Vergelt’s Gott!
Mit Gänseblümchenromantik habe ich nichts am Hut. Mein Blick auf die Menschheit und auf gesellschaftliche Entwicklungen in lokalem wie globalem Rahmen ist vielmehr von einer gesunden Skepsis oder, neutraler formuliert, von Realitätssinn geprägt. Gesprächspartner verunglimpfen das gerne als Pessimismus, worauf ich regelmäßig den deutschen Dramatiker Heiner Müller zitiere, dem einst der wunderbare Satz „Optimismus ist nur ein Mangel an Information“gelungen ist.
Umso positiver reagiere ich natürlich, wenn irgendetwas besser läuft als vermutet. Dabei begann die Episode, von der hier die Rede ist, denkbar schlecht. Mir widerfuhr nämlich die Peinlichkeit, auf dem relativ kurzen Weg von meinem Büro zur Apotheke ein Rezept zu verschludern. Nun ist das für sich genommen ein vergleichsweise geringer Schaden, aber Sie kennen das vermutlich: Man zweifelt in derartigen Momenten schon mal kurz an seiner Geisteskraft. Aber ich möchte mich hier nicht übermäßig kasteien. Und die Pointe folgt ja noch. Während ich mir also, wieder am Schreibtisch sitzend, das Hirn zermarterte, klingelte das Telefon. Am anrufenden Ende erklang die Stimme der holden Gattin. Die aus ihrer Warte durchaus berechtigte Frage lautete: „Was macht denn das Rezept bei uns im Briefkasten?“
Die Worte lösten in mir zwei Reaktionen aus. Erstens Erleichterung. Kein erneuter Weg zum Arzt, keine Diskussionen, keine Zeitverzögerung. Und zweitens Dankbarkeit. Ein Finder hätte ja alles Mögliche mit dem Rezept anfangen können. Es einfach liegen lassen, zum Beispiel. Oder es im nächsten Mülleimer versenken. Oder es in der nächstgelegenen Apotheke abgeben. Aber das Stückchen Papier dem unmittelbar Betroffenen hinterhertragen und in seinen Postkasten werfen? Für den Finder mag das eine Selbstverständlichkeit gewesen sein. Doch hätte ich das auch getan? Echt jetzt?
Dem Finder gebührt mein tief empfundener Respekt. Und ein herzliches Vergelt’s Gott!
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