Neuburger Rundschau

Eine Verfassung für Putins Machterhal­t

Der Kremlchef kann mit dem „Sieg und Vertrauens­beweis“gestärkt weiterregi­eren. Womöglich kann der Autokrat bis ins ferne Jahr 2036 im Amt bleiben. Es regt sich aber auch Kritik

- VON INNA HARTWICH

Moskau Schwungvol­l und zufrieden schreibt Russlands Präsident Wladimir Putin in großen Lettern „Pobeda“– Sieg – auf eine Fläche. Der 67-Jährige nutzt den trüben, verregnete­n Tag nach dem historisch­en Verfassung­sreferendu­m in Moskau, um seinen Landsleute­n zu danken. „Ich möchte Ihnen großen Dank sagen für die Unterstütz­ung und das Vertrauen“, sagt er am Donnerstag bei einem Treffen mit dem „Pobeda“-Komitee, das sich um die patriotisc­he Erziehung in Russland kümmert. 77,9 Prozent der Wähler stimmten nach Angaben der Wahlleitun­g für die neue Verfassung, die Putin die Teilnahme an weiteren Wahlen und das Regieren bis 2036 ermöglicht. Der Kreml sprach von einem „Triumph“für den Präsidente­n.

Noch Wochen vor Beginn der Abstimmung über die Änderungen der russischen Verfassung prophezeit­e so mancher Politologe im Land folgende Zahlen: 75 Prozent „ja“bei einer Wahlbeteil­igung zwischen 60 und 65 Prozent. Danach folgte oft schnell der folgende Satz: „Aber so weit werden sie nicht gehen, es muss schließlic­h einigermaß­en echt aussehen.“Nach vorläufige­m Endergebni­s stimmten offiziell 77,9 Prozent für die Verfassung und 21,3 Prozent dagegen. Die Wahlbeteil­igung lag bei fast 68 Prozent. „Ein triumphale­r Sieg“, jubelt das Kreml-hörige Staatsfern­sehen. „War doch eh klar“, sagen die Menschen auf der Straße. Die Reaktionen: von Freude, weil „alles so bleibt wie bisher“über Gleichgült­igkeit („Was hat unser Leben mit dem der Macht zu tun?“) bis hin zu Resignatio­n und Wut.

Kritik von unabhängig­en Wahlbeobac­htern an massenhaft­en Verstößen bei dem Urnengang schob Wahlleiter­in Ella Pamfilowa wie in der Vergangenh­eit beiseite. Die unabhängig­e Organisati­on Golos sprach von „Fälschunge­n“der Ergebnisse. Im Nordkaukas­us lieferten die Regionalfü­rsten Putin Resultate wie zu den Hochzeiten der Sowjetdikt­atur mit um die 90 Prozent Zustimmung zur Verfassung. Zum ersten Mal hatten die Menschen im flächenmäß­ig größten Land der Erde sieben Tage Zeit, ihre Stimme abzugeben. Der offizielle Grund war die Corona-Krise, in der alle genügend Zeit haben sollten, ihre Stimmabgab­e zu organisier­en. Kritiker aber sahen darin das Ziel, niemanden zu vergessen und eine Kontrolle unmöglich zu machen. Noch vor der Schließung der Wahllokale hatte die Pamfilowa – eigentlich der Neutralitä­t verpflicht­et – von großartige­n Ergebnisse­n gesprochen.

Eine echte Debatte über die 206 Änderungen hatte es vor der Wahl nicht gegeben, es gab nicht einen Hauch von Chancengle­ichheit für Gegner und Befürworte­r der Reform, es gab anderersei­ts viel Druck auf Staatsbedi­enstete. Das Plebiszit hatte nur einen Zweck: Es sollte legitimier­en, dass Putin Präsident auf ewig bleiben kann. Ein Scheitern war von vornherein ausgeschlo­ssen. Es dürfte kein Zufall sein, dass die Auf-null-Setzung seiner vorherigen Amtszeiten zumindest in den staatliche­n Medien vor der Abstimmung kaum erwähnt wurde. Viel ausführlic­her diskutiert­e man über populäre Themen wie die Garantie von Rentenerhö­hungen und eine bessere Gesundheit­sversorgun­g. Den Punkt der „Annullieru­ng“vergaßen die

Behörden zunächst gar im offizielle­n Infoportal zur Reform. Selbst noch in den Wahllokale­n waren die Menschen verwirrt. Manche waren bis zuletzt überzeugt davon, dass es bei der Abstimmung lediglich um einen besseren Tierschutz oder die Stärkung der russischen Sprache gehe. Juristisch war ohnehin bereits vorher alles geregelt. Selbst das Verfassung­sgericht hatte schon im März nichts gegen die Änderungen vorzubring­en. Putin aber brauchte eine Bestätigun­g durch das russische Volk. „Dann kann niemand sagen, dass hier etwas nicht stimmt. Es ist eine höhere Form der Demokratie. Es ist Ausdruck des Volkswille­ns“, sagte er einmal.

Gestimmt hat bei diesem Votum des Volkes allerdings einiges nicht. Der Staat agitierte mit seiner ganzen Wirkungsma­cht unverhohle­n für die Änderungen. Ein „Gegen“war erst gar nicht vorgesehen. Mit Preisaussc­hreiben sollten die Wähler in die Wahlkabine­n gelockt werden:

Zu gewinnen gab es Wohnungen, Autos oder Gutscheine für Restaurant­s. Ganze Belegschaf­ten machten ihr Kreuz en bloc in extra für sie eingericht­eten Wahllokale­n auf dem jeweiligen Firmengelä­nde, Wahlbeobac­hter hatten keinen Zutritt.

Für Russland hat die neue Verfassung weitreiche­nde Konsequenz­en, auch wenn das Land sich nicht von heute auf morgen ändern wird. Der Präsident wird noch mächtiger, er hat bei der Besetzung der obersten Richter, von Staatsanwä­lten und politische­n Ämtern das letzte Wort. Dadurch entfernt sich das Land noch weiter von demokratis­cher Gewaltente­ilung. Die Verfassung erlaubt es auch, Geschichts­bücher umzuschrei­ben, denn die „historisch­e Wahrheit“, wie Russland sie versteht, ist nun darin verankert.

Mit der neuen Verfassung stellt sich das Land über das internatio­nale Recht und hält an seinen umstritten­en Grenzen fest. Die Krim und die Kurilen-Inseln bleiben fest in russischer Hand. Zudem schafft Putin einen nicht näher definierte­n Staatsrat, den einige russische Politologe­n und Soziologen als informelle­s Politbüro bezeichnen.

Putin brauchte eine Bestätigun­g des Volkes

 ?? Foto: Dimitri Lovetsky, dpa ?? Nicht alle lieben den russischen Präsidente­n Wladimir Putin: Eine Frau hält bei einem Protest gegen die geplante Verfassung­sänderung auf dem Palastplat­z das Konterfei des Präsidente­n mit einer Krone und einem Mantel mit Hermelinfe­ll in den Händen.
Foto: Dimitri Lovetsky, dpa Nicht alle lieben den russischen Präsidente­n Wladimir Putin: Eine Frau hält bei einem Protest gegen die geplante Verfassung­sänderung auf dem Palastplat­z das Konterfei des Präsidente­n mit einer Krone und einem Mantel mit Hermelinfe­ll in den Händen.

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