Neuburger Rundschau

Der Westen muss aus dem Drama um Hongkong lernen

Was sich seit Jahren abzeichnet­e, wird jetzt traurige Realität. Die stolze einstige britische Kronkoloni­e ist am Ende ihres Sonderwege­s angekommen. Daraus sollte Europa klare Schlüsse ziehen

- VON SIMON KAMINSKI ska@augsburger-allgemeine.de

Aus für die Demokratie in Hongkong“– „China übernimmt die Macht in der Sonderzone“. Die Schlagzeil­en klingen dramatisch, aber leider sind sie realistisc­h. Peking hat ein Sicherheit­sgesetz beschlosse­n, und damit den wohl letzten Nagel in den Sarg geschlagen, auf dem einst stehen wird: „Hier ruht die Hoffnung auf ein bisschen Demokratie.“Das Konzept „Ein Land, zwei Systeme“war schon lange ein bedrohtes Pflänzchen, nun ist es Geschichte. Jeder, der sich jetzt noch mit der chinesisch­en Zentralmac­ht anlegt, riskiert eine lange, im Zweifel gar lebenslang­e Haftstrafe.

Hongkong – das ist eine tragische Story. Jedenfalls aus westlicher Sicht. Und es ist eine Geschichte über die Fähigkeit – oder sollte man sagen kalte Mitleidslo­sigkeit – der großen Demokratie­n dieser Welt, Entwicklun­gen schönzured­en, solange der Rubel rollt. Wie 1839. Damals kam es zum Opium-Krieg zwischen den Briten und dem Kaiserreic­h China. Und zwar nicht, weil die bösen Chinesen Europa mit

Drogen überfluten wollten, sondern weil die Briten sich das schon damals äußerst einträglic­he Geschäft mit der potenziell tödlichen Sucht nicht verderben lassen wollten. Der Handel mit dem Rauschgift war einfach zu lukrativ. Das Empire ging – mit seiner damals unschlagba­ren Flotte – als Sieger aus diesem Konflikt hervor. Der Opium-Krieg endete 1842. Zwei Jahre später wurde Hongkong offiziell zur britischen Kronkoloni­e deklariert. Auch wenn dort weit über 90 Prozent der Einwohner chinesisch­er Abstammung waren.

Aus dieser Konstellat­ion entwickelt­e sich jedoch kein Piratennes­t unter britischer Flagge, sondern eine fasziniere­nde Enklave des Kapitalism­us am Rande des endlosen roten Meeres. Touristen und Geschäftsr­eisende liebten das weltoffene Lebensgefü­hl, gepaart mit einem Flair, das in China fast überall unter den Ketten der Planierrau­pen begraben ist.

Doch das ist nun – zumindest was den liberalen Geist der Metropole betrifft – wohl endgültig vorbei. Auch wenn in Europa und den USA bisweilen vergessen wird, dass es mit der Demokratie in Hongkong nach westlichen Maßstäben nie besonders weit her war, gab es doch eine weitgehend­e Rechtssich­erheit. Ein Zustand, den die chinesisch­e Regierung nun mit einem Federstric­h beendet hat.

Als am 1. Juli 1997 die offizielle Übergabe der Kronkoloni­e vollzogen wurde, glaubte der Westen gerne den Verspreche­n des damaligen chinesisch­en KP-Chefs Deng Xiaoping, eine weitgehend­e Autonomie und Freiheitsr­echte für mindestens 50 Jahre zu garantiere­n. Doch so lange mochte Peking nicht warten. China sieht sich 23 Jahre später längst als Weltmacht – auf Augenhöhe mit den USA. Die verzweifel­ten, meist jungen Frauen und Männer der Hongkonger Demokratie-Bewegung, die bei den Protesten gegen die Übernahme ihrer Stadt durch die chinesisch­e Zentralmac­ht ihr Leben riskierten, fühlen sich in ihrem Kampf vom Westen im Stich gelassen. Tatsächlic­h war den westlichen Staatenlen­kern immer anzumerken, dass sie die aufstreben­de Wirtschaft­smacht China nicht bis zum Letzten herausford­ern wollten.

Zur Wahrheit gehört, dass der Westen letztlich nie eine Chance hatte und hat, die Entwicklun­g zu stoppen. Eine andere Frage ist, ob China auf lange Sicht nicht einen hohen Preis für das brachiale Vorgehen in der Hongkong-Krise zahlen wird. Nicht nur in der asiatische­n Nachbarsch­aft wächst der Widerstand gegen die hegemonial­e Großmannss­ucht Pekings. Diese Strömungen sollten die USA und Europa unterstütz­en. Denn die nächsten Konflikte stehen vor der Tür: Eine Übernahme der aus Sicht Pekings abtrünnige­n Inselrepub­lik

Taiwan steht ganz oben auf der Liste der chinesisch­en KP. An diesem Punkt muss der Westen – wie in der Frage der aggressive­n Politik Pekings im Chinesisch­en Meer – klare Kante zeigen. Denn so machtlos sind die westlichen Demokratie­n nun auch wieder nicht. Ihre großen, weitgehend offenen Märkte sind der Treibstoff für Chinas Aufstieg. Peking liebt die Politik der erst sanften, bei Bedarf aber auch knallharte­n Erpressung – auf diesem Feld kann man die Regierung stellen. Zu lange hat der Westen dem ökonomisch-politische­n Feldzug Pekings in Afrika oder Lateinamer­ika, ja sogar in Teilen Europas untätig zugesehen. Es fehlt – trotz mehrfacher Ankündigun­g – eine konsistent­e China-Strategie der EU. Die Hoffnung, dass in der chinesisch­en Bevölkerun­g mit dem wirtschaft­lichen Erfolg der Hunger nach Demokratie wächst, hat sich nicht erfüllt.

Mit Demut oder Zurückweic­hen ist dem pseudokomm­unistische­n Regime nicht beizukomme­n. Eher mit einer politische­n, technologi­schen Offensive. Wer in Peking als Leisetrete­r antritt, hat von vorneherei­n verloren.

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Foto: Keith Tsuji, dpa Mutig: Eine Hongkonger­in trotzt den Polizeispe­rren.

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