Freiheitsdrang und Herrschaftswille
Von Kolumbus zu den Pilgern der Mayflower, von der Unabhängigkeit zur Freiheitsstatue und dem Massaker von Wounded Knee: eine kleine Kulturgeschichte der USA / Von Wolfgang Schütz
Die Pilgerväter
Es ist eigentlich ein großes Jubiläumsjahr in den USA. Denn am 16. September vor 400 Jahren legte im englischen Plymouth ab und am 21. November 1620 in der „Neuen Welt“an: die legendäre „Mayflower“. In Cape Cod statt wie beabsichtigt in Virginia, das Wetter … An Bord aber jedenfalls waren jene puritanischen Siedler aus Mittelengland, die man bis heute „Pilgerväter“nennt. Und im Gepäck, so will es die große Freiheitslegende, unter anderem ein christlich-demokratisches Wertesystem von Gleichheit und Brüderlichkeit. Das sollte freilich nur für die Menschen gelten, die man auch als seinesgleichen anzusehen geneigt war, an die importierten Sklaven oder die verdrängten Ureinwohner war dabei nicht gedacht. Damit schlug diese Überfahrt von 102 Passagieren plus 31 Mann Besatzung auch eine historische Brücke. Denn nicht nur der Freiheitswille der späteren Unabhängigkeitserklärung ist hier eingewandert, um sich später gegen die vormalige Heimat zu wenden – auch ein Bezug zurück zu Kolumbus ist noch ohne Weiteres zu knüpfen (siehe unten).
Indien?
Auch wenn zweierlei verwirrend sein kann: 1. Bis zu seinem Tod (1506) blieb Christoph Kolumbus der Überzeugung, die Ostküste von Indien (für ihn „las Indias“) erreicht zu haben (und damit „Indians“begegnet zu sein, Indianern), als er 1492 von Spanien aus aufgebrochen war. 2. Er hat weder bei dieser noch bei seinen folgenden drei Reisen je das Territorium der späteren USA betreten, die etwa 1992 das 500-jährige Jubiläum ihrer „Entdeckung“feierten: Kolumbus war in Mittelamerika unterwegs – und auch der Norden war längst von Menschen besiedelt, weshalb man beim Jubiläum nach Protesten dann offiziell auch auf „Begegnung“umschwenkte … Aber was eindeutig bleibt, war die Überzeugung: Die Menschen, auf die der Entdecker/Eroberer stieß, waren für ihn als Gesandten einer europäischen Krone selbstverständlich künftige Untertanen. Bereits bei ersten Landverteilungen wurden Siedlern Indios zugeteilt. Ob man diese nun als lebenslange Zwangsarbeiter oder gleich als Sklaven bezeichnen will, sie waren jedenfalls praktisch ihr Besitz.
Die Geburt einer Nation?
Noch heute ist Hollywood die weltweite US-ImageMaschine. Und was war Stoff des ersten großen Epos der Filmtraumfabrik und das finanziell erfolgreichste Werk der Stummfilmzeit? Der dreistündige Historienstreifen „The Birth of a Nation“(1915), Geburt einer Nation. Technisch ist das Werk von David Wark Griffith ein Meisterwerk – inhaltlich Gift. Rassistische Propaganda für die weiße Vorherrschaft („White Supremacy“) samt christlicher Erlösungserzählung (siehe Pilgrims). In der gesegneten Vereinigung der Weißen aus Nord- und Südstaaten erstehen die wahren USA, eine Wiederbelebung für den Ku-Klux-Klan, auf dem Plakat zu sehen (links unten). Schwarze Regisseure versuchten in der Folge mit eigenen Werken gegenzuhalten („The Birth of a Race“, „Within Our Gates“) – aber erst gab Nate Parker unter gleichem Titel zurück: „The Birth of a Nation – Aufstand zur Freiheit“erzählte vom Anführer eines Sklavenaufstands, Nat Turner, dessen tatsächliches Erhängen 1831 auf dem Plakat mit der US-Flagge geschieht (unten rechts).
