Neuburger Rundschau

Badia: „Ich fühle mich als richtiger Bayer“

Die syrischen Flüchtling­e Badia Razzouk und Hussam Alsharbaji schrieben an der Neuburger Fach- und Berufsober­schule ihr Abitur. Erst seit fünf Jahren sprechen sie Deutsch. Was die jungen Männer nach der Schule planen

- VON ANDREAS DENGLER

Neuburg Gut gelaunt und entspannt wirken Badia Razzouk aus Neuburg und Hussam Alsharbaji aus Ingolstadt an dem sonnigen Juninachmi­ttag. Kein Wunder, sie haben vor zwei Wochen ihre letzten Abschlussp­rüfungen geschriebe­n und können sich jetzt endlich zurücklehn­en. Seitdem hat der Sommer ihres Lebens begonnen. Die Temperatur­en steigen, die Sonne scheint und das Pauken ist vorerst Geschichte. Die beiden jungen Männer haben an der Fach- und Berufsober­schule in Neuburg, kurz FOS/BOS, ihr Abitur geschriebe­n. Und das, obwohl sie erst seit fünf Jahren in Deutschlan­d leben und Deutsch lernen. Mit K!ar.Text haben sie über ihre Flucht aus Syrien, die Abiturprüf­ungen und ihre Pläne für die Zukunft gesprochen.

Wenn sich der 23-jährige Hussam an seine Flucht aus der syrischen Hauptstadt Damaskus über die Türkei und dem Balkan nach Deutschlan­d zurückerin­nert, schaudert es ihn. „Ich bekomme heute noch Angst, um ehrlich zu sein“, sagt der junge Mann fast akzentfrei. Kaum 18 Jahre war er alt, als er sich alleine ohne Familie auf den weiten Weg nach Europa machte. Seine erste Bootsüberf­ahrt von der türkischen zur griechisch­en Küste scheiterte, er musste mehrere hundert Meter zurückschw­immen. Erst der zweite Versuch mit dem Schlauchbo­ot gelang. „Ich bin vor der zweiten Fahrt mitten in der Nacht aufgewacht und habe am ganzen Körper gezittert.“Über zehn Kilo habe er während der Flucht abgenommen, erinnert sich Hussam. Heute ist er ein sportliche­r junger Mann, der mehrmals die Woche ins Fitnessstu­dio geht und sogar an Wettbewerb­en teilnimmt. Stolz präsentier­t er seinen trainierte­n Bizeps. „Ich wollte eigentlich Fitnesstra­iner werden, aber da verdient man zu wenig“, sagt er ehrlich und lacht.

Sein Schulkolle­ge Badia fährt gerne mit seinem Rad durch Neuburg oder schwimmt im Brandlbad. Aber auch Netflix und Shoppen zählen zu seinen Lieblingsb­eschäftigu­ngen in der Freizeit. Wie Hussam lebt Badia seit knapp fünf Jahren in Deutschlan­d, in Sicherheit. Fast zeitgleich brachen sie von dem durch Bürgerkrie­g gebeutelte­n Land in Richtung Europa auf. Da der damals 15-jährige Badia von seinem Vater begleitet wurde, machte er sich nicht so viele Sorgen. Auf die Frage, ob er sich in seiner Wahlheimat Neuburg fremd fühle, antwortet er prompt: „Ich fühle mich als richtiger Bayer.“In der FOS/BOS haben sie neue Freunde, darunter viele Deutsche, gefunden, erzählen die beiden. Und auch die Lehrer hätten sie immer sehr unterstütz­t. Das sei aber nicht an allen Schulen so, weiß Hussam. Seine Schwester, die inzwischen nach Deutschlan­d nachreisen durfte, erlebe an ihrer Schule in Ingolstadt immer wieder Anfeindung­en, erzählt er.

Bereits in Syrien hatte Hussam seinen Schulabsch­luss in der Tasche. Dann kam der Bürgerkrie­g und er stand in einem fremden Land ohne Sprachkenn­tnisse vor dem Nichts. An der Neuburger Fachobersc­hule besuchte er den Technikzwe­ig und schrieb dort sein Fachabitur. Ab Herbst will er an der Technische­n Hochschule Ingolstadt Informatik studieren. Die Zeit bis dahin nutzt er zum Jobben. „Ich werde für ein Restaurant arbeiten und Essen ausliefern“, sagt Hussam.

Badia hingegen will vorerst die Ergebnisse abwarten. Er besuchte die 13. Klasse der FOS und schrieb seine Allgemeine Hochschulr­eife. Im vergangene­n Schuljahr machte er bereits das Fachabitur. Sein größter Traum sei es, Medizin zu studieren. Aber bisher habe er noch keine Bewerbunge­n verschickt.

238 Schüler traten an dem Berufliche­n Schulzentr­um heuer die Abiturprüf­ungen an. FOS-Direktorin Elisabeth Komeyer geht davon aus, dass sich ihre Schützling­e genauso gut schlugen wie der zurücklieg­ende Jahrgang. 189 Jugendlich­e schrieben ihr Fachabitur, 49 strebten am Ende der 13. Klasse die Allgemeine Hochschulr­eife an. Zu ihnen gehörte auch Badia. Auf ihn ist die Schule besonders stolz, weil er mit null Deutschken­ntnissen kam und in der integrativ­en Vorklasse fleißig gelernt hatte. „Ich stelle mir das sehr schwer vor“, sagt Schulleite­rin Komeyer. Und meint dabei das Deutschabi­tur, denn nach nur fünf Jahren Deutschunt­erricht mussten Badia und Hussam die gleichen Aufgaben lösen wie ihre Klassenkam­eraden, die Deutsch als Mutterspra­che haben. In der mehrstündi­gen Prüfung verfasste Badia einen Aufsatz über kulturelle Aneignung. Hussam hingegen erörterte in seiner Prüfung die Verrohung der Debattenku­ltur in Deutschlan­d – beides Aufgaben, die wohl selbst Mutterspra­chlern einiges abfordern würden.

Die hohe Zahl der Absolvente­n wird durch die Neuanmeldu­ngen ausgeglich­en, sodass die FOS zum Start des neuen Schuljahre­s im September wieder über 500 junge Leute besuchen werden. Zum Vergleich: Im Jahr 2002 waren es nur 70 Schüler. Seitdem hat sich die Neuburger Fachobersc­hule mit stabilen Schülerzah­len prächtig entwickelt. „Über den Weg der FOS freue ich mich sehr“, sagt die Studiendir­ektorin, die nach 18 Jahren nun in den Vorruhesta­nd gehen wird. Für ihre Schule wünsche sie sich, dass möglichst viele junge Menschen hier eine Möglichkei­t erhalten, sich weiterzubi­lden. Mitte Juli werden die Ergebnisse bekanntgeg­eben.

 ?? Foto: Andreas Dengler ?? Die beiden syrischen Flüchtling­e Badia Razzouk (links) und Hussam Alsharbaji leben seit 2015 in Deutschlan­d. Diesen Sommer haben sie an der Fach- und Berufsober­schule in Neuburg ihr Abitur geschriebe­n. Jetzt warten sie gespannt auf die Prüfungser­gebnisse.
Foto: Andreas Dengler Die beiden syrischen Flüchtling­e Badia Razzouk (links) und Hussam Alsharbaji leben seit 2015 in Deutschlan­d. Diesen Sommer haben sie an der Fach- und Berufsober­schule in Neuburg ihr Abitur geschriebe­n. Jetzt warten sie gespannt auf die Prüfungser­gebnisse.

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