Badia: „Ich fühle mich als richtiger Bayer“
Die syrischen Flüchtlinge Badia Razzouk und Hussam Alsharbaji schrieben an der Neuburger Fach- und Berufsoberschule ihr Abitur. Erst seit fünf Jahren sprechen sie Deutsch. Was die jungen Männer nach der Schule planen
Neuburg Gut gelaunt und entspannt wirken Badia Razzouk aus Neuburg und Hussam Alsharbaji aus Ingolstadt an dem sonnigen Juninachmittag. Kein Wunder, sie haben vor zwei Wochen ihre letzten Abschlussprüfungen geschrieben und können sich jetzt endlich zurücklehnen. Seitdem hat der Sommer ihres Lebens begonnen. Die Temperaturen steigen, die Sonne scheint und das Pauken ist vorerst Geschichte. Die beiden jungen Männer haben an der Fach- und Berufsoberschule in Neuburg, kurz FOS/BOS, ihr Abitur geschrieben. Und das, obwohl sie erst seit fünf Jahren in Deutschland leben und Deutsch lernen. Mit K!ar.Text haben sie über ihre Flucht aus Syrien, die Abiturprüfungen und ihre Pläne für die Zukunft gesprochen.
Wenn sich der 23-jährige Hussam an seine Flucht aus der syrischen Hauptstadt Damaskus über die Türkei und dem Balkan nach Deutschland zurückerinnert, schaudert es ihn. „Ich bekomme heute noch Angst, um ehrlich zu sein“, sagt der junge Mann fast akzentfrei. Kaum 18 Jahre war er alt, als er sich alleine ohne Familie auf den weiten Weg nach Europa machte. Seine erste Bootsüberfahrt von der türkischen zur griechischen Küste scheiterte, er musste mehrere hundert Meter zurückschwimmen. Erst der zweite Versuch mit dem Schlauchboot gelang. „Ich bin vor der zweiten Fahrt mitten in der Nacht aufgewacht und habe am ganzen Körper gezittert.“Über zehn Kilo habe er während der Flucht abgenommen, erinnert sich Hussam. Heute ist er ein sportlicher junger Mann, der mehrmals die Woche ins Fitnessstudio geht und sogar an Wettbewerben teilnimmt. Stolz präsentiert er seinen trainierten Bizeps. „Ich wollte eigentlich Fitnesstrainer werden, aber da verdient man zu wenig“, sagt er ehrlich und lacht.
Sein Schulkollege Badia fährt gerne mit seinem Rad durch Neuburg oder schwimmt im Brandlbad. Aber auch Netflix und Shoppen zählen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen in der Freizeit. Wie Hussam lebt Badia seit knapp fünf Jahren in Deutschland, in Sicherheit. Fast zeitgleich brachen sie von dem durch Bürgerkrieg gebeutelten Land in Richtung Europa auf. Da der damals 15-jährige Badia von seinem Vater begleitet wurde, machte er sich nicht so viele Sorgen. Auf die Frage, ob er sich in seiner Wahlheimat Neuburg fremd fühle, antwortet er prompt: „Ich fühle mich als richtiger Bayer.“In der FOS/BOS haben sie neue Freunde, darunter viele Deutsche, gefunden, erzählen die beiden. Und auch die Lehrer hätten sie immer sehr unterstützt. Das sei aber nicht an allen Schulen so, weiß Hussam. Seine Schwester, die inzwischen nach Deutschland nachreisen durfte, erlebe an ihrer Schule in Ingolstadt immer wieder Anfeindungen, erzählt er.
Bereits in Syrien hatte Hussam seinen Schulabschluss in der Tasche. Dann kam der Bürgerkrieg und er stand in einem fremden Land ohne Sprachkenntnisse vor dem Nichts. An der Neuburger Fachoberschule besuchte er den Technikzweig und schrieb dort sein Fachabitur. Ab Herbst will er an der Technischen Hochschule Ingolstadt Informatik studieren. Die Zeit bis dahin nutzt er zum Jobben. „Ich werde für ein Restaurant arbeiten und Essen ausliefern“, sagt Hussam.
Badia hingegen will vorerst die Ergebnisse abwarten. Er besuchte die 13. Klasse der FOS und schrieb seine Allgemeine Hochschulreife. Im vergangenen Schuljahr machte er bereits das Fachabitur. Sein größter Traum sei es, Medizin zu studieren. Aber bisher habe er noch keine Bewerbungen verschickt.
238 Schüler traten an dem Beruflichen Schulzentrum heuer die Abiturprüfungen an. FOS-Direktorin Elisabeth Komeyer geht davon aus, dass sich ihre Schützlinge genauso gut schlugen wie der zurückliegende Jahrgang. 189 Jugendliche schrieben ihr Fachabitur, 49 strebten am Ende der 13. Klasse die Allgemeine Hochschulreife an. Zu ihnen gehörte auch Badia. Auf ihn ist die Schule besonders stolz, weil er mit null Deutschkenntnissen kam und in der integrativen Vorklasse fleißig gelernt hatte. „Ich stelle mir das sehr schwer vor“, sagt Schulleiterin Komeyer. Und meint dabei das Deutschabitur, denn nach nur fünf Jahren Deutschunterricht mussten Badia und Hussam die gleichen Aufgaben lösen wie ihre Klassenkameraden, die Deutsch als Muttersprache haben. In der mehrstündigen Prüfung verfasste Badia einen Aufsatz über kulturelle Aneignung. Hussam hingegen erörterte in seiner Prüfung die Verrohung der Debattenkultur in Deutschland – beides Aufgaben, die wohl selbst Muttersprachlern einiges abfordern würden.
Die hohe Zahl der Absolventen wird durch die Neuanmeldungen ausgeglichen, sodass die FOS zum Start des neuen Schuljahres im September wieder über 500 junge Leute besuchen werden. Zum Vergleich: Im Jahr 2002 waren es nur 70 Schüler. Seitdem hat sich die Neuburger Fachoberschule mit stabilen Schülerzahlen prächtig entwickelt. „Über den Weg der FOS freue ich mich sehr“, sagt die Studiendirektorin, die nach 18 Jahren nun in den Vorruhestand gehen wird. Für ihre Schule wünsche sie sich, dass möglichst viele junge Menschen hier eine Möglichkeit erhalten, sich weiterzubilden. Mitte Juli werden die Ergebnisse bekanntgegeben.