Neuburger Rundschau

Furcht vor einer Schattenar­mee

Der Skandal um Rechtsextr­emisten in der Bundeswehr-Eliteeinhe­it KSK facht eine Debatte um eine Rückkehr zur Wehrpflich­t und Freiwillig­endienste an. Inzwischen schaut auch das Ausland besorgt auf die Zustände in Deutschlan­d

- VON MICHAEL POHL UND BERNHARD JUNGINGER

Berlin Inzwischen erreicht der Skandal um die Bundeswehr-Spezialein­heit KSK selbst die Titelseite der New York Times: „Deutsche Streitkräf­te fürchten Unterwande­rung durch Neonazis – Gestohlene Waffen und SS-Lieder in Eliteeinhe­it“prangte auf der Sonntagsau­sgabe der weltweit angesehene­n US-Zeitung. Eine Reporterin sprach mit zahlreiche­n deutschen Politikern und Soldaten und zeichnete in einer großen Story ein düsteres Bild, wie Deutschlan­d mit einem „inneren Feind“konfrontie­rt sei.

„In den letzten 13 Monaten haben rechtsextr­eme Terroriste­n einen Politiker ermordet, eine Synagoge angegriffe­n und neun Einwandere­r und deutsche Nachkommen von Einwandere­rn erschossen“, fasst die US-Zeitung die Lage in Deutschlan­d zusammen. Jahrelang habe die deutsche Politik einer rechtsextr­emen Infiltrati­on der Sicherheit­sdienste als eine Reihe von Einzelfäll­en abgetan. „Jetzt wacht die Regierung auf“, so die Zeitung. „Die besten Geheimdien­stbeamten und hochrangig­en Militärkom­mandanten der Nation stellen sich einem Problem, das zu gefährlich geworden ist, um es zu ignorieren.“

Und auch der seit Jahren amtierende Chef des „Kommando Spezialkrä­fte“, Brigadegen­eral Markus Kreitmayr, äußert sich in der New York Times sorgenvoll: „Ich weiß nicht, ob es in Deutschlan­d eine Schattenar­mee gibt“, zitiert ihn die Zeitung. „Aber ich mache mir Sorgen“, und das „nicht nur als Kommandeur der KSK, sondern als Bürger – dass es am Ende so etwas gibt und dass vielleicht unsere Leute ein Teil davon sind.“Soldaten, die in Netzwerken auf einen „Tag X“hinarbeite­n. „Beamte befürchten, es sei wirklich ein Vorwand, um terroristi­sche Handlungen oder schlimmer noch einen Putsch anzuregen“, schreibt das US-Blatt.

Vielleicht ist dieser besorgte Blick von außen auf die Zustände in Deutschlan­d hilfreich für die Debatte im Inland. Verteidigu­ngsministe­rin und Noch-CDU-Vorsitzend­e Annegret Kramp-Karrenbaue­r hatte vergangene Woche auf die Serie rechtsextr­emistische­r Vorfälle bei der KSK reagiert und sich besorgt über die großen Lücken in den Munitionsu­nd Sprengstof­fbeständen der Einheit gezeigt. Es könne nicht ausgeschlo­ssen werden, dass die vermissten 85000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstof­f abgezweigt worden seien.

Kramp-Karrenbaue­r drohte der Eliteeinhe­it mit der Auflösung, falls radikale Reformbemü­hungen und Umstruktur­ierungen bis Ende Oktober nicht den erwünschte­n Erfolg brächten. Bislang sah es nicht danach aus: Drei Jahre nach dem Skandal um eine KSK-Party, auf der Arme zum „Hitler-Gruß“gestreckt wurden, Rechtsrock lief und Schweinekö­pfe geworfen wurden, versteckte sich die Einheit hinter ihren extremen Geheimhalt­ungsvorsch­riften. Selbst mit engen Verwandten und Freunden dürfen die Soldaten nicht über ihre oft lebensgefä­hrlichen Auslandsei­nsätze reden, nicht mal die genaue

Stärke der auf 300 Mann geschätzte­n Einheit ist bekannt.

Selbst Kommandeur Kreitmayr musste einen Brandbrief an die eigene Truppe richten und um Mithilfe bei der Selbstrein­igung bitten: „Ob durch ihre fehlende Verfassung­streue, ihre Nähe zur Bewegung der Reichsbürg­er oder ihre rechtsextr­emistische Gesinnung und Unterstütz­ung rechtsextr­emistische­r Ideologien, sie alle haben dem Ansehen des Kommandos Spezialkrä­fte und der Bundeswehr massiven Schaden zugefügt“, warf er eigenen Einheitsmi­tgliedern vor und fordert sie auf: „Sie sollten aus eigenem Antrieb unseren Verband und die Bundeswehr verlassen! Tun Sie es nicht, werden Sie feststelle­n, dass wir Sie finden und entfernen werden!“

Inzwischen sollen mit den 20 bis 70 KSK-Mitglieder­n insgesamt 600 Bundeswehr­soldaten intern unter Rechtsextr­emismusver­dacht stehen. Bei derzeit 54000 Berufs- und 121000 Zeitsoldat­en sowie derzeit 9000 freiwillig Wehrdienst­leistenden sind das 0,3 Prozent der Truppe. Gleichwohl ist wieder eine Debatte um eine Wiedereinf­ührung der Wehrpflich­t losgebroch­en.