Innere und äußere Freiheit
Ein deutscher Regisseur hat dem US-Kino den größten Patriotismus-Fetzen verpasst: Roland Emmerich mit „Independance Day“, 1996. Technisch meisterlich (siehe oben) mit dem Angriff Außerirdischer – inhaltlich aber eindimensional samt Stars wie Will Smith, Jeff Goldblum und einem als Präsident volltönenden Bill Pullman (unten rechts). Ausgerechnet Tom Cruise (unten links) beleuchtete da in einer charakterstarken Hauptrolle die andere Seite: statt äußerer Gefahr die innere. Oliver Stones „Geboren am 4. Juli“(1989) erzählt von Ron Kovic, der tatsächlich heute Geburtstag hat und jetzt 74 wird. Freiwillig und überzeugt zog er damals in den Vietnamkrieg, kehrte aus dem zweiten Einsatz von der Brust abwärts gelähmt heim – und wurde Friedensaktivist. Auch hier entfaltet sich USPathos. Aber selbst mit Tom Cruise wirkt hier eine für amerikanische Verhältnisse schockierende Widersprüchlichkeit: Als nicht nur Hippies, sondern auch Soldaten gegen den Krieg … – was ist wahrer Patriotismus? Auch danach fragt der Unabhängigkeitstag …
Die Erklärung
Es war Krieg, seit 1775, und bis 1783 sollte er dauern – aber das Historische geschah bereits nach einem Jahr: Die 13 Kolonien der „Neuen Welt“, die sich hier gegen das Steuer erhebende Mutterland erhoben, erklärten am 4. Juli 1776 in Philadelphia ihre Unabhängigkeit. Bis heute wirkmächtig steht in der Präambel: „Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen worden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt worden, worunter sind Leben, Freiheit und das Bestreben nach Glückseligkeit. Dass zur Versicherung dieser Rechte Regierungen unter den Menschen eingeführt worden sind, welche ihre gerechte Gewalt von der Einwilligung der Regierten herleiten; dass sobald einige Regierungsform diesen Endzwecken verderblich wird, es das Recht des Volks ist, sie zu verändern oder abzuschaffen, und eine neue Regierung einzusetzen, die auf solche Grundsätze gegründet, und deren Macht und Gewalt solchergestalt gebildet wird, als ihnen zur Erhaltung ihrer Sicherheit und Glückseligkeit am schicklichsten zu sein dünkt…“
Stars & Stripes
Ob es wirklich Betsy Ross war? Von Beruf war die Kriegerwitwe jedenfalls Fahnennäherin. Und was natürlich nicht bleiben durfte: Bei der Unabhängigkeitserklärung wehte der britische Union Jack über dem Kongressgebäude in Philadelphia. Am 14. Juni 1777 dann wird ein Banner zur offiziellen US-Flagge erklärt, das der Legende nach Betsy auf Auftrag des späteren Präsidenten George Washington hin gestaltet hat. Der Zweck im Krieg: Die Kontinentalarmee, eigentlich nur Milizen, durch ein Symbol ihrer gemeinsamen Identität zu einen. Es ward: Stars&Stripes, 13 rot-weiße Streifen und 13 Sterne (die Betsy, anders als bestellt, nicht sechs- oder sieben, sondern fünfzackig gemacht haben soll) für die 13 Gründungsstaaten. Die Hymne auf „The star-spangled Banner“schrieb der Anwalt Francis Scott Key am 13. September 1814, während ein britisches Kriegsschiff Baltimore bombardierte. Die Melodie stammt von einem Trinklied und erst 1931 wurde daraus die offizielle US-Hymne. 13 Streifen sind es bis heute, aber 50 Sterne für inzwischen 50 Staaten.
Das mahnende Geschenk
Es sollte ein Geschenk zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung sein, darum hält die ohne Sockel 46 Meter hohe Statue eine Tafel in der linken Hand: „JULY IV MDCCLXXVI“, 4. Juli 1776 also. Aber erst zehn Jahre später, zum 4. Juli 1886, wurde sie tatsächlich aus Frankreich geliefert und im Hafen von New York aufgestellt und eingeweiht: die Freiheitsstatue, die mit einem Fuß auf zerbrochenen Fesseln (der Sklaverei) steht und mit der Fackel in ihrer Rechten laut Namen (Liberty Enlightening the World) „die Welt erhellen“sollte. Bleibt das Werk hier symbolisch, auf der Tafel wird das Geschenk pädagogisch, mahnend festgehalten ist jedenfalls, wofür die USA zu stehen hätten: „Gebt mir eure Müden, eure Armen, / Eure geknechteten Massen, die frei zu atmen begehren, / Die bemitleidenswerten Abgelehnten eurer gedrängten Küsten; / Schickt sie mir, die Heimatlosen, vom Sturme Getriebenen, / Hoch halt’ ich mein Licht am gold’nen Tore! / Sende sie, die Heimatlosen, vom Sturm Gestoßenen zu mir. / Hoch halte ich meine Fackel am goldenen Tor.“
Die versteckte Wunde
Versteckt im Südwesten des Bundesstaates South Dakota liegt ein kleiner Friedhof, der, obwohl kaum markiert, ein großer Schandfleck Amerikas ist, verbunden mit dem Ortsnamen Wounded Knee. Am 29. Dezember 1890 tötete hier das amerikanische Heer etwa 200 Lakota-Indianer, Männer, Frauen, Kinder, ein Massaker – es gilt heute als Schlusspunkt des Genozids an den Ureinwohnern in ihren Prärien des amerikanischen Westens. Bereits zwei Wochen zuvor war der große Häuptling Sitting Bull als Gefährder beseitigt worden, ein legendärer, indianischer Freiheitskämpfer war entgegen seiner Kapitulationsvereinbarung seit Jahren eingekerkert: Geronimo. Auf dessen Name wiederum baut eine Brücke, die viel über die Widersprüchlichkeit der amerikanischen Geschichte aussagt. Denn Geronimo lautete auch das Codewort, das die US-Regierung für 9/11-Drahtzieher Osama bin Laden verwendete. Die Native American Journalist Assoziation schieb in einem Protest, ein passenderer Name für den Terroristen-Chef wäre „Kolumbus“gewesen.