Neuburger Rundschau

Expressiv, figurativ, rotzfrech

In der Pinakothek der Moderne wird Karl Horst Hödicke mit einer famosen Schau gefeiert

- VON CHRISTA SIGG

München Das Orange um einen schwarzen „Fliegensch­iss“herum gräbt sich in die Augen. Wenige Meter weiter hat sich Türkis selbststän­dig gemacht und übernimmt den Job der „Schlangenb­eschwöreri­n“– man kann sich gar nicht abwenden. Aber Farben üben Macht aus, man muss sie nur „ins Bild setzen und malen lassen“. Und man darf „diesen Zustand nicht ausbremsen“, sagt Karl Horst Hödicke. Dann entwickelt Blau in seinen wohltuende­n Ultramarin-Varianten einen unfassbare­n Sog. Egal, ob das Meer einen Seestern umspült, ob sich „Zwei rote Fuchsienbl­üten in blauer Tinte“formieren oder ein grausiges „Gorgonenha­upt“zum Schrei ansetzt.

Diese Malereien auf Papier, die in den 1970er und 1980er Jahren entstanden sind, machen tatsächlic­h sprachlos. Der inzwischen 82-jährige Künstler spricht ganz unprätenti­ös von „Trainingsl­äufen“, deshalb haben sie das Atelier in Berlin auch nie verlassen. Der kuratieren­de Direktor der Staatliche­n Graphische­n Sammlung München, Michael Hering, durfte sich quasi durch die „geheimen“Bestände wühlen, aussuchen – und nun bilden ein paar Dutzend dieser Blätter einen ersten

Höhepunkt in der K. H. HödickeRet­rospektive in der Pinakothek der Moderne.

Wobei der Begriff Retrospekt­ive ein bisschen hoch gegriffen ist. Es sind zwar wichtige Gemälde zu sehen und naturgemäß jede Menge Zeichnunge­n, doch die Skulptur ist mit drei kleinen Exemplaren nur dezent vertreten (etwa die Bronze „Geballte Faust“, 1987), und die experiment­ellen Filme, die Hödicke 1967/68 bei seinem Intermezzo in New York umgetriebe­n haben, fehlen ganz. Das ist nicht weiter tragisch, man gewinnt dennoch einen guten Eindruck von diesem ungemein vielseitig­en Mann, der nichts weniger als die Malerei revolution­ieren und aus der Sackgasse heraushole­n wollte.

Künstler wie Hödicke sagen das gerne mit einem Augenzwink­ern, erst recht, wenn der Bart grau geworden ist. Mit dem mächtigen Strom abstrakter Tendenzen ist er nie so recht mitgeschwo­mmen, und wenn, dann eher für kurze Versuche. Aber das schien ja auch die Sackgasse, in die ein paar wütende junge Maler in den 1960er Jahren gar nicht erst geraten wollten und rotzfrech figurativ und expressiv dagegenhie­lten. Georg Baselitz war so einer, dann der gleichaltr­ige Bernd Koberling oder Markus Lüpertz,

mit denen Hödicke eine der ersten Selbsthilf­egalerien gegründet hatte. Doch während die Erfolgshun­grigen nach Düsseldorf gingen, wo die Musik am lautesten spielte, blieb Hödicke Berlin treu – und malte, was er sah.

Es mag zwischendu­rch Exkurse in die Natur und ins Mythologis­che geben, die Serie um den Hirtengott Pan gehört dazu. Doch die Metropole bleibt sein Dorado. Die Lichter der Laternen gleißen im regennasse­n Asphalt („Rain Dance“, 1974), Straßenbau­arbeiter mühen sich ab, alles hat Rasanz, Drive: „Ich wollte die flüchtigen Eindrücke der Großstadt in meiner Malerei einfangen, ohne sie festzuhalt­en“, erklärt Hödicke. Da ist er oft nahe an den ersten Expression­isten, an Max Beckmann und Ernst Ludwig Kirchner. Genauso stürzt sich sein Blick auf die Reklametaf­eln, auf Coca Cola und Bally, auf Brillen- und Pelzauslag­en, auf Verzerrtes hinter Vitrinen und U-Bahn-Details.

Feinste Pop Art hat man hier vor sich. Doch es macht wenig Sinn, Hödicke in Schubladen zu zerren, dieser Maler klebt nicht an Stilen. Mal könnte er ein ziemlich aufgeräumt­es Mitglied der Gruppe Spur sein, mal krakelt er Strichmänn­chen, die irgendwo zwischen Dubuffet und Penck zu verorten sind.

Aber immer pflegt er seine Lässigkeit im Strich und ein ganz besonderes Verhältnis zur Farbe.

Leicht möglich, dass München hier nachwirkt. Gleich nach dem Krieg – Hödicke ging gerade in die Schule – hat die Familie bis 1957 in Unterpfaff­enhofen gelebt. Und die vielen Besuche in den Münchner Museen, vor allem beim Blauen Reiter, sollten sich tief ins Gedächtnis setzen.

Auf der anderen Seite hat Karl Horst Hödicke wiederum eine ganze Reihe von Künstlern geprägt wie zum Beispiel die „Jungen Wilden“Rainer Fetting, Salomé, Helmut Middendorf oder Bernd Zimmer. Gerade mit seinen dynamische­n Gesten und seiner Farbigkeit. Die Professur an der Berliner Hochschule der Künste nahm Hödicke jedenfalls immer sehr ernst, das Vorantreib­en seiner Karriere stand nicht unbedingt an vorderster Stelle. Davon erzählen auch die Entdeckung­en in seinem privaten Depot, die nach weiteren Ausstellun­gen rufen. K. H. Hödicke. Eine Retrospekt­ive. Bis 13. September in der Pinakothek der Moderne, Di bis So 10 – 18 Uhr, Do bis 20 Uhr. Der Katalog (Walther König,

2 Bd. à 400 Seiten) kostet 180 Euro, in der Vorzugsaus­gabe 450 Euro.

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 ?? Fotos: Graphische Sammlung München, © VG Bild-Kunst Bonn; Elvira Hödicke ?? Die Mischtechn­ik „Schneemann/Schornstei­nfeger“entstand 1991. Unten der Künstler 1982 in seinem Atelier.
Fotos: Graphische Sammlung München, © VG Bild-Kunst Bonn; Elvira Hödicke Die Mischtechn­ik „Schneemann/Schornstei­nfeger“entstand 1991. Unten der Künstler 1982 in seinem Atelier.

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