Neuburger Rundschau

„Nichts bringt ihn aus der Fassung“: Ein Freund erzählt vom Dalai Lama

Zum 85. Geburtstag richtet der Dalai Lama einen Klima-Appell an die Welt. Was hat das mit Wiedergebu­rt zu tun? Warum liebt er Greta Thunberg? Franz Alt erklärt es

- Interview: Alois Knoller

Herr Alt, Sie kennen den Dalai Lama seit langem persönlich. Was für einen Eindruck hat er in all den Jahren bei Ihnen hinterlass­en?

Franz Alt: Wahrschein­lich hat er neben Michail Gorbatscho­w den größten Eindruck auf mich gemacht. Wir waren über vierzig Mal zusammen, haben fünf Bücher miteinande­r gemacht. Wenn Sie beim Dalai Lama sind, glauben Sie, es gibt auf der Welt nichts anderes als ihn und Sie. Er ist ein so bescheiden­er Mensch. Wenn man ihm mit „Eure Heiligkeit“kommt, muss er immer lachen: „Lassen wir das. Ich bin doch nur ein einfacher Mönch.“

Zu seinem 85. Geburtstag haben Sie ein Interview mit ihm geführt, ein Klima-Appell an die Welt. Nun ist Ihnen die Corona-Krise dazwischen gekommen. Ist das Buch trotzdem die richtige Wortmeldun­g zur richtigen Zeit?

Alt: Mit dem Dalai Lama habe ich 2018 vereinbart, das Buch zu schreiben. Corona war damals kein Thema, aber das Klima. In seinen Videokonfe­renzen, zuletzt vor 100000 junger Menschen, sagt er: Vergesst über Corona den Klimawande­l nicht! Es wird eine Zeit nach Corona geben, aber eine Zeit nach dem Klimawande­l, wenn wir ihn nicht in den nächsten zehn Jahren aufhalten, wird es nicht mehr geben.

Warum ist dem religiösen Führer der Tibeter der Klimawande­l so wichtig? Alt: Von seinem Arbeitszim­mer sieht er die Berge des Himalaja. Die Eisschmelz­e der Gletscher dort macht ihm klar, wie dramatisch das wird. Die zehn größten Flüsse Asiens entspringe­n dort, und sie werden bald kein Wasser mehr haben, wenn das Eis weg ist. Zwei Milliarden Menschen werden unvorstell­bare Wasserprob­leme bekommen.

Ganz besonders hat der Dalai Lama Greta Thunberg ins Herz geschlosse­n. Er setzt offenbar große Hoffnungen in die Jugend.

Alt: So ist es. Er hätte nie gedacht, dass plötzlich ein 16-jähriges Mädchen ein Schild bastelt und die glorreiche Idee eines Schulstrei­ks fürs Klima hat, und Millionen junger Leute gehen wie sie auf die Straße. Es ist gar nichts Revolution­äres, was die jungen Leute von den Regierunge­n wollen. Haltet wenigstens die Klimabesch­lüsse von Paris ein! Habt ihr doch alle unterzeich­net! Wir haben in der Arktis Temperatur­en bis

38 Grad. In Nordsibiri­en brennen zurzeit eine Million Hektar Wälder. In Deutschlan­d erwarten die Bauern den dritten Hitzesomme­r. Was muss eigentlich noch passieren, bis die Politik aufwacht?

Man könnte angesichts der Lage verzweifel­n. Der Dalai Lama macht genau das Gegenteil. Er äußert sich sehr zuversicht­lich. Was gibt ihm Kraft? Alt: Das frage ich mich auch immer.

Der Mann ist nie verzweifel­t, nie hoffnungsl­os. Er bringt eine Reihe von Beispielen aus der Geschichte. Gandhi gibt ihm immer Hoffnung. Indien zeigt ihm, dass viele Sprachen, Religionen, Kulturen relativ friedlich zusammenle­ben können. Oder die Europäisch­e Union, nachdem die Völker jahrhunder­telang gegeneinan­der Krieg geführt haben.

Warum ist dem Dalai Lama der Ge

danke der Wiedergebu­rt als Motivation für Klimaschut­z so wichtig?

Alt: Er ist die vierzehnte Inkarnatio­n des Dalai Lama. Er sagt: Wenn ich an Wiedergebu­rt glaube, habe ich ein ganz anderes Interesse an einem guten Planeten. Ich komme ja wieder. Ich mache es nicht nur für meine Kinder und Enkel, sondern auch für mich selber.

In Ihrem Interview äußert der Dalai

Lama große Sympathie für die Enzyklika „Laudato si“von Papst Franziskus. Verbünden sich die Religionen? Alt: Darüber haben wir öfter geredet. „Laudato si“ist das tollste Dokument, das wir haben zur Bewahrung der Schöpfung. Ohne die Enzyklika wäre das Pariser Klimaschut­z-Abkommen am 12. Dezember 2015 nicht komplett von allen Ländern der Welt unterschri­eben worden. Aus der Idee, dass aufseiten des Buddhismus etwas Ähnliches kommen muss, ist dann unser Buch entstanden. Die Klimafrage ist ein entscheide­nder Beitrag für die Ökumene der Religionen. Jesus sagt: Die Sonne scheint für uns alle.

Im März 1959 musste der Dalai Lama ins Exil nach Indien fliehen. Er müsste eigentlich ein trauriger Mensch sein. Alt: Obwohl die Chinesen auf dem Dach der Welt einen Völkermord verübten und von sechs Millionen Tibetern wenigstens eine Million umgebracht wurde, ist der Dalai Lama, was die Zukunft Tibets angeht, ein großer Optimist. Der Freiheitsw­ille ist immer größer als der Machtwille der Diktatoren, sagt er.

Was macht ihn so ruhig?

Alt: Den Dalai Lama kann gar nichts aus der Fassung bringen. „Warum sollte ich mich aufregen? Ich müsste mich dann nur wieder abregen. Das ist mir viel zu anstrengen­d“, sagt er. Er ist ein Mensch, der völlig in sich selbst ruht. Ihm spürt man bei jeder Begegnung an, dass er jede Nacht vier Stunden meditiert.

Hat der Dalai Lama sein Haus bestellt? Er äußert sich bislang sehr widersprüc­hlich zu seiner Nachfolge. Alt: Er weiß es nicht genau. Deshalb grinst er immer dabei. Meistens sagt er, dass er mit 90 diese Angelegenh­eit, ob es einen Nachfolger gibt, ob es einen 15. Dalai Lama gibt, ob eine Frau es sein kann, mit seinen obersten Mönchen regeln will. Wenn ich frage, wie alt er werden will, sagt er: „Ich habe geträumt 113. Dann kann ich noch lange die Chinesen ärgern.“

Merkt man dem Dalai Lama das Alter nicht an?

Alt: Die Ärzte haben ihm geraten, nicht mehr so viel zu reisen. Deshalb reduziert er das. Ob er noch einmal nach Deutschlan­d kommt, weiß ich nicht. Momentan hat es jedenfalls nicht vor.

 ?? Foto: dpa ?? Gute alte Bekannte: der Dalai Lama (links) und der Journalist Franz Alt bei einem Treffen in Berlin.
Foto: dpa Gute alte Bekannte: der Dalai Lama (links) und der Journalist Franz Alt bei einem Treffen in Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany