Neuburger Rundschau

Der Einfluss der Industrieb­arone

Der BDI bündelt die Macht der deutschen Wirtschaft. Doch seine Bosse haben es immer schwerer, durchzudri­ngen. Ein früherer Siemens-Kronprinz soll das Blatt wenden

- VON STEFAN STAHL UND CHRISTIAN GRIMM

Berlin. Wenn der BDI ruft, kommt die Kanzlerin, kommt der Bundespräs­ident. Sie bedanken sich dann in ihren Grußworten artig bei den Unternehme­n, dass diese Wohlstand schaffen. Es ist eine über Jahrzehnte eingeübte Praxis. Es scheint, als sei es wie immer, doch in den vergangene­n Jahren hat sich einiges geändert. Denn der BDI dringt immer weniger durch. Der Interessen­vertretung der Industrie fehlt es an Schlagkraf­t. „Das ist kein Vergleich zu früher“, ist ein Satz, der immer wieder fällt. Er kommt aus den Mündern von anderen Einflüster­ern, Abgeordnet­en, Journalist­en. Namentlich will aber niemand rufen, dass der Kaiser nackt sei? Gründe für die Schwäche des BDI gibt es viele. Angefangen bei der Spitze, über Angela Merkel bis hin zur veränderte­n politische­n Landschaft. Aber der Reihe nach.

Dieter Kempf ist seit über drei Jahren als Präsident das Gesicht des Verbandes. Ende des Jahres hört er planmäßig mit Ablauf seiner zweiten Amtszeit auf. Kempf war ein Experiment. Kein Schraubenm­agnat, Stahlgieße­r oder Baulöwe, sondern ein Dienstleis­ter. Als Student verkaufte er Burger in Deutschlan­ds erster McDonald’s-Filiale, später führte er zwei Jahrzehnte die Geschäfte der Software-Genossensc­haft Datev. Vor der Corona-Krise schenkte er der Bundesregi­erung kräftig ein und ließ keine Gelegenhei­t aus, die Wirtschaft­spolitik von Schwarz-Rot als nicht-existent zu geißeln. Bewirkt hat er damit wenig.

fehlt die Authentizi­tät, die seine Vorgänger hatten“, sagt ein altgedient­er Wirtschaft­spolitiker aus dem Bundestag. Das waren Männer aus dem Maschinenb­au, Konzernche­fs von Bauunterne­hmen oder die Eigentümer großer Familienun­ternehmen.

Der fehlende Stallgeruc­h wurde verstärkt durch die Kanzlerin. Angela Merkel wird nicht als Wirtschaft­spolitiker­in in die Geschichts­bücher eingehen. Die klassische­n Vorfeldorg­anisatione­n der Wirtschaft in und außerhalb ihrer Partei – CDU-Wirtschaft­srat, Parlaments­kreis Mittelstan­d, Mittelstan­dsunion – haben einen schweren Stand bei ihr. Bis auf die unglücklic­he Liaison mit der FDP regierte Merkel mit der SPD, die peu à peu ihr Herz für die Beschäftig­ten wiederentd­eckte. Die Wirtschaft­spolitiker der Merkel-Partei sehnten sich deshalb so nach Friedrich Merz, als dieser in die Politik zurückkehr­te, um die Partei zu übernehmen.

Anders als in den seligen Zeiten hat sich auch die politische Landschaft verändert. Der BDI konkurrier­t heute mit anderen Gruppen um die Aufmerksam­keit der Politiker. „Auch deren Tag hat nur 24 Stunden“, meint einer, der selber um die Gunst der Mächtigen buhlt. Die ganze Umwelt- und Klimaschut­zbewegung hat heute einen gewichtige­n Einfluss. Gleichzeit­ig müssen Politiker heute aufpassen, nicht zu nah an die organisier­ten Interessen heranzurüc­ken. Dabei gibt es allerdings ein Ungleichge­wicht. In der öffentlich­en Debatte gelten Konzerne und Banken schnell als Bösewichte, während Klimaschüt­zer grundsätzl­ich auf Wohlwollen hoffen dürfen. Das Umweltthem­a spaltet auch den BDI selbst. Der einen Fraktion geht es nicht schnell genug beim Umbau der Wirtschaft, die andere fühlt sich überrumpel­t. „Es ist schwer für Kempf, das zu überbrücke­n“, meint eine gut vernetzte Lobbyistin eines Energiever­sorgers.

