Genuss mit Abstand
Zwei Monate waren alle Restaurants zu. Ab Montag haben die Lokale wieder komplett geöffnet. Für die Wirte ist das wie ein Neuanfang. Dennoch rechnen sie mit weniger Umsatz
Immenstadt/Obergriesbach Der Übergang ist beinahe fließend. Die Terrassen der Lokale fügen sich harmonisch in das beschauliche Bild, das sich an diesem Mittag auf dem Marienplatz in Immenstadt zeichnet. Fast ist die Corona-Krise vergessen. Einer Frau scheint es ähnlich zu ergehen. Zielstrebig nähert sie sich einem Tisch im Außenbereich eines Lokals, ihr bunter Schal hängt locker unter ihrem Kinn. Nach dem Blick der Kellnerin bedeckt sie hektisch ihr Gesicht.
Albert Seitz kann das Verhalten seiner Gäste verstehen. Auch er muss sich an den Mundschutz noch gewöhnen. Gemeinsam mit seiner Frau Anne Seitz betreibt er den Gasthof Hotel Drei König, seit Montag hat die Terrasse wieder geöffnet. Um seiner Vergesslichkeit vorzubeugen, hat er deshalb in seinem Restaurant mehrere Stapel mit Mundschutz verteilt – eine Maske lugt seitlich aus seiner Weste heraus. Sicher ist sicher.
Der Wirt möchte auf keinen Fall riskieren, dass er sein Restaurant ein weiteres Mal schließen muss. Zwei Monate, in denen er Essen nur zum Mitnehmen anbieten durfte, sind genug. Seitz ist froh, dass sich seine Terrasse seither langsam wieder füllt. „Die Gäste waren sofort wieder da“, sagt er und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es habe sich sofort ein „Wohlfühleffekt“eingestellt. Zehn seiner zwölf festangestellten Mitarbeiter hat er seitdem aus der Kurzarbeit geholt. Trotz positiver Resonanz rechnet der Wirt aber damit, so schnell nicht mehr an alte Umsätze anknüpfen zu können und kalkuliert mit zwei Dritteln seiner bisherigen Einnahmen. Er befürchtet, dass seine Gäste – etwa wegen Kurzarbeit – weniger für Restaurantbesuche ausgeben werden. Die Zahlen des Nürnberger Marktforschungsinstituts GfK scheinen seine Vermutung zu stützen. Denen zufolge ist die Sparneigung im April sprunghaft angestiegen und Menschen verzichten vorerst auf Luxusgüter. Wie etwa den Restaurantbesuch? Nach Angaben der Tourismusberatung dwif haben Gäste vor Corona durchschnittlich zwischen elf und 15 Euro pro Kopf ausgegeben. Seitz zeigt sich vorsichtig optimistisch, dieses Ausgangsniveau wieder erreichen zu können. Das Geschäft müsse langsam anlaufen. Hinzu komme, dass wegen der Auflagen nicht alle Tische bewirtet werden dürfen. Der Vorteil des Allgäuer Wirts ist die Größe des Lokals. 85 Plätze gibt es im Innenbereich, 55 kann er weiterhin anbieten. Ob das reichen wird?
Nach einer Umfrage des Gaststättenverbands Dehoga muss ein Betrieb rund 70 Prozent des Umsatzes vor Beginn der Corona-Krise erwirtschaften, um erfolgreich weitermachen zu können. Der Verband schätzt, dass rund ein Drittel der Lokale aufgibt. Für Albert Seitz kam und kommt das nicht infrage. Durch private Rücklagen und staatliche Soforthilfen kämpfte er sich durch den Lockdown. Trotz Alpenpanorama eine sehr einsame Zeit. Der Tourismus sei komplett eingebrochen gewesen, schildert er.
Ortswechsel nach Obergriesbach bei Aichach im Landkreis AichachFriedberg. Gabriel Stefa leitet mit seinen Eltern das italienische Restaurant Panorama im Waldgasthof. Anders als sein Allgäuer Kollege lebt Stefa hauptsächlich von Vereinen und Stammkunden aus dem Ort. Gruppen, die der junge Wirt derzeit nicht bewirten kann. „Die Vereine bestellen inzwischen ihre Pizza zum Mitnehmen“, sagt er. Durch die Ausgangsbeschränkungen hat er einen regelrechten Boom im Lieferservice erlebt. Nur dadurch, so Stefa, konnte er die achtwöchige Schließung überstehen. „Wir haben erst vor einem Jahr eröffnet und haben viel investiert.“Allzu große Rücklagen hatte die Wirtsfamilie daher nicht und ist umso dankbarer für die Loyalität ihrer Gäste. Trotzdem rechnet auch Stefa mit starken Umsatzeinbußen – im besten Fall nur 30 Prozent weniger als zuvor. Auch deshalb wird es im Panorama weiterhin italienisches Essen zum Mitnehmen geben.
Für Albert Seitz lohnt sich der Lieferservice nicht. Nur vereinzelt hatten Stammgäste Essen zum Mitnehmen bestellt. Er setzt weiterhin auf den Service und die Atmosphäre vor Ort – was auch trotz der Vorgaben machbar sei. Vor Kontrollen fürchte sich Seitz nicht. Im Gegenteil: „Ich möchte dem Gesundheitsamt zeigen, wie gut die Auflagen umsetzbar sind.“Er fühlt sich gewappnet, Gäste sicher zu bewirten.
Seitz ist sich seiner komfortablen Ausgangslage aber auch bewusst, durch die Größe des Lokals im Innenbereich nicht allzu viel verändern zu müssen. So verleihen die orangenen Sitzgruppen dem Raum weiterhin die für Wirtshäuser so typische Urigkeit – wären nicht die Einweghandschuhe und eine Packung Mundschutz, die auf einem Tisch liegen. Sicherlich werde die Gemütlichkeit leiden, dessen ist sich Albert Seitz bewusst. Dennoch möchte er seinen Gästen zumindest ein bisschen Normalität vermitteln. Plexiglasscheiben, wie es in kleineren Lokalen teilweise notwendig ist, gibt es daher nicht. Das stört die Geselligkeit. Ein paar Änderungen wird es im Wirtshaus aber doch geben: Nur jeder zweite Tisch wird bewirtet und Salz- und Pfefferstreuer fallen weg. Und auch am Frühstücksbuffet gibt es künftig keine offene Ware mehr. Die erhält der Gast nur auf Nachfrage und nur abgepackt. Es muss im Restaurant auch speziell gelüftet werden und die Gäste bereiten sich auf einen Besuch dort am besten genauso vor wie auf den Abend im Biergarten. Reservierung hilft, Maske ist Pflicht.
Auch wenn sich die Tische langsam wieder füllen, sind die Gastwirte vom Alltag noch lange entfernt. „Familienfeiern haben wir bisher keine angenommen“, sagt Seitz. Ein Grund sind auch die strengen Vorgaben, wer gemeinsam am Tisch speisen darf. Die Zusammengehörigkeit der Gruppe überprüfen die Wirte vorab. Allein das würde viele Gäste abschrecken. Die Gastleute sind sich einig: Solange die Infektionszahlen so hoch sind, sind größere Feiern nicht möglich.
„Ich möchte dem Gesundheitsamt zeigen, wie gut die Auflagen umsetzbar sind.“Albert Seitz, Wirt