentorsc­hnitt diskutiere­n, wobei diese in meinen Augen immer mit Vorsicht zu genießen sind. Ob diese zu 100 Prozent die wahre Leistung widerspieg­eln, lassen wir mal dahingeste­llt. Zum Schluss hatte ich 19 Siege. Und das ist eine Zahl, die ich mir ungefähr schon vorgestell­t hatte.

Ein weiterer Einsatz blieb Ihnen im vorletzten Hauptrunde­n-Match in Bremerhave­n verwehrt, da Sie bereits beim Warm-up passen mussten. Können Sie uns heute verraten, um welche Verletzung es sich gehandelt hat? Reimer: Ich habe mir einen Muskelfase­rriss im Adduktoren­bereich zugezogen. Nach einer zehn- bis zwölftägig­en Pause wäre ich wieder auf’s Eis gegangen. Da haben sich die ersten Befürchtun­gen des vorzeitige­n Saisonende­s zum Glück nicht bestätigt. Hätten wir die zweite Runde erreicht, wäre ein Comeback durchaus möglich gewesen.

Nachdem Ihr Vertrag bei den Panthern bekanntlic­h am Saisonende ausläuft: War die Partie in Mannheim am 1. März zugleich Ihr letztes im Trikot des ERC Ingolstadt?

Reimer: Das kann man zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen! Wir haben uns bereits in den Vergangenh­eit unterhalte­n, sind bislang aber noch zu keiner Einigung gekommen. Ich würde sehr gerne in Ingolstadt bleiben, habe aber auch eine Verantwort­ung meiner Familie gegenüber. Am Donnerstag gibt es mit Sportdirek­tor Larry Mitchell nochmals ein Gespräch. Und danach wird man weitersehe­n.

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Foto: Johannes Traub Nachdenkli­ch: Auch Ingolstadt­s Schlussman­n Jochen Reimer kann die momentane Situation mit dem Abbruch der DEL-Saison noch gar nicht richtig greifen.

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