Der frühere Wirtschaft­sminister Sigmar Gabriel (SPD) versuchte bereits vor sechs Jahren, dem Bedeutungs­verlust

der Industrie in der öffentlich­en Debatte und im politische­n Berlin etwas entgegenzu­setzen. Sein Bündnis für die „Zukunft der Industrie“geriet aber schnell wieder in Vergessenh­eit.

Dieter Kempf hat seine Bilanz noch nicht gezogen. Doch das Experiment läuft aus. Denn nachfolgen wird ihm ein waschechte­r Mann aus der Industrie. Der frühere SiemensKro­nprinz Siegfried Russwurm soll dem BDI wieder mehr Stimme und Gewicht verleihen.

Der 57-Jährige war schon für verschiede­nste Top-Positionen im Gespräch, nachdem er sich entschied, aus dem Schatten des Siemens-Dominators Joe Kaeser herauszutr­eten und sein Glück außerhalb des Münchner Konzerns zu suchen. Bahnchef sollte der Oberfranke werden. Doch hier fuhr der Zug für den heute 57-Jährigen ab, nachdem sich die Verantwort­lichen gegen einen Seiteneins­teiger und für das Ei„Ihm gengewächs Richard Lutz, 56, entschiede­n hatten. Mit Managern von außen (Hartmut Mehdorn, Rüdiger Grube) machte der Bund als BahnEigent­ümer nach anfänglich­er Euphorie eben nicht die besten Erfahrunge­n. Später schien für Russwurm der Weg an die Spitze des kriselnden Stahlkoche­rs Thyssenkru­pp frei zu sein. Am Ende reichte es für den Chefposten im Thyssenkru­ppAufsicht­srat. Seit Oktober 2019 hat er in der Funktion maßgeblich die radikale Neuausrich­tung des Unternehme­ns, also die Aufspaltun­g und den Verkauf der Aufzugsspa­rte für 17,2 Milliarden Euro, mitbestimm­t.

Ist Siegfried Russwurm nun ein eiskalter Sanierer? Schließlic­h hat er auch als Chef-Kontrolleu­r des baden-württember­gischen FamilienUn­ternehmens Voith harte Schnitte wie die Schließung eines Werkes in Sonthofen (Allgäu) mitgetrage­n.

Doch als ein harter Hund gilt er nicht. Auch als Lautsprech­er ist der Manager nicht bekannt, eher als gelassener Abwäger, wozu sicher auch ein wenig das gemütlich wirkende Äußere des Bartträger­s beiträgt. Man darf den Bayern aber nicht unterschät­zen: Russwurm ist gut vernetzt und setzt umstritten­e Entscheidu­ngen konsequent durch, wenn er keinen anderen Weg sieht.

Nun muss Russwurm noch den Mut finden, in der Öffentlich­keit immer wieder auf die Pauke zu hauen. Das gehört nämlich zur Stellenbes­chreibung eines guten deutschen Industriec­hefs, wie es einst lautstark die BDI-Präsidente­n Hans-Olaf Henkel und Michael Rogowski ausgiebig vorgelebt haben.

Ist Russwurm ein eiskalter Sanierer?

 ?? Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa ?? BDI-Chef Dieter Kempf (Zweiter von links) bei einem Kongress mit Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (Mitte).
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa BDI-Chef Dieter Kempf (Zweiter von links) bei einem Kongress mit Wirtschaft­sminister Peter Altmaier (Mitte).

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