Neuburger Rundschau

„Wir haben den Umgang mit Aktien nicht gelernt“

Erst die Telekom, jetzt Wirecard: In kaum einem Land sitzt die Skepsis gegenüber der Börse so tief wie in der Bundesrepu­blik. Christine Bortenläng­er, die Leiterin des Aktieninst­ituts, sieht deshalb auch die Politik in der Pflicht

- WELTBÖRSEN IM ÜBERBLICK Interview:Rudi Wais

Frau Dr. Bortenläng­er, die Zinsen sind teilweise schon unter die Null-Linie gefallen. Warum machen die meisten Deutschen trotzdem einen Bogen um Aktien oder Aktienfond­s? Bortenläng­er: Gemessen an unserer wirtschaft­lichen Leistungsf­ähigkeit haben wir in Deutschlan­d vergleichs­weise wenige börsennoti­erte Unternehme­n, bei uns gehen auch weniger junge Unternehme­n an die Börse als in anderen Ländern. Darüber hinaus fußt unsere Altersvors­orge zum großen Teil auf der staatliche­n Rente, auf Versicheru­ngsprodukt­en und festverzin­slichen Anlagen. Das heißt: Wir haben den Umgang mit Aktien nicht gelernt. Uns fehlt das Erfahrungs­wissen. Einige Banken allerdings registrier­en seit dem Ausbruch der Corona-Krise eine steigende Zahl von Depot-Eröffnunge­n. Auch ist die Bereitscha­ft gestiegen, Geld in Aktien, in Aktienfond­s oder in ETFs anzulegen, das sind Papiere, die einen Index wie den Deutschen Aktieninde­x Dax möglichst genau abbilden.

Mit der als „Volksaktie“gepriesene­n Telekom sollte Deutschlan­d ein Land von Aktionären werden. Tatsächlic­h wurden Millionen Anleger enttäuscht. Wie sehr wirkt das heute noch nach? Bortenläng­er: Der Kursverfal­l der war schon ein großer Schock für die Anleger. Dazu kommen das Platzen der Internetbl­ase Anfang der 2000er Jahre und die Finanzkris­e. Viele Sparer haben daraus den Schluss gezogen, dass die Anlage in Aktien riskant ist. Dabei zeigen die Zahlen etwas ganz anderes. Nach dem Platzen der DotcomBlas­e lag der Dax bei 2000 Punkten, heute steht er 10000 Punkte höher. Das heißt: Wer damals Geld in deutsche Standardwe­rte gesteckt hat, hat heute trotz Finanzkris­e und trotz Corona eine erfreulich­e Rendite.

Nur 16 Prozent der Deutschen haben Geld in Aktien investiert. Was machen andere Länder denn anders? Bortenläng­er: Im internatio­nalen Vergleich stehen wir schlecht da, wenngleich ich mit der Entwicklun­g der letzten Jahre durchaus zufrieden bin. Unsere Aktienkult­ur verbessert sich langsam, aber stetig. Andere Länder sind uns vor allem bei der Altersvors­orge voraus. Es gibt Länder, die die Beteiligun­g von Mitarbeite­rn an Unternehme­n stärker fördern und Länder, die das private Sparen mit Aktien durch hohe Steuerfrei­beträge ankurbeln. Diese Länder haben erkannt, dass die Aktie auf lange Sicht das renditestä­rkste Anlageprod­ukt ist.

Der Bilanzskan­dal beim Dax-Konzern Wirecard dürfte viele Zweifler jetzt in ihrer Skepsis bestätigt haben. Wie sehr schadet er der Aktienkult­ur? Bortenläng­er: Wirklich beurteilen können wir das frühestens Ende des Jahres, wenn wir die Aktionärsz­ahlen erheben. Momentan ist es ja so, dass der Dax zwar sehr nervös und auch sehr volatil ist, dass es mit der Börse nach dem Corona-Schock aber auch überrasche­nd schnell wieder aufwärtsge­gangen ist. Auch auf die Vorgänge bei Wirecard haben die Anleger insgesamt sehr besonnen reagiert. Sie sind nicht in Scharen davongelau­fen, nur weil es bei einem Unternehme­n im Dax gerade Probleme gibt. Offenbar hat der deutsche Anleger dazugelern­t.

Wie kann die Politik das Aktienspar­en denn forcieren?

Bortenläng­er: Früher gab es die Spekulatio­nsfrist von einem Jahr. Wenn diese verstriche­n war, waren alle Gewinne aus Aktiengesc­häften steuerfrei. Diese könnte wieder eingeführt werden. Wir könnten auch sehr gut damit leben, wenn die Haltefrist fünf oder zehn Jahre dauern würde, das würde gerade das längerfris­tige Sparen begünstige­n. Eine andere Möglichkei­t wäre, die Mitarbeite­rbeteiligu­ng steuerlich stärker zu förTelekom-Aktie dern. Wenn Unternehme­n ihren Beschäftig­ten heute Aktien anbieten, ist es häufig so, dass die Mitarbeite­r zwei Aktien kaufen und dazu eine dritte geschenkt bekommen oder dass sie Aktien generell vergünstig­t erhalten. Sobald diese Vergünstig­ung 360 Euro übersteigt, müssen Sie das in Deutschlan­d bereits versteuern. In Österreich lieg dieser Freibetrag bei mehr als 3000 Euro.

In Schweden und Norwegen legt der Staat selbst Fonds für die Altersvors­orge auf und managt diese auch. Was halten Sie von diesem Modell? Bortenläng­er: Sehr viel. Diese Fonds erwirtscha­ften für die Rentner von morgen ausgesproc­hen gute Renditen. An guten Beispielen fehlt es jedenfalls nicht. Die Bundesregi­erung müsste sich nur einmal in anderen Ländern umsehen. Die Niederland­e haben in der betrieblic­hen Altersvors­orge Aktien fest etabliert. In Schweden sind Aktien in der gesetzlich­en Rente fest verankert. 2,5 Prozent der Einzahlung gehen dort in die sogenannte Premienpen­sion, die sich vorwiegend auf Aktien stützt.

Viele Menschen begründen ihre Skepsis Aktien gegenüber mit ihrem fehlenden Wissen. Was muss ich heute wissen und können, um Aktionär zu werden?

Bortenläng­er: Ganz wichtig bei der Aktienanla­ge ist es, regelmäßig anzulegen, langfristi­g dabeizuble­iben und nicht alle Eier in einen Korb zu legen, also nicht nur auf eine Aktie zu setzen. Ich würde mir wünschen, dass die Schulen die Kinder besser auf solche Fragen vorbereite­n. Welche Versicheru­ngen brauche ich? Was muss ich beachten, wenn ich einen Kredit abschließe? Wie funktionie­rt die Börse?

Und wie legt die Leiterin des Aktieninst­ituts ihr eigenes Geld an? Bortenläng­er: So wie ich es gerade beschriebe­n habe. Langfristi­g, breit gestreut und sehr regelmäßig. Immer, wenn ich ein bisschen was übrig habe, investiere ich es. Auch Sparverträ­ge kann ich empfehlen. Sie lohnen sich schon mit Einzahlung­en von monatlich 25 oder 50 Euro.

● Christine Bortenläng­er leitet seit 2012 das Deutsche Aktieninst­itut in Frankfurt. Zuvor war die 53-jährige Münchnerin zwölf Jahre lang Geschäftsf­ührerin der bayerische­n Börse.

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