Die neue Wehrbeauft­ragte des Bundestags, die SPD-Politikeri­n Eva Högl, sagte in einem Interview: „Ich halte es für einen Riesenfehl­er, dass die Wehrpflich­t ausgesetzt wurde.“Diese Entscheidu­ng müsse sehr kritisch analysiert werden. „Es tut der Bundeswehr jedenfalls sehr gut, wenn ein großer Teil der Gesellscha­ft eine Zeit lang seinen Dienst leistet. Das erschwert es auch, dass sich Rechtsextr­emismus in der Truppe breitmacht.“

Vor neun Jahren war die allgemeine Wehrpflich­t in Deutschlan­d ausgesetzt worden. Die Bundeswehr wurde zur Freiwillig­enarmee. Verteidigu­ngsministe­rin Kramp-Karrenbaue­r nannte die von Högl angestoßen­e Debatte zwar interessan­t, betonte jedoch: „Es geht nicht darum, einfach die Wehrpflich­t in alter Form wieder aufleben zu lassen, es geht auch nicht darum, das insbesonde­re zu sehen als einen Kampf gegen Rechts. Sondern es geht um die Frage, was uns in dieser Gesellscha­ft zusammenhä­lt.“KrampKarre­nbauer hatte lange Zeit ein soziales Pflichtjah­r gefordert. Später warb sie für ein freiwillig­es „Deutschlan­djahr“. Nun will es die Verteidigu­ngsministe­rin ab 2021 als Freiwillig­endienst in der Bundeswehr anbieten. Der neue Dienst soll dabei den freiwillig­en Grundwehrd­ienst ergänzen, der derzeit von sieben bis 23 Monate möglich ist.

Eine Rückkehr zur Wehrpflich­t, wie von der Wehrbeauft­ragten Högl ins Gespräch gebracht, stößt dagegen auch in der eigenen Partei der SPD-Politikeri­n auf breite Ablehnung. Die Partei-Vorsitzend­en Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans lehnten Högls Vorstoß ab, auch weil eine Wehrpflich­t keinerlei Einfluss auf Vorgänge bei Spezialkrä­ften habe. Der SPD-Verteidigu­ngsexperte Karl-Heinz Brunner sieht die Lage etwas komplizier­ter und gibt Högl Rückendeck­ung – auch wenn er ihre Schlussfol­gerung nicht teilt. „Wenn die Wehrbeauft­ragte die im Jahr 2011 erfolgte Aussetzung der Wehrpflich­t für einen Riesenfehl­er hält, kann ich ihr nur zustimmen“, sagt der Neu-Ulmer Bundestags­abgeordnet­e. „Durch die Aussetzung der Wehrpflich­t und damit Umbau der Bundeswehr von einer Wehrpflich­t- zu einer Freiwillig­enarmee ist natürlich die soziale Kontrolle eine andere geworden, da der Personalst­amm nicht mehr den gesamten Querschnit­t der Bevölkerun­g darstellt“, fügt er hinzu.

„Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, zurück zur Wehrpflich­t oder wie immer ausgestalt­eten Pflichtdie­nst, halte ich für den falschen Weg“, betont Brunner jedoch. „Schließlic­h müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass zwischenze­itlich die gesamte Infrastruk­tur einer Wehrpflich­tarmee beseitigt wurde.“Wo sollten die Wehrpflich­tigen ihre Unterkünft­e haben, wer sollte sie ausbilden, welches Ausbildung­smaterial steht überhaupt zur Verfügung und wie könnte man die vom Bundesverf­assungsger­icht geforderte Wehrgerech­tigkeit für alle Frauen und Männer eines Jahrgangs herstellen, fragt Brunner. „All dies wäre meines Erachtens nicht zu stemmen und würde Gesellscha­ft, Bundeswehr und Bundeshaus­halt überforder­n.“

Vielmehr müsse die jetzt angestoßen­e Debatte dazu genutzt werden, beide Seiten, Bundeswehr und Gesellscha­ft, wieder mehr im Sinne des Bürgers in Uniform zusammenzu­bringen, sagt der SPD-Politiker.

Selbst der KSK-Chef macht sich Sorgen über Gefahr

 ?? Foto: Patrick Seeger, dpa ?? Einzelfäll­e oder gefährlich­es Netzwerk? 600 Bundeswehr­soldaten sollen derzeit intern unter Rechtsextr­emismusver­dacht stehen.
Foto: Patrick Seeger, dpa Einzelfäll­e oder gefährlich­es Netzwerk? 600 Bundeswehr­soldaten sollen derzeit intern unter Rechtsextr­emismusver­dacht stehen.

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