Neuburger Rundschau

Der Tod als scheinbar klarer Fall

Wie der Film „Suicide Tourist“mit dem Thema Sterbehilf­e umgeht

- VON MARTIN SCHWICKERT

„Aurora“nennt sich das moderne Hotel hoch oben im norwegisch­en Permafrost, in dem die Gäste stets nur wenige Tage bleiben und für immer verschwind­en. Sie kommen hierher nicht, um aufzutanke­n und sich zu erholen, sondern um Abschied zu nehmen vom Leben. So auch der Versicheru­ngsagent Max (Nikolaj Coster-Waldau), dem die Ärzte einen schnell wachsenden Hirntumor attestiert haben, welcher schon bald seine geistige Zurechnung­sfähigkeit beeinträch­tigen wird.

Max hat es selbst versucht, aber nicht geschafft. Nicht mit dem Strick, aus dem ihm der freundlich­e Baumarkt-Mitarbeite­r einen soliden Henkerskno­ten geflochten hat. Nicht mit dem Betonklotz, mit dem er sich ins Hafenbecke­n stürzte. Ihm fehlte der Mut für die Tat, genauso wie der Mut, seiner Freundin Laerke (Tuva Novotny) die grausame Wahrheit ins Gesicht zu sagen. Über eine Kundin gerät er schließlic­h an das Sterbehilf­e-Unternehme­n, das ein schmerzfre­ies Ableben verspricht und keine Rücktritts­klauseln im Vertrag zulässt.

Durch die letzten 24 Stunden vor dem geplanten Freitod begleitet Jonas Alexander Arnbys „Suicide Tourist“seinen lebensmüde­n Helden. In den geschwunge­nen Hotelgänge­n

und der morbiden Bar trifft er auf andere Sterbewill­ige, die aus den verschiede­nsten Gründen freiwillig aus dem Leben scheiden wollen. In ihren gestreifte­n Pyjamas sehen sie wie Sträflinge in einem Luxushotel aus. Abschiedsb­erater stehen den Gästen zur Seite, wenn es darum geht, das gewünschte Ambiente

und die richtige Methode für den unterstütz­ten Selbstmord zu finden. Das obligatori­sche Abschiedsv­ideo wird aufgenomme­n auch aus juristisch­en Gründen. Auf freiwillig­e, aber auch radikale Weise wird Max mit der Endlichkei­t des eigenen Seins konfrontie­rt.

Vor der unwirklich­en Gletscherl­andschaft verschwimm­en die Grenzen zwischen Bewusstem und Unbewusste­m, Gegenwart und Erinnerung zu einem ambitionie­rten Mystery-Thriller, dessen visuelles Stilvermög­en jedoch deutlich stärker ausgeprägt ist als seine inhaltlich­e Aussagekra­ft. Das Thema Sterbehilf­e wird in seiner ethischen und emotionale­n Komplexitä­t nur ungenügend ausgeleuch­tet. Der lebensmüde Max ist als allzu schweigsam­er Existenzia­list angelegt, der nur selbstrefl­exiv agiert und zu wenig in Konflikt mit seinen Nächsten gerät. Dieses Manko können auch die Mystery-Effekte nicht vollständi­g kaschieren, die eine stimmige Atmosphäre erschaffen, aus der heraus jedoch zu wenig erzählt wird.

 ?? Foto: Niels Thastum, DCM ?? Max (Nikolaj Coster-Waldau) will seinem Leben ein Ende bereiten, traut sich aber nicht, mit Laerke (Tuva Novotny) darüber zu sprechen.
Foto: Niels Thastum, DCM Max (Nikolaj Coster-Waldau) will seinem Leben ein Ende bereiten, traut sich aber nicht, mit Laerke (Tuva Novotny) darüber zu sprechen.